“Historischer” E-Bus-Termin, Debatte über E-Roller – Rückblick auf eine Woche der Verkehrswende
Berlin, 28. März (ssl) Zwei BVG-gelbe Busse standen einander gegenüber, und geballte Polit-Prominenz ließ sich chauffieren. Eine „ganz große Koalition“, wie es Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) formulierte, hatte sich am Mittwoch im denkmalgeschützten Busdepot in der Berliner Müllerstraße eingefunden, und kein Beteiligter scheute sich, das Wort „historisch“ in den Mund zu nehmen. Es war der Höhepunkt einer Woche, in der sich die bevorstehende Verkehrswende an mehreren Punkten bemerkbar machte.
BVG startet offiziell in die E-Mobilität
Gefeiert wurde die offizielle Inbetriebnahme serienmäßiger vollelektrisch betriebener Busse bei den Berliner Verkehrsbetrieben. Und gefordert wurde schnelle und mittelfristig preiswertere Lieferung weiterer Fahrzeuge.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze, Verkehrsminister Andreas Scheuer, Umweltsenatorin Regine Günther (parteilos, aber auf Grünen-Ticket) und Ramona Pop gaben sich mit der Chefin des größten deutschen Nahverkehrsunternehmens, Sigrid Nikutta, die Ehre. Letztere sprach vom „Beginn einer neuen Logik von Energie und Mobilität“, die jetzt beginne, da die Elektrobusse aus dem Prototyp-Stadium heraus seien.
Der eCitaro von Mercedes-Benz und der Urbino 12 electric des polnischen Unternehmens Solaris sind Teil einer jeweils 15 Stück umfassenden Bestellung von Bussen mit der Standardlänge von gut zwölf Metern. Darüber hinaus hat die BVG 15 elektrische Gelenkbusse von Solaris bestellt. Weitere Bestellungen sollen folgen, bis 2021 sollen schon 225 E-Busse in Berlin unterwegs sein. Bis dahin wird die Elektrifizierung unter dem Strich 58 Millionen Euro gekostet haben. Bis 2030 sollen alle Busse der BVG emissionsfrei fahren, und das wird zwischen einer und fünf Milliarden Euro gekostet haben.
Jeder E-Bus kostet übrigens derzeit rund 550.000 Euro oder, um es relativ auszudrücken, das Doppelte eines vergleichbaren Dieselbusses. Das bedeutet keine (!) Preissteigerung in den vergangenen drei, vier Jahren, als die Auskunft auf die entsprechende Frage stets „600.000 Euro“ lautete. Die Industrie beginnt damit langsam aber sicher, ihr altes Versprechen einzulösen, dass die Preise sich mit der Aufnahme der Serienfertigung dank Skaleneffekten normalisieren. Wie lange dieses Versprechen hält, ist allerdings fraglich. Zum einen haben wir es bei den Bussen mit einem absoluten Verkäufermarkt zu tun, getrieben durch die diversen Klimaschutzdebatten und der Knappheit der verfügbaren europäischen Fahrzeuge, zum anderen dürfte auch die anhaltende Förderung dazu beitragen, dass sich jedes kommunale Unternehmen dank Bundes- und Landesmitteln mit Elektromobilität befasst. Und vor einer umfangreichen Bestellung (und Zulassung!) chinesischer Busse durch deutsche kommunale Betriebe stehen zahlreiche hohe betriebswirtschaftliche und psychologische Hürden.
Noch nicht geklärt ist diese Frage auch bei den Pkws. Hier gibt es Untersuchungen, wonach Elektroautos mit einer um 20 Prozent höheren Produktivität hergestellt werden können und damit Arbeitsplätze verloren gehen würden. Dann müssten die Autos eigentlich billiger werden. Dennoch behauptet Volkswagen, dass sie teurer werden „müssen“. Da ist mal eine nachvollziehbare, möglichst unabhängige Untersuchung über den Saldo dieser beiden Aussagen auf der Rechnung des Verbrauchers fällig.
Zurück in die Bushalle: Senatorin Günther wagte die Prognose, der „historische“ Tag stehe dafür, dass „der Dieselbus ein Auslaufmodell“ sei. Für die BVG sei das eine enorme Herausforderung. Tatsächlich entspricht es den Plänen des Senats und des Landesunternehmens: Der für alternative Antriebe zuständige Daniel Hesse hatte vergangene Woche berichtet, dass 2030 rund 1.700 bis 1.800 Busse, also die gesamte Flotte, in der Hauptstadt elektrisch verkehren sollen. Derzeit betreibt das Unternehmen rund 1.500 Dieselbusse und fünf elektrische von Solaris, die aber noch als Prototypen fahren. Die höhere Endsumme erklärt sich einerseits aus der bis dahin sicher gestiegenen Nachfrage und andererseits daraus, dass die Elektrofahrzeuge nach heutigen Maßstäben wegen der geringeren Reichweite häufiger Ladepausen einlegen müssen. Nikutta sprach von 150 Kilometer.
Die Veranstaltung lief jedenfalls äußerlich in seltener Harmonie ab. Scheuer konnte die übrigen Rednerinnen mit „Liebe Kolleginnen“ begrüßen. Bei der Probefahrt mit BVG-Buschef Torsten Mareck am Steuer stand er dicht gedrängt mit Günther, Nikutta und Pop ganz vorne rechts im Bus und zückte sein Handy, um ein Selfie mit dem Monitor des serienmäßigen Abbiege-Assistenten zu machen: „Vorbildlich“, kommentierte er und sagte: „Wir wollen, dass mehr Bürgerinnen und Bürger auf den öffentlichen Personennahverkehr umsteigen“. In diesem Sinne kündigte er für die bevorstehende Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes „eine anstrengende Debatte“ an. Tatsächlich dürfte es äußerst schwierig werden, das Gesetz von liebgewordenen Erbhöfen, sprich: Monopolen, zum Beispiel der Taxifahrer, aber auch der kommunalen Verkehrsbetriebe zu befreien.
Elektrische Kleinstfahrzeuge
Ein neues Verkehrsmittel, das quasi darauf wartet, „auf der letzten Meile“ massenhaft betrieben zu werden, hat indirekt auch damit zu tun: der Elektro-“Tret“-Roller. Zweimal mit dem einen Fuß abstoßen, Handgas geben, und ab geht‘s. Man kann ihn schon kaufen , darf ihn aber im öffentlichen Straßenraum nicht benutzen. Scheuer berichtete von Gesprächen mit Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller über die Frage, ob Berlin dafür eine Ausnahmegenehmigung erlassen sollte. Müller habe das abgelehnt, und die Senatsvertreterinnen in der Bushalle zogen es vor, darauf nicht einzugehen.
Tatsächlich sind die Dinger noch heftig umstritten. Es gibt aber Modellversuche (etwa in Bamberg) und einen Regulierungsentwurf, der derzeit in Brüssel auf Zustimmung wartet. Danach sollen sie auf Bürgersteigen nur von Kindern und nur mit auf 12 km/h gedrosselter Geschwindigkeit gefahren werden dürfen, ansonsten ist 20 km/h Tempolimit vorgesehen und die Benutzung von Radwegen Vorschrift. Wo kein Radweg ist, müssten sie auf der Straße gefahren werden. Die Vorstellung, damit auf einer Berliner Straße, womöglich noch mit Kopfsteinpflaster, mit diesen Rollern im normal-ruppigen Verkehr mitzumischen, riecht allerdings mehr nach Abenteuer als nach Freiheit.
Die FDP sieht das offenbar anders. Sie brachte am Montag den Bundestag dazu, über diese Roller zu diskutieren. Ihr Antrag hatte zum Ziel, die kleinen Maschinen weitgehend von Regulierung freizustellen. Unter anderem sollte die Benutzung auf dem Bürgersteig zugelassen und auf eine Versicherungspflicht mit „Moped“-Kennzeichen verzichtet werden. Im Parlament führten SPD- und CDU-RednerInnen die Liberalen als LobbyistInnenpartei vor, indem sie ihnen nachwiesen, dass ihr Antrag fast wortgleich mit einem Thesenpapier des einschlägigen Wirtschaftsverbandes war. Nicht nur deshalb hatte der Antrag keinen Erfolg. In der Folge kam das Thema bei zahlreichen verkehrspolitischen Veranstaltungen zur Sprache.
Neben Scheuer äußerte sich dazu auch der Geschäftsführer des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs, ADFC), Burkard Stork. Wenn die Roller für die „letzte Meile“ geeignet seien, sei es okay, sie zuzulassen, aber nicht auf dem Gehweg, weil das die ohnehin schon vorhandene Konkurrenzsituation zwischen Fußgängern und Radfahrern verschärfe. Also blieben die Radwege, die aber dann wirklich breiter sein müssten. Es passte gut in die Absicht des ADFC, mit einer Kampagne #MehrPlatzfürsRad zu Frühlingsbeginn dafür zu kämpfen, dem Zweirad, ob motorisiert oder nicht, den ihm gebührenden Rang auch auf den Straßen einzuräumen. Wenn das nicht geschehe, werde es nämlich nichts mit der Verkehrswende.