Von Wohltätern und subalternen Journalisten

Investor Peter Löw zieht Bilanz seines Berufslebens – 250 Unternehmen gekauft – Eine von zwei Pleiten war dapd

Von Thomas Rietig

Berlin, 22. November (ssl) Höchst selten wird einem ein Buch zur Besprechung angeboten, in dem man selbst, wenn auch nicht namentlich genannt, vorkommt. Es handelt sich um das Werk „Flusenflug“ des Investors Peter Löw, der mit seinem Freund Martin Vorderwülbecke vor knapp einem Jahrzehnt den Deutschen Dienst der internationalen Nachrichtenagentur AP kaufte und mit der ihm bereits gehörenden Agentur ddp zur dapd verschmolz. Zwei Jahre später folgte die Pleite, und 300 Mitarbeiter standen auf der Straße. Transparenzhinweis: Der Autor der folgenden Rezension arbeitete für AP und dapd. Sie ist in der Ich-Form gehalten, um auch nur den Anschein von Objektivität zu vermeiden. Sie kann allerdings Spuren von Ironie enthalten.

Meine erste direkte Begegnung (von dreien) mit dem Autor des „Flusenflugs“ war von einer Entschuldigung überschattet. Ich hatte die Aufgabe, die Meldung zu der oben beschriebenen Übernahme zu verfassen und bemühte mich, das so akribisch und neutral zu tun, wie es mir nach etwa dreißigjähriger journalistischer Erfahrung möglich war. Der Teufel steckte aber in der Autokorrektur: Sie machte aus Löw in der ersten Zeile Löwe, und das übersahen sowohl ich als auch die anderen zwei Augen des Vier-Augen-Prinzips, als wir auf den Sendeknopf drückten.

Wir verbesserten es natürlich umgehend, und Löw sagte bei einem Besuch in seinem neuen Asset wenige Stunden später sinngemäß „Schwamm drüber“. Wahrscheinlich hat es aber seine Ansicht über Medienschaffende nur ein weiteres Mal bestätigt. Diese Ansichten sind nämlich nicht die besten, gleich ob es sich um Leute wie Springer-Chef Mathias Döpfner oder um „einzelne Journalisten“ handelt: „Da diesen extrem niedrige Gehälter gezahlt wurden, waren hier eben nicht die Leuchten der Gesellschaft zu finden.“ Gut, dass ich zeit meines Lebens nicht unter Vereinzelung litt. Normale Redakteure bei dapd gingen, wie er selbst schreibt, mit 1600 bis 2400 Euro brutto nach Hause, ungeachtet ihrer Qualifikation.

Anfang in Ostwestfalen

Wenn er gewusst hätte, dass ich aus Ostwestfalen komme, hätte das sicher auch nicht zu höherer Wertschätzung meiner Person beigetragen. Sein erstes „Abenteuer“ – die einzelnen Perioden seiner Millionärswerdung als Investor und Sanierer von distressed assets, also heruntergewirtschafteten Unternehmen, nennt Löw in seinem Buch so – fand nämlich 1992 in Espelkamp statt, etwa 20 Kilometer entfernt von meinem Geburtsort: „Nördlich des Wiehengebirges gelegen, also dort, wo jede Zivilisation aufhört.“ Bei diesem Abenteuer half ihm übrigens über gewisse IT-Defizite ein ostwestfälischer Teenager hinweg, der sich mit Computern auskannte: Lars Windhorst, den wir heute als Hertha-Investor kennen. Immerhin warf das Unternehmen als Beifang für die Investoren zwei Autos ab: Einen 500 SEL für Vorderwülbecke, den jungen Familienvater, und einen 500 SL für Löw, der noch keine Familie hatte, weshalb Vorderwülbecke dieses Fahrzeug einmal als „Marketing-Tool“ zur Familiengründung bezeichnete.

Insgesamt zählt Löw 59 Abenteuer auf, bei denen er – immer eigenen Angaben zufolge – mehr als 250 Unternehmen erwarb und viele davon wieder veräußerte, mit Gewinn natürlich, was ihm gegen Ende der Erzählperiode ein Vermögen von etwa 450 Millionen Euro sicherte, wenn ich alles richtig gelesen habe. Einzige Illustrationen in dem Buch sind Faksimilies seiner diversen Visitenkarten und eine beglaubigte Vermögensaufstellung aus der beruflichen Anfangszeit, aus der „bei gutwilliger Betrachtung“ (Löw) weniger als 150 000 DM hervorgehen.

Es begann mit einem Büromaschinenvertrieb und ging zunächst über kleinere Unternehmen weiter wie etwa einen Lagerhallenbetreiber an der Grenze zwischen Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Dann kamen Namen, die fast jeder kennt: Adler Modemärkte, Gigaset Telefone, Pit Stop Autoreparaturwerkstätten. Aber auch weniger bekannte, gleichwohl wichtige Industrieunternehmen wie SKW Trostberg, AlzChem, Pruss und Horn. Es führt hier zu weit, sie alle zu nennen. Nicht immer ging das reibungslos vonstatten, was ihn einmal bewegt, Nordrhein-Westfalen hinsichtlich des dort aus seiner Sicht offenbar vorherrschenden Filzes mit Nordkorea in einem Atemzug zu nennen.

Flüssig und lesefreundlich

Zuzugestehen ist Löw, dass er flüssig und lesefreundlich schreibt, von der doch recht barocken Biergarten-Szene am Anfang mit Vorderwülbecke, zu dem ich ein deutlich besseres Verhältnis als zu Löw aufbauen konnte, abgesehen. Viel weiter hinten taucht zwischen „Hunderte von Millionen“ und „Gelder in Milliardenhöhe“ plötzlich der Satz auf: „Ich schwang mich also sofort auf mein Fahrrad und fuhr direkt zum Insolvenzverwalter.“ Sehr umweltbewusst. Wenig erfährt der Leser über Löws Familie (muss auch nicht sein), viel über seine Freizeit, in der er James-Bond-artige Abenteuer (aber ohne Walther PPK) suchte und fand. Bei einem erworbenen Unternehmen fuhr er auf dem Betriebsgelände Dampflok, zweimal absolvierte er den New York Marathon. Er institutionalisierte für sich Sabbaticals, die er auch beschreibt, etwa wie er sich eine Yacht kaufte und damit buchstäblich unterging. Häme scheint angebracht, aber die Episode enthält auch Selbstkritik. 2014 überlebte er ein Flugzeugunglück in Florida. Er steuerte selbst, Ursache war ein blockiertes Bugfahrwerk.

Ein andermal fuhr er mit dem Motorrad nach Jerusalem, und schließlich pilgerte er tatsächlich nach Santiago de Compostela, wenn auch weitgehend unter Verzicht auf Verzicht. Er beschreibt sich als gläubigen Katholiken, fühlte sich offenbar auch deshalb nicht so richtig wohl unter all den Lutheranern in Ostwestfalen. Als seine Christenpflicht empfand er es, den Vatikan beim Wiederaufbau der kriegsbeschädigten Apostolischen Nuntiatur in Belgrad zu unterstützen, was ihm in der Folge nicht nur eine Privataudienz bei Papst Benedikt XVI., sondern auch den Titel eines Päpstlichen Ritters samt einschlägiger Uniform einbrachte. An der nach Benedikt benannten Theologisch-Philosophischen Hochschule Heiligenkreuz ist der ohnehin schon doppelte Doktor der Rechte Honorarprofessor für Wirtschaftsphilosophie.

Abenteuer 55: Die dapd-Pleite

Von den 250 Unternehmen, mit denen sich Löw und seine Mitstreiter im Lauf der Jahrzehnte beschäftigten, gingen angeblich nur zwei in die Pleite. Eines davon ist die Nachrichtenagentur dapd, Abenteuer Nummer 55. Aus Mitarbeitersicht war die letztlich gescheiterte Idee durchaus interessant und eine starke Herausforderung: Wenn man schon nicht mehr für die Associated Press arbeiten konnte, die weltweit und in Deutschland den besten journalistischen Ruf genoss, dann wäre es eine extrem motivierende Aufgabe, nach der Fusion mit ddp auch quantitativ einen echten Gegenpol zum Marktführer in Deutschland, der dpa, aufzubauen. Viele von uns freuten sich darauf und sahen es sportlich, was die Beziehungen zum Wettbewerber nicht trübte. Aus der damals unter Journalisten unternehmensübergreifend üblichen Kollegialität haben „einzelne“, meiner Meinung nach leicht paranoide dapd-Manager den zumindest in Bezug auf meine Person abwegigen Verdacht abgeleitet, dapd-Redakteure würden als dpa-Maulwürfe agieren.

ddp gehörte den beiden Investoren bereits seit 2004. Dort hatten sie die Spitze erneuert. Löw beschreibt diese Maßnahme wie folgt: „Als ersten Chefredakteur konnten wir Joachim Wiedemann von der Netzzeitung gewinnen, der bereits bei mehreren Lokalzeitungen als Chefredakteur tätig gewesen war. Mit ihm zog eine gewisse Professionalisierung des Dienstbetriebs ein.“ Der Mann heißt Widmann, sein vorheriger Arbeitgeber heißt Netzeitung (mit einem z). Widmann wurde bei der Fusion dann aus dem Unternehmen komplimentiert, um es rechtssicher zu formulieren, sein Pendant bei der AP blieb zwar im Unternehmen, verlor aber seinen Einfluss, wie ich als sein Stellvertreter auch.

Es gab viel Propaganda nach innen und außen für die neue Agentur, die in dem etwas kindischen Motivations-Song gipfelte „It‘s fun to work for the dapd…“, zur Melodie von „YMCA“ der Village People. Den mp3-Clip habe ich noch heute auf dem Rechner. Auch ein Presse-Echo in bisher ungekannter Intensität begleitete die Übernahme: „Bad News, so lernten wir am eigenen Leib, waren Good News, und so ist es bis heute geblieben. Die meisten Journalisten, ähnlich wie die meisten Banker, waren für eine Bewertung unserer Tätigkeit eh nicht sehr qualifiziert. Die wenigsten hatten irgendeine Ahnung oder irgendein Verständnis, was wir wirklich taten.“

Löw und Vorderwülbecke war „klar, dass wir mit dieser Art eines Unternehmens niemals auch nur im Entferntesten an die Renditen unserer Industrieunternehmen herankommen konnten, andererseits sahen wir es als interessante Herausforderung an, an den Wurzeln unserer Medienwelt tätig zu werden“. In einer Ansprache vor den Beschäftigten sprach er einmal die Erwartung aus, nach Ablauf von sechs Jahren in die schwarzen Zahlen zu kommen. Mangels seiner Geduld werden wir nie erfahren, ob es geklappt hätte, leider.

Verräterische Tippfehler

Einen weiteren (freudschen?) Tippfehler leistet sich Löw gleich zweimal ausgerechnet bei der Namensgebung der neuen Agentur. Wahrscheinlich weil ihm der Name diesmal nicht selbst eingefallen, sondern Ergebnis der Nachforschungen und Kreativität einer PR-Agentur war. Diese musste lange nach einer kurzen Buchstabenkombination suchen, die irgendwie an die alten Agenturen erinnerte und noch nicht vergeben war. „Ein neuer Name musste natürlich für unsere Vollagentur jetzt her. Wir entschieden uns nach langem Hin und Her für DADP (sic! Und es passiert ein paar Seiten später noch einmal.), da dort die Wortelemente der ddp und der AP vertreten waren und wir uns einen gewissen Wiedererkennungswert versprachen. Der Umsatz in 2009 stieg jetzt auf 13,5 Mio. Der Kundenstamm der DAPD wuchs…“

Reliquie aus besseren Tagen: Der dapd-Schlüsselanhänger

Einen der größeren Kräche in der kurzen dapd-Geschichte leisteten sich Löw und Vorderwülbecke mit dem Springer-Verlag, den sie bezichtigen, kampagnenartig gegen die neue Agentur zu intrigieren. Aber sie versuchten gegenzusteuern: „Mit Kai Diekmann, dem Chefredakteur der Bildzeitung, schmiedeten wir einen Geheimpakt hinter Döpfners Rücken. Ihm gestatteten wir den Dienst »heimlich« zu nutzen, da wir mit ihm ein sehr gutes persönliches Verhältnis pflegten… Ich hatte sowieso keine gute Meinung von Herrn Döpfner… Unter seiner Regie war das Verlagsgeschäft immer mehr unter die Räder gekommen“.

Die angebliche Kampagne war groß angelegt: „Schließlich wurde dem Bundestag eine »Studie« aus Gewerkschaftskreisen vorgelegt, die von schlechter Mitarbeiterführung und von ungleicher Bezahlung bei der DAPD sprach.“ Beides stimmte, ersteres besonders im Hinblick auf den Chefredakteur, der überall Intrigen witterte. Letzteres lag im wesentlichen daran, dass die früheren ddp-Mitarbeiter (weiterhin) schlecht und die früheren AP-Mitarbeiter (weiterhin, denn sie hatten entsprechende Verträge mit Vorderwülbecke geschlossen) gut bezahlt wurden. „Es war auch einmal interessant am eigenen Leib zu erleben, wie willig die gesamte Medienbranche derartige Fake News mit verbreitete. Ich war ja schon in vielen Industrien unterwegs, aber einen derartigen Mangel an ethischen Verhaltensweisen konnte man sich eigentlich nur in den Drogen-, Waffen- und Menschenhandelsindustrien vorstellen“, schreibt Löw.

Mit Berlin kann er sich offenbar nicht anfreunden, nun ja, sein Lebensmittelpunkt ist Oberbayern mit München: „Auch auf dem Bundespresseball ließen wir uns blicken, fanden die Veranstaltung aber ziemlich provinziell und beschlossen, kein weiteres Mal hinzugehen.“ Gruß an die Bundespräsidenten, die dort regelmäßig auftauchen. Einer von ihnen, Christian Wulff, erschien auch zur Einweihung der dapd-Residenz am Schiffbauerdamm.

Respekt durch Tischfußball

Auch bei den Mitarbeitern kam er zunächst nicht gut an. „Wir wussten um die schwierige Situation der Journalisten … Ihre Gehälter waren teilweise extrem niedrig.“ Deshalb „war es für uns wichtig, ein gutes Miteinander herzustellen. Eine Möglichkeit waren die ritualisierten Weihnachtsfeiern, auf denen ein großes Tischfußballturnier zwischen allen Mitarbeitern ausgetragen wurde. Nachdem ich im Jahr 2009 noch ziemlich schlecht abgeschnitten hatte, gelang es mir im Jahr 2010 auf den zweiten Platz zu kommen. Das sicherte mir einen gewissen Respekt“, schreibt der Eigentümer der Nachrichtenagentur.

2011 kündigten er und Vorderwülbecke an, einen Sportdienst zu etablieren. Erst warben sie einige Leute vom Sport-Informationsdienst (sid) ab, einer Tochter der staatlichen französischen Nachrichtenagentur AFP, dann im Dezember fast die ganze Führungsetage des sid. Was Löw hier feiert und seinerzeit auch in der Medien als Coup bezeichnet wurde, könnte der entscheidende Sargnagel für die dapd gewesen sein. Denn die Kosten des nun doch recht teuren Sportdiensts wurden nicht auf die Kunden umgelegt. Das merkte Löw dann bald auch selbst: „Wir boten unsere Dienste bei ähnlicher Meldungsanzahl und deutlich mehr Pressefotos immer noch ca. 70 Prozent unter den Preisen der dpa an. Das konnte so nicht weitergehen.“ Deshalb „hoben wir die Preise schrittweise an, jedoch nicht in dem Maße, wie die Meldungsanzahl und die Kosten stiegen.“ Neben der Verdrängungshaltung gegenüber der dpa war ein weiterer Fehler die Fixierung auf die Quantität der Meldungen, die teilweise künstlich hochgetrieben wurde. Stattdessen wäre eine Optimierung der Qualität und der Meldungstiefe angebracht gewesen.

Und so kam, was kommen musste: der Insolvenzantrag nach 17 Millionen Zuschuss seitens Löw, wohl acht Millionen von Vorderwülbecke und achtmaliger verzweifelter Versicherung des Managements, „ich selbst war ja weder in der Geschäftsführung noch im Vorstand der Muttergesellschaft, der Breakeven werde umgehend erreicht. Wurde er nicht. Gleichwohl räumt Löw Fehler ein, lobt sich aber auch wieder: „Ich hatte den mir vorlegten Businessplänen aber etwas zu blauäugig vertraut und hatte damit sicherlich auch meinen Anteil am Scheitern.“

Als Gründe nennt er neben dem Umstand, selbst nicht aufgepasst zu haben, wie das Geld zerrann: „Zum einen wurde die DAPD von den Bundes- und Regierungsstellen systematisch diskriminiert. Denn unser Wettbewerber, die dpa, wurde durch das Bundeskanzleramt, Ministerien, Bundesbehörden, Bundestag und öffentlich-rechtliche Medienanstalten hoch subventioniert, während wir mit relativ geringen Beträgen, in der Regel weniger als 30Prozent des dpa-Betrages, abgespeist wurden. … Die öffentlich-rechtlichen Medien, allen voran das ZDF, privilegierten teilweise ganz offen die dpa, die politisch sicher einfacher zu handhaben war.“

Für ihn war es offenbar auch eine gute Tat: „Durch unsere hohen Transferzahlungen haben wir diesen Zustand [der Freisetzung hunderter Mitarbeiter] um einige Jahre nach hinten verschieben können.“ Dafür stand am Ende eine dreistellige Zahl von Journalisten und anderen Mitarbeitern auf der Straße und fiel der Arbeitsagentur zur Last, von persönlichen Schicksalen ganz abgesehen. Zumindest die AP-Mitarbeiter hätten bei einer geordneten Abwicklung eine hohe Abfindung erhalten. So bekamen sie nichts, manche erstritten einen Vergleich mit einem Tausender als Abfindung. Nicht einmal Spesenrechnungen wurden ihnen mehr erstattet.

Löw dagegen steckt das locker weg, nach weiteren Verkäufen 2016: „So lässt sich insgesamt sagen, dass die Medienaktivitäten, die ich unternommen hatte, zwar mit der DAPD ein jähes Ende fanden, andererseits aber sämtliche Verluste aus diesem Einzelgeschäft durch andere Geschäftstätigkeiten weit mehr als kompensiert wurden.“ Wie sagt er doch in der Bilanz: „Marode Unternehmen zu revitalisieren war und ist nicht nur ein Dienst am Mitarbeiter, sondern stellt eine der wichtigsten Aufgaben für die Gemeinschaft dar. Und diese Aufgabe ist uns allen, die wir daran mitgewirkt haben, so glaube ich, ganz gut gelungen.“ Nun ja.

Abrechnung

Nach der Schilderung der 59 Abenteuer rechnet Löw noch mit unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen ab, wie Freunden, Mitstreitern, Frauen, Banken, Staatsanwälten, dem Axel Springer Verlag und dessen CEO Mathias Döpfner. Löw schildert Rechtshändel mit zahlreichen Behörden und mehr oder weniger halbseidenen Geschäftsleuten, die sein Vertrauen in den Rechtsstaat nicht gerade gestärkt haben, wie er auch freimütig einräumt. „»Entscheider« in diesen großen Konzernen, waren ja selbst keine Unternehmer, sondern nur angestellte Manager, die, wie man schon ihrer Berufswahl entnehmen konnte, nicht bereit waren, große Risiken einzugehen.“

Bis zum Schluss bewahrt Löw sich „die Medienindustrie“ auf. Über deren Unternehmen urteilt er, dass sie „im Vergleich zum Rest des Wirtschaftslebens fast durchgängig in archaischen, extrem hierarchischen und ineffizienten Strukturen verharrten.“ Respekt gegenüber Journalisten kann er sich nicht abringen, weil sie schlecht bezahlt werden. Die Vorstellung, dass bei der Berufswahl auch andere Kriterien als übermäßige Kapitalanhäufung eine Rolle spielen könnten, ist ihm offenbar fremd. Und wenn man weiterliest, geht es in den Redaktionen anscheinend zu wie in der Bahnhofsmission: „Die meisten Journalisten, die wir kennenlernten, hatten gebrochene Lebensläufe. Abgebrochene Studiengänge, schlechte Examina, gestörtes Sozialverhalten, Kettenrauchen, Alkoholismus, hier kam alles zusammen.“ Daraus folgt für ihn, „dass diejenigen, die gute oder sehr gute Examina besaßen und sich damit gegenüber allen anderen bereits ausgezeichnet hatten, alles wurden, bloß eines nicht: Journalisten.“

Um Karriere zu machen, ist es „für den subalternen Journalisten also extrem wichtig, Nachrichten zu fabrizieren, die zu einer hohen Auflage führen können. Dies sind dann leider oft Beiträge, die die niedersten Triebe der Leser ansprechen.“ Warum er sich mit diesem Mindset eine Nachrichtenagentur gekauft hat, bleibt mir auf ewig ein Rätsel. Oder ich habe das Steuersparmodell noch nicht vollständig durchschaut.

Eine weitere Frage klärt das Buch: Was macht Martin Vorderwülbecke? Mit dem hätte ich gerne noch mal telefoniert. „Martin hat Anfang 2019 verkündet, dass er sich aus dem Restrukturierungsgeschäft zurückziehen werde. Er hat sich in Südamerika eine Farm so groß wie das Saarland gekauft, auf der er Tausende Rinder züchtet. Er hat sich dort sozial sehr verdient gemacht und für die Bevölkerung unter anderem einen Kindergarten und eine Schule aufgebaut, die er auch auf seine Kosten betreibt.“ Er kümmert sich außerdem um ein Niembaum-Projekt in Paraguay. Bei der dapd wollte er einen Betriebskindergarten aufmachen und in einem S-Bahn-Bogen gegenüber eine Kantine einrichten. Später, aber vor der Orientierung nach Südamerika, hat er noch die staatliche Fluggesellschaft Sloweniens, Adria Air, gekauft, die aber schon vor Corona zahlungsunfähig wurde.

Was mich noch beschäftigt, ist die Frage, wieso Löws erste Gesellschaft, die Certina AG (die es heute noch gibt (www.certina.de), aber ohne Löw) diesen Namen überhaupt tragen konnte. Ich habe das Wort immer mit der Schweizer Certina www.certina.com in Verbindung gebracht, die schöne Uhren macht. Aber vielleicht klärt mich ja irgend jemand auf.

Das Buch heißt übrigens „Flusenflug“, weil das bei den Unternehmenskäufern zu einem Synonym wurde für Einwände von branchen- oder firmeninternen Bedenkenträgern gegen offensichtliche Verbesserungsmaßnahmen. Es fiel von einem solchen Experten beim Erwerb und der Sanierung einer Textilfabrik. Würden ein ungefärbtes weißes und ein andersfarbiges Produkt auf zwei Produktionsstraßen nebeneinander gefertigt, könnten fliegende Flusen des farbigen das Weiß des anderen verunreinigen. Löw löste das Problem durch Aufspannen einer Folie zwischen beiden Straßen, die die Flugbahn der Flusen sperrte. Das Problem wiederum kenne ich auch: „Haben wir immer so gemacht.“

Disclaimer

Ganz am Ende der 416 Seiten bringt der Autor einen Disclaimer, den ich mir hiermit aus Respekt vor dem promovierten Juristen zu eigen mache, für meinen Zweck leicht modifiziert. Er steht wie ein Totem über seinem Buch, und so auch hinter meinem Text und erspart mir hoffentlich teure Post von Medienanwälten: „Alle Geschehnisse und Personen in diesem Buch sind frei erfunden. Soweit Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen oder Ereignissen auftreten sollten, so beruht dies alles nur auf reinem Zufall. Es existiert nur eine einzige Gewissheit, dass es mich, den Autor dieser Buchbesprechung, auch wirklich gibt.“

Peter Werner Maria Löw: Flusenflug – Die Bekenntnisse eines Firmenjägers. Hamburg: Osburg Verlag, 418 Seiten (E-Book), E-Book 12,99 Euro, Gebundene Ausgabe 24 Euro. ISBN-13 : 978-3955102333