Güterverkehr auf der Schiene kann verdoppelt werden

Studie ermittelt nur 280 Millionen Zusatzbedarf jährlich bis 2035

Berlin, 06. Mai (ssl) Die Transportleistung im Schienengüterverkehr kann bis 2035 mit verhältnismäßig geringen zusätzlichen Mehrkosten verdoppelt werden. Das ergab eine Studie , die das Netzwerk der Europäischen Eisenbahnen (NEE) und der Verband der Güterwagenhalter (VPI) am Montag (06. Mai) in Berlin vorstellten. Die Investitions-Vorschläge der Studie stießen auf Wohlwollen auf der Arbeitsebene des Bundesverkehrsministeriums und wurden umgehend von den Grünen begrüßt.

Elektrifizierung ist dringend angesagt, wenn das Güteraufkommen auf der Schiene nennenswert erhöht werden soll. Foto: DB AG / Uwe Miethe

Bis 2030 klappt die Verdoppelung selbst unter optimistischsten Annahmen nicht, aber bis 2035 „ist das machbar“, sagte NEE-Vorsitzender Peter Westenberger. Der zusätzliche Aufwand beträgt nach den Berechnungen der kcw GmbH, die diese Studie erstellt hat, insgesamt 4,2 Milliarden Euro oder 280 Millionen Euro im Jahr. Die Autoren nehmen die Bundesregierung in zweierlei Hinsicht beim Wort. In deren Koalitionsvertrag gibt es zwar kein Verdoppelungsversprechen im Hinblick auf den Güterverkehr auf der Schiene, aber es sollen immerhin „doppelt so viele Bahnkundinnen und Bahnkunden“ gewonnen werden.

Die Auftraggeber der Studie interpretierten das so: Durch Verlagerung von Güterverkehr auf die Schiene soll die derzeitige Schienentransportleistung von derzeit 130 Milliarden Tonnenkilometer verdoppelt werden. Das hätte den Vorteil einer – grob gerechnet – 75-prozentigen CO2-Vermeidung im Gütertransport zu Lande. Solche Rechnungen sind allerdings mit Vorsicht zu genießen, weil es keine seriösen Zahlen über die Entwicklung des gesamten Güterverkehrs gibt. In der jüngeren Vergangenheit wuchs er stark, aber deutlich stärker auf der Straße, sodass der Marktanteil der Schiene nicht gestiegen ist und zur Zeit 19 Prozent beträgt.

Warnung vor Milliarden für ICE-Schnellstrecken

Zum zweiten setzen die Wissenschaftler voraus, dass diesmal die im aktuellen Bundesverkehrswegeplan (BVWP) als prioritär genannten Vorhaben auch wirklich angeschoben werden, und zwar nicht in Richtung auf die lange Bank. Überdies warnte Westenberger die Bundesregierung, künftig für den Schienenverkehr vorgesehene Mittel in neue Ausbauvorhaben des Hochgeschwindigkeits-Personenverkehrs zu stecken. Er spielte damit auf Pläne an, zwischen Hannover und Bielefeld eine neue ICE-Schnellstrecke für Tempo 300 zu bauen. Die Warnung wollte er nicht als Ausdruck eines möglichen Konkurrenzdenkens beim Wettstreit um die Bundesmittel für die Schiene sehen, denn „viele Maßnahmen des Güterverkehrs dienen auch dem Personenverkehr“, sagte Westenberger.

Zahlreiche eher kleine Maßnahmen können dem Schienennetz in Deutschland mehr Effizienz verleihen. Grafik: kcw GmbH

Das wichtigste Element der Vorschläge, mehr Züge auf die Schiene zu bringen, ist die Identifizierung von Engpässen im Netz. Sie müssen entweder beseitigt oder umgangen werden. Dabei gelten für den Personenverkehr andere Maßstäbe als für den Güterverkehr. Güterzüge müssen auf ihrem Weg von A nach B nicht durch Städte fahren, sondern können sie umgehen. Umwege bedeuten dabei nicht immer längere Fahrzeiten. Heute wird ein durchschnittlicher Güterzug von Hamburg nach München auf seiner Strecke zwölf Mal überholt und muss dafür in der Regel auf einem Ausweichgleis stehen bleiben. Das reduziert seine Reisegeschwindigkeit auf 48 km/h, obwohl die Höchstgeschwindigkeit bei Tempo 100 liegt. Könnte er auf weniger intensiv vom Personenverkehr genutzten Trassen fahren, verringerten sich die Zwischenhalte, und auch wenn er Tempo 100 dann nur selten erreicht, steigt die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit, und die Energiebilanz verbessert sich. Ein weiteres Hindernis für die Nutzung von Umgehungsstrecken sit laut Westenberger der Umstand, dass die derzeitigen Trassengebühren keinen Anreiz dafür bieten.

Die Umgehung vorhandener Engpässe hilft aber nur, wenn die Alternativstrecken elektrifiziert sind wie die Hauptstrecken, sonst müssten die Loks unterwegs gewechselt oder auch unter Fahrdraht mit Diesel gefahren werden. Um das Netz effizienter für den Güterverkehr zu gestalten, reichen daher der Studie zufolge nur zwei echte Neubaustrecken mit einer Gesamtlänge von rund 15 Kilometern: eine zwischen Karlsruhe und Durmersheim und zwischen Wiesbaden Ost und Igelstein. Die erste wäre gar ein Neubau für die Karlsruher Stadtbahn, um die bestehende Strecke für den Güterverkehr freizumachen.

Dazu kämen, wenn es nach den Güterverkehrsverbänden geht, insgesamt 445 Streckenkilometer, bei denen zwecks besseren Verkehrsflusses ein zweites oder ein Drittes Parallelgleis gebaut werden müsste. Deutlich mehr, nämlich 1.141 km, sollten elektrifiziert werden. Mit Überholbahnhöfen, Verbindungskurven und kreuzungsfreien Einfädelungen kommt die Studie so auf 7,25 Milliarden Euro zusätzliche Investitionen, von denen aber 3,1 dem BVWP zuzurechnen sind, weil sie dort schon drin stehen, aber noch als vordringlich gelten. Die genannten Summen stehen allerdings unter dem Vorbehalt der Kostenentwicklung. Der Bau von Eisenbahnbrücken zum Beispiel sollen in den vergangenen zwei Jahren um fast die Hälfte teurer geworden sein – ein Resultat des Baubooms und der verstärkten Nachfrage auch im Straßenbau.

Über die erwähnten 4,2 Milliarden hinaus haben sich die Studienautoren auch Gedanken über „Europaprojekte“ gemacht, die die Situation im grenzüberschreitenden Verkehr verbessern sollen. Eines der größeren Vorhaben wäre eine leistungsfähige West-Ost-Trasse, die im wesentlichen parallel zur ([Paris-]Mannheim-Nürnberg[-Prag]) verläuft. Das Verkehrsaufkommen auf der Autobahn ist derzeit extrem hoch.

Mitarbeiter des Verkehrsministeriums erklärten noch in der Veranstaltung, die in dem Gutachtengegebenen Hinweise seien ein „wichtiger Denkanstoß“ und volkswirtschaftlich sicher gerechtfertigt“. DieGrünen im Bundestag stellten sich ebenfalls hinter die Vorschläge.