Elektrifizierung der Stadtbusse kommt in Fahrt
Berlin, 21. März (ssl) Dass sich die Elektromobilität im Busverkehr etabliert, steht schon fest. Noch lange nicht beantwortet ist aber die Frage: Wie schaffen die Beteiligten eine wirklich intelligente Lösung, um dem Klimawandel angemessen zu begegnen und gleichzeitig das drohende Verkehrschaos in den Städten abzuwenden, sprich: die Städte wieder besser bewohnbar zu machen? Auf der BUS2BUS in Berlin, einer Messe mit Kongress- und Startup-Komponenten, versuchten Hersteller, Betreiber, Verbraucher und Zukunftsforscher von Dienstag bis Donnerstag eine Antwort zu geben.
Es gibt ernstzunehmende Statistiken, nach denen der Bus schon in seinen jetzigen Erscheinungsformen, also mit Diesel, bestenfalls vom Fahrrad in Sachen Umweltfreundlichkeit übertroffen wird. Das legt die Aussage nahe: „Wenn die Busse elektrifiziert werden, rettet das das Klima auch nicht“, wie es Martin Scharrer von dem französisch-türkischen Bushersteller Otokar provokativ formulierte. Weil die Reduzierung der Emissionen pro Personenkilometer relativ gering ist. Es muss trotzdem sein, denn sie fahren in hochverdichteten Gegenden. Die Notwendigkeit ergibt sich auch aus „weichen“ Eigenschaften der Elektromobilität. „Sie fahren leise und sauber, das freut die Anwohner“, sagte Stefan Bergold vom Darmstädter Batteriehersteller Akasol . Und es macht am Ende den Zwang glaubhafter, die Autos selbst zu elektrifizieren.
Redner im Zukunftsforum zeigten immer wieder das Bild, wie viel – oder wie wenig – Platz 60 Menschen auf einer fünfspurigen Innenstadtstraße brauchen. Fahren sie mit Autos, ist die Straße voll. Sie nehmen den anderen Verkehrsteilnehmern den Platz buchstäblich weg. Dabei ist es natürlich völlig gleichgültig, ob es sich beim Antrieb um Verbrennungs- oder Elektromotoren handelt. Mit dem Fahrrad wird es schon deutlich besser, aber mit dem Bus ist der Platzvorteil mit den derzeitigen Mitteln optimal ausgenutzt, wenn auch das Fahrrad bei den Emissionen besser dasteht.
Der Bus hat noch andere Vorteile, die sich nicht unbedingt in Kosten-Nutzen-Rechnungen niederschlagen. „Er ist eine Sozialisierungsmaschine“, nannte es der Zukunftsaktivist Ed Gillespie aus London . Er erzählte, dass er sich im Bus immer die Zeit damit vertreibt, die verschiedenen Sprachen zu identifizieren und zu zählen, die während der Fahrt gesprochen werden. „Ich komme leicht auf ein halbes Dutzend.“ Um klarzustellen: Er meinte das positiv. Er verschwieg nicht, dass ein ganz bestimmter Bus eine wesentliche Rolle bei dem erfolgreichen Versuch gespielt hat, die Briten zum Mehrheitsvotum pro Brexit zu bewegen – der Bus nämlich, auf dem Brexit-Vorreiter Boris Johnson die falsche Aussage hatte aufdrucken lassen, dass Großbritannien der EU 350 Millionen Pfund pro Woche überweist, die nach dem Brexit ins nationale, ohnehin schon kostenfreie Gesundheitssystem gesteckt werden könnten.
Wie auch immer, der Bus ist unabdingbar für die Verkehrswende. Und das gilt erst recht für den Elektrobus. In den letzten zwei Jahren klagten die Verkehrsbetriebe, die von der Politik getrieben wurden, auf den Elektrobus aufzuspringen, dass die Hersteller nicht lieferten, drohten sogar mit Bestellungen in China. Bestellungen in Polen setzten sie auch um. Die deutschen Hersteller sind inzwischen so groß, dass sie den Stadtbus, erst recht den elektrischen, als Nischenprodukt betrachten angesichts der Zahl von Lkws, die sie gleichzeitig produzieren. Grob gerechnet, fahren in Deutschland 35.000 Busse, davon etwas mehr als 300 elektrische und davon wiederum rund 100 Brennstoffzellenbusse, wie Maximilian Rohs von PriceWaterhouseCooper bei einem Podium berichtete. Die Zahl der Bestellungen insgesamt belaufe sich auf rund 3.500 vollelektrische.
Rohs sah die Aufgabe der Verkehrsunternehmen darin, ihre Rolle als Teil der Lösung und nicht des Problems offensiv auszusprechen. Gillespie zitierte einen Bürgermeister von Bogotà mit dem Satz: „Eine fortschrittliche Stadt erkennt man nicht daran, dass die Armen mit dem Auto in die Stadt fahren, sondern daran, dass die Reichen mit dem Bus fahren.“ Die Hersteller müssten jetzt zeigen, dass sie auch liefern könnten. Rohs gab sich zuversichtlich, dass sie das auch tun werden. Die Aufgabenträger müssten den Umstieg auf Elektromobilität „klar in die Pläne aufnehmen“ und die Finanzierung sichern, indem sie das mit der Politik vereinbaren.
Rohs lobte das Land Berlin, dessen Verkehrskonzept genau dies vorsieht. Hinsichtlich der Kosten war er etwas weniger zuversichtlich. Alle müssten sich klar darüber werden, dass die Wirtschaftlichkeit erst in der zweiten Runde der Innovationsspirale komme, wenn Angebot und Nachfrage exponentiell zu steigen begännen. „Treiber der Elektromobilität war nicht, es billiger zu machen, sondern das Klima zu schützen. Wer auf die Wirtschaftlichkeit wartet, wird in fünf Jahren feststellen, dass es zu spät ist.“
Aus der Praxis berichtete Daniel Hesse, der Leiter Alternative Antriebe der BVG . Deren Motto „Berlin steigt um“ beziehe sich einerseits auf den Umstieg von fossiler auf alternative Energie, was bis 2030 erledigt sein solle, und andererseits darauf, dass die Reisenden vom Auto auf nachhaltigere Verkehrsmittel umsteigen sollten. Der Berliner kommunale Verkehrsbetrieb unterhält jetzt rund 1400 Busse. Er hat zwar dem Brennstoffzellenantrieb nach wenig zufriedenstellenden Versuchen nur noch einen „Beobachten wir“-Status zugewiesen, zeigt sich aber offen für voll elektrischen Betrieb mit Gelegenheitsladung (Stromabnehmer oder Induktionsfelder mit Ladepunkten an Haltestellen) oder Depotladung (mit größerer Batteriekapazität) und sogar für weiterentwickelte Trolleybus-Modelle. „2030 wollen wir 1700 bis 1800 E-Busse haben. 2021 sollen es 230 sein, denen pro Jahr 150 bis 180 folgen.“
Den Anfang macht die BVG laut Hesse Ende März mit 15 Hackis (Mercedes-Benz Standard-Zweiachser ) und 15 Schlenkis (Gelenkbusse von Solaris ), wie der Berliner sagt . Was all das am Ende kostet, einschließlich der neuen Wartungs- und Ladungs-Infrastruktur, konnte Hesse nicht sagen. „Wir sind unsicher. Es wird nicht unter einer Milliarde, aber hoffentlich nicht mehr als fünf Milliarden Euro kosten.“ Die „Königsdisziplin“ (Rohs) ist dabei offenbar die Elektrifizierung der „Großen Gelben“, also der Doppeldecker. Aber in London fahren die doch schon hybrid bis elektrisch? Die Berliner seien nicht mit ihren Londoner Artgenossen zu vergleichen, sagte Hesse, denn die seien weit kleiner und führen kürzere Strecken. „Wir wollen mindestens 110 Fahrgäste in einen Bus bekommen.“ Die Londoner Verbrenner-Varianten fassen 87 Menschen. Michael Gruber vom schottischen Hersteller Alexander Dennis erläuterte, dass bei diesen Bussen die Batteriekapazität größer sein müsste. Jedoch falle das Dach als Platz für die Batterien aus. Durch das große Zusatzgewicht ergebe sich möglicherweise ein Problem mit der Achslast, was Grenzen in der Abnutzung der Straßenbeläge, aber auch bei der Tragfähigkeit von Brücken bedeute.
Auf dem Land werde alles noch ein wenig länger dauern, hauptsächlich wegen des Reichweiten-Problems, sagte Batterieexperte Bergold. Allerdings stelle sich dort das Feinstaub- und Klimaproblem auch nicht im gleichen Maß wie in der Stadt. „Die Leute sind ja froh, wenn überhaupt ein paar Mal am Tag der Bus kommt.“ Bergold sagte voraus, die Batterieentwicklung sei in zwei bis drei Jahren so weit fortgeschritten, dass sich in Bussen sichere Reichweiten von 350 Kilometer mit vertretbarem Batteriegewicht erzielen ließen.
In den nächsten Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, wird die deutsche Busflotte aus einem Mix der verschiedenen Antriebsarten bestehen, darunter mit Sicherheit auch den bisherigen Dieselbussen. „Eine hundertprozentige elektrische Traktion bei Bussen ist noch sehr weit weg“, sagte Rohs. „Aber bis 2030 werden wir signifikante Anteile sehen.“
Und die ersten Überlegungen beschäftigen sich schon mit den Überlandbussen. Eine Hybridvariante werde dort zwar nicht genau dieselbe „Arbeitsteilung“ wie bei großen Pkw beinhalten, nämlich beim Beschleunigen den Spritverbrauch senken helfen. Aber die Möglichkeit, beim Erreichen der Stadtgrenze von Verbrennungs- auf Elektroantrieb umzusteigen, um die Teilstrecke bis zum innerstädtischen Busbahnhof emissionsfrei zu absolvieren, das sei durchaus denkbar. Es ist aber eine Kosten-Nutzen-Frage.
Und hier noch schnell die Antwort Ed Gillespies, des “Facilitators” aus London, auf die Frage, wie er sich den Busverkehr 2050 vorstellt: “Wir werden wahrscheinlich kleinere, elektrisch betriebene Fahrzeuge erleben. Vielleicht wird es noch nicht einmal mehr fest Routen geben, stattdessen werden die Fahrgäste von intelligenten Algorithmen viel flexibler und dynamischer durch den Verkehr geleitet als heute. Mobilität wird anders erfahren werden, und es werden generell weniger Fahrten erforderlich sein.” Oder, um es kurz zu machen: “It’s time to get on the bus now.“
(Transparenzhinweis: Der Autor hat im Auftrag der Messe Berlin GmbH Texte für den Daily Newsletter er BUBS2BUS verfasst.)