Elektromobilität für große Linienbusse: Stand der Dinge
Berlin, 12. Dezember (ssl) Der Dieselskandal hat ein Gutes: Er bringt die Diskussion über Elektromobilität in den Städten ein großes Stück weiter. Zwar sind sich alle Beteiligten einig, dass allein mit Elektrobussen die Stickstoffemissionen nicht unter die gesetzlichen Grenzen zu bringen sind, aber die Umstellung kann einen nennenswerten Beitrag dazu liefern. Vor allem aber soll schnell Geld fließen: Die öffentliche Hand und die Autoindustrie stellen eine Milliarde Euro für die Kommunen zur Verfügung, um diese Umstellung voranzutreiben. National und international sind Betreiber mit Pilotprojekten, aber auch schon mit ganzen Netzen elektrischer Busse unterwegs. Sie alle wünschen sich auch von der deutschen Industrie ein marktgerechtes Angebot.
Das größte Stadtbusnetz im deutschsprachigen Raum
Exemplarisch zeigen sich Herausforderungen und Chancen der Elektromobilität im wichtigsten Marktsegment, dem der großen Linienbusse, bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG). Rund 1.400 Busse betreibt die BVG in der deutschen Hauptstadt. Das Netz gilt als das größte im deutschsprachigen Raum. Auf der Innenstadtlinie 204 zwischen dem Bahnhof Zoologischer Garten und dem Bahnhof Südkreuz fahren seit Sommer 2015 vier Elektrobusse, die induktiv, also kontaktlos an den Endhaltestellen geladen werden. Sie wurden bereits 2014 im Rahmen eines Förderprojektes beschafft. Das Projekt endete im September 2016, die Busse fahren aber auf Kosten der BVG weiter.
Das öffentlich-rechtliche Unternehmen sondiert gleichzeitig den Markt, indem es Elektrobusse verschiedener Hersteller zeitlich begrenzt, meist zwei Wochen, im Linienbetrieb testet. Zehn Herstellerfirmen bekundeten Interesse. Sechs Fahrzeuge fuhren bereits im Realbetrieb auf der Linie 204.
Testlabor der BVG ist aber nicht nur die Straße. Sie forscht auch im Rahmen des Forschungscampus Mobility2Grid und arbeitet dabei mit weiteren Projektpartnern zusammen. Dabei geht es unter anderem um die Weiterentwicklung und Erprobung der bi-direktionalen Ladefähigkeit einer Fahrzeug-Traktionsbatterie, also um die Fähigkeit der Batterie, während der Fahrt etwa beim Bremsvorgang oder bei Bergabfahrt Energie zu speichern. Machbarkeitsstudien und Technologiebewertungen zu Ladeinfrastruktur, Ladekonzepten, Ladestrategien im Flottenbetrieb, Speicherkonzepten und SmartGrid-Integration stehen auf dem Forschungsprogramm. Da Elektromobilität weit mehr ist als nur die Anschaffung von Fahrzeugen, erarbeitet die Forschungsgruppe auch ein Elektrifizierungskonzept „Modellbetriebshof“.
Das beginnt beim Laden der Fahrzeuge. Soweit sie nicht für die induktive Aufladung ausgerüstet sind, brauchen sie Steckdosen, deren Kapazität weit über die herkömmlicher Energieversorgungs-Schnittstellen hinausgehen muss.
Die Testbusse holen sich daher ihren Strom nachts in einem etliche Kilometer entfernten Betriebshof, der dafür eigens umgebaut werden musste. Umstellungen gab es wegen der geringeren Reichweite der Elektrobusse auch bei der Linienplanung. Als erste Erfahrung des Betriebs auf der Linie 204 resümiert BVG-Chefin Sigrid Evelyn Nikutta: „Am Ende des Forschungsprojekts stand die Erkenntnis: Der Betrieb mit elektrisch angetriebenen Bussen funktioniert, wenn die technischen Systeme passen.“
In Maastricht funkt es schon
Dagegen sind im Nachbarland Niederlande Busse mit Pantographen, also Stromabnehmern auf dem Dach, bereits Alltag. In Maastricht, der Hauptstadt der Provinz Limburg, betreibt Arriva, die Tochter der Deutschen Bahn für den Personenverkehr im Ausland, den ÖPNV. Der öffentliche Nahverkehr in Maastricht soll ab der Jahreswende 2018/19 komplett emissionsfrei fahren, die gesamte Provinz bis 2025/26.
44 Maastrichter Busse kommen nicht nur nachts an die „Steckdose“. Energie erhalten die Akkus auch beim Bergabfahren oder Bremsen. Und vor allem ziehen sie auch tagsüber bei Zwischenstopps an einigen Haltestellen Strom. Das muss sein, denn die tägliche Tour umfasst bis zu 300 Kilometer, der Speicher reicht aber bislang nur für 150 Kilometer. Der Bus fährt an der Haltestelle unter eine galgenähnliche Konstruktion und dockt dort mit dem Dachstromabnehmer an. Nach 28 Minuten hat der Schnelllader die Speicher wieder aufgefüllt.
Die Fahrt im Bus ist erstaunlich leise. Der Fahrer sagt im Gespräch, dass es ihm Spaß mache, einen Elektrobus zu fahren, weil er so schnell beschleunige und weil man bei Bergabfahrt oder Verlangsamung den Ehrgeiz entwickele, Strom in die Batterie zurückzuschicken: Wenn kein „Gas“ gegeben wird, laden die Raddrehungen wie beim Dynamobetrieb den Speicher ebenfalls auf. Aber Fahren und Starten seien völlig anders als im Dieselbus, eher wie beim Hochfahren eines Computers. Auch Anne Hettinga, Vorstandsvorsitzender von Arriva Nederlands. sagt: „Die Umstellung auf Elektrobusse ist mehr als nur eine neue Technologie. Es ist ein Systemwechsel. Alles ist verschieden.“ Zunächst gab es noch einige Dieselbusse als stille Reserve, aber seit die Kinderkrankheiten einigermaßen verschwunden seien, würden sie in den ländlichen Raum verbannt. „Wir hatten bei den Elektrobussen nur einige kleinere technologische Probleme.“
Forderungen an die Hersteller
Allerdings mahnt Arriva auch intensivere Aktivitäten der Industrie an. Es gebe noch keinen Bus mit mehr Komfort, der etwa den Einsatz auf ländlichen Strecken ermögliche. Guido Verhoefen, der Leiter Marketing und Geschäftsentwicklung von DB Regio Bus, vermisst ebenfalls die Massenverfügbarkeit der Fahrzeuge. „Das leisten die konventionellen Hersteller“ – damit meint er die großen deutschen wie EvoBus oder MAN – „derzeit nicht. Unkonventionelle Hersteller, beispielsweise aus China, dagegen könnten das schon.“ DB Regio Bus mit seinen über 40 Busgesellschaften und Beteiligungen mit insgesamt rund 13.000 Bussen, davon 5.000 eigenen, ist kein kleiner Kunde der Industrie.
Das Hauptproblem der Nahverkehrsbetriebe aber ist die Reichweite. Sie liegt noch weit unter der von Dieselfahrzeugen, was hohe Kosten für die Infrastruktur zur Folge hat. Bei der derzeitigen Verfügbarkeit der Ladeinfrastruktur ist sie für die Bedürfnisse, etwa von DB Regio, zu gering. Verhoefen: „Wir haben längere Umlaufzeiten als beispielsweise Busse in Städten mit einem engeren Netz. Zurzeit gibt es keine externe Infrastruktur – also etwa Ladestellen außerhalb der Betriebshöfe -, mit der das Problem gelöst werden könnte.“ Beim Aufbau leiste DB Regio Bus mit seiner Expertise gerne Unterstützung.
Die BVG beispielsweise wünscht sich darüber hinaus effiziente Heizsysteme. Die Heizung eines Linienbusses ist nicht trivial. Zwar muss es darin im Winter nicht so warm sein wie im Wohnzimmer, doch verursacht das großflächige Öffnen der Türen an den Haltestellen einen schnellen Luftaustausch, der die Busheizung wirklich fordert. Kommt die Heizenergie auch von den Akkus, sinkt die Reichweite in der kalten Jahreszeit drastisch – ein Problem, das ähnlich auch von Elektro-Pkw bekannt ist.
Die Lösung dieses Problems gehen die Betreiber heute noch unterschiedlich an: Manche Busse haben eine kraftstoffbetriebene Zusatzheizung an Bord, die natürlich Emissionen verursacht, wenn auch weit geringere als ein Diesel-Antriebsmotor. Andere beziehen den Heizaufwand in ihre Reichweitenberechnung mit ein.
Sowohl die Berliner Verkehrsbetriebe als auch DB Regio legen großen Wert auf einheitliche Ausführungen der Schnittstellen zur Infrastruktur, etwa bei der Positionierung des Ladesteckers oder des Pantographen. Insgesamt muss die Fahrzeug-, Batterie- und Ladetechnik standardisiert werden, wie es ja bei den Verbrennungsmotoren weitgehend der Fall ist.
Diese Forderung geht nicht nur an die Industrie, sondern auch an die Politik, die diese Normierung in Gesetze, Verordnungen und Ausführungsbestimmungen fassen muss. Ferner müssen Service, Ersatzteilversorgung, Software, Diagnose, Dokumentation sowie Kommunikation sich bessern. Das gilt für diejenigen, die bereits jetzt Elektrobusse anbieten, wie polnische und chinesische Hersteller. „Wir können es uns nicht leisten, monatelang auf ein kleines Ersatzteil aus China zu warten und die Busse so lange stillzulegen“, sagt Verhoefen.
Schließlich sorgen die Kosten zurzeit bei allen Beteiligten noch für Probleme. Elektrobusse sind deutlich teurer als konventionelle. Das liegt wie bei den Pkw weniger am Material – im Prinzip sind Elektromotoren günstiger als die heutigen vielfach optimierten Verbrennungsmotoren – als daran, dass von Serienfertigung noch nicht die Rede sein kann. Die Lebenszykluskosten (LCC) sind aus denselben Gründen derzeit zu hoch, wobei hier besonders die aufwendigere Infrastruktur zu Buche schlägt.
Die Zukunft fährt elektrisch
Wann Elektromobilität im kommunalen Busbetrieb zur Selbstverständlichkeit wird, hängt von vielen Faktoren ab. Die technische Entwicklung bei den Batterien ist einer davon, die Bereitschaft der Industrie, das Risiko der Fahrzeugentwicklung bis zur Serienreife einzugehen, ein anderer. Um die zu beschleunigen, haben sich große Betreiber in Deutschland zusammengeschlossen. BVG-Chefin Nikutta: „Im August 2016 unterzeichneten Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller und sein Hamburger Amtskollege Olaf Scholz … eine Absichtserklärung zur künftigen gemeinsamen Beschaffung emissionsfreier Busse durch die jeweiligen landeseigenen Verkehrsunternehmen (BVG, Hamburger Hochbahn und VHH).“
Die drei Unternehmen stehen immerhin für eine Flotte von knapp 3.000 Bussen. Weitere Großstädte, darunter München und Köln, haben sich der Initiative angeschlossen. „Durch die Formulierung gemeinsamer Grundanforderungen an die künftigen Serienfahrzeuge sollen unnötige Barrieren abgebaut und die Hersteller ermutigt werden, schnell marktgerechte und ausgereifte Busse anzubieten. Unsere gemeinsame Botschaft lautet: Der Markt ist da, wir brauchen jetzt serienreife Busse zu marktgerechten Konditionen“, erklärt Nikutta. Es gehe jetzt nicht mehr „um handgefertigte Kleinserien“.
Auf Jahreszahlen will sich die BVG noch nicht einlassen: „Eine große E-Omnibusflotte kann erst aufgebaut werden, wenn die Zuverlässigkeit der E-Busse mindestens so hoch ist wie bei den Diesel-Bussen und die Lebenszykluskosten stark reduziert werden“, antwortet sie vorsichtig auf die Frage nach der Perspektive. Aber das Unternehmen ist vorbereitet: „Die Verträge zur Dieselbus-Beschaffung sind variabel gestaltet, so dass hier eine Flexibilität gegeben ist.“
Von solchen Verträgen berichtet auch DB Regio Bus: Es gebe Ausschreibungen, die „neben konventionellen Bussen – meist mit Euro-VI-Norm – die Option offen lassen, während der Laufzeit in Gespräche über den Umstieg auf Elektromobilität einzutreten“, sagt Verhoefen. Mit solchen Gesprächen werde derzeit begonnen. Aber „die Verkehrsverträge, die wir jetzt abschließen, laufen meist über zehn Jahre. Vor 2027/28 sehen wir also vermutlich nicht viele Elektrobusse“, räumt Marketingchef Verhoefen ein. „Wir beginnen derzeit mit Gesprächen über die Umstellung auf Elektromobilität. Wir schauen nach Pilotprojekten, die für uns infrage kommen.“ Aber einen Masterplan Elektromobilität gebe es noch nicht.
Die Politik ist gefragt
Die Politik dagegen nennt schon Jahreszahlen: Beim Dieselgipfel im Spätherbst 2017 verkündete Müller, dass Berlin und Hamburg ab 2020 keine Neubestellungen für Busse mit Verbrennungsmotor mehr auslösen wollen. Dieser Satz muss allerdings genau gelesen werden. Er bedeutet keineswegs, dass ab 2020 nur noch E-Busse in den Städten leise vor sich hinsummen. Er bedeutet, dass von diesem Datum an keine Bestellungen mehr aufgegeben werden. Wie viele laufende Bestellungen konventioneller Busse dann im Zuge der normalen Erneuerung noch abgearbeitet werden, ist damit nicht gesagt. Auch sagt Müller nicht, auf welchen Lieferzeitraum sich die erste Bestellung von Elektrobussen nach 2020 bezieht.
Verhoefen verweist auf Schleswig-Holstein. Die dortige Jamaika-Koalition ermutigt Schritte der Kommunen und Regionalverbände zur Elektromobilität ausdrücklich. Es gebe Aufgabenträger, die die Elektromobilität in ihre Ausschreibung mit einbeziehen wollen, sagt der DB-Regio-Bus-Marketingchef. Auslöser dafür ist neben der politischen Orientierung der Partner die im Land reichlich vorhandene Windkraft.
Wie Hettinga bemerkte, geht es hier nicht nur einfach um einen neuen Motor, sondern ein ganzes System wird umgekrempelt. Dass dabei der möglichst ordnenden Hand der Politik eine verantwortungsvolle Aufgabe zukommt, zeigt sich am deutlichsten in der neuen Infrastruktur. Die Standardisierung ist nicht nur deshalb dringend nötig, damit alle Anbieter einheitliche Schnittstellen vorfinden. Nur so können sie fast überall in den Wettbewerb eintreten, wenn sie wollen. Standards werden auch deshalb gebraucht, weil nicht überall klar ist, wer für welchen Teil des Systems steht. Ein Vergleich: Bei Ausschreibungen im Schienenpersonennahverkehr stellt der Aufgabenträger normalerweise die Infrastruktur, also den Fahrweg. Bei Bussen war es bisher das allgemein verfügbare „Straßenland“, das im Prinzip ausreicht, um Dieselbusse zu betreiben. Anders bei der Elektromobilität: Hier gibt es nun die Möglichkeit, die Ladeinfrastruktur als Leistung des Aufgabenträgers zu betrachten oder sie als Leistung des Auftragnehmers einzufordern. Beides erfordert die Einheitlichkeit der Schnittstellen, etwa zwischen Pantograph und Versorgungsmast. Hier ist die Politik zusammen mit den Herstellern gefordert.
(Hinweis: Dieser Beitrag wurde im Auftrag der Berliner Messe GmbH für das Marketing der BUS2BUS-Messe erstellt und wird zusätzlich von dort aus veröffentlicht. Teile davon wurden bereits in der Nürnberger Zeitung und werden in der Zeitschrift des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen “VDV – das Magazin” veröffentlicht.)