Uwe Radas „Spree“ in der Reihe „European Essays“
Berlin, 5. Mai (ssl) Die Spree ist, glaubt man Uwe Rada, „ein weitgehend unbeschriebenes Blatt“. So hat er in der Reihe „European Essays on Nature and Landscapes“ des KJM-Verlags ein Buch über die Spree geschrieben. Wer es liest, bekommt Mitleid mit dem geschundenen Fluss, der mehrere Weltnatur- und -kulturerbestätten durchfließt und dennoch selbst in seiner Existenz bedroht ist.
© KJM Buchverkag
So ganz stimmt das mit dem unbeschriebenen Blatt nicht. Wahrscheinlich ist über die Spree nicht so viel geschrieben und gesungen worden wie über den Rhein, aber einer der fünf Bände von Theodor Fontanes weltberühmten „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ heißt immerhin „Spreeland“. Der Dichter war Mitglied in einer literarischen Gesellschaft namens „Tunnel über der Spree“. beschreibt darin natürlich nicht nur den Fluss, aber was wäre ein Fluss ohne die sie umgebende Landschaft? Erst recht die Spree, die Mittel und Süd-Brandenburg entscheidend mitgeformt hat und Namensgeberin war für den ebenfalls oft beschriebenen Spreewald, eines der größten europäischen Binnendeltas.
Rada, der eigenen Angaben zufolge an der Spree wohnt, baut einen Gegensatz zu der Havel auf, die allgemein für viel romantischer angesehen werde. Da könnte man tatsächlich drüber streiten1. Wie auch immer: Der Autor leistet eine kohärente Beschreibung der ziemlich großen Probleme, mit denen die Spree und ihre Landschaft aktuell zu kämpfen hat. Sei es die Frage, ob sie künftig überhaupt noch bis zu ihrer derzeitige Mündung in besagte Havel erreicht, wenn aus ihrem Grundwasser der Ostsee gespeist wird.
So heißt ein großes stehendes Gewässer in der Lausitz, das eine ehemalige Braunkohlentagebaugrube füllt. Der Ostsee wird zu einem ausgedehnten Naherholungsgebiet. Seine Oberfläche ist so groß, dass möglicherweise mehr Wasser aus ihm verdunstet als die Spree und das umgebende Grundwasser nachliefern können, erst recht, wenn die Folgen des Klimawandels die Temperaturen steigen und die Niederschlagsmengen sinken lassen.
In Konkurrenz zu Kanälen
Ob das wirklich so kommt, darüber streitet die Wissenschaft. Aber auch die Industrie in Gestalt des Tagebaukonzerns Leag, der eine sehr gewichtige, nicht immer transparente Rolle bei der Neugestaltung des Braunkohlerevier spielt. Was das für den Spreewald bedeutet, ist auch noch offen.
Weiter unten schlängelt sich der Fluss durch die Hauptstadt. Die Spree tut das heutzutage in Konkurrenz zu zahlreichen Kanälen und eben der Havel, anders als der Rhein in Köln oder der Main in Frankfurt, ohne dessen Flussquerung die Stadt gar nicht erst entstanden wäre. Aber so ganz unbedeutend, wie Rada sie darstellt, kann das Gewässer auch in Berlin nicht sein, haben die Bewohner ihre Stadt doch mit zweitem Namen Spree-Athen getauft.
Und die Museumsinsel in ihr ist ein bedeutendes Kulturerbe. Aber vielleicht sind die dort verwahrten Kunst- und Kulturschätze doch nicht so bedeutend, wenn wir hören, dass der Chef der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, den Titel „Weltkulturerbe“ in Gefahr sieht, wenn an der Museumsinsel eine Flussbadeanstalt eingerichtet wird? Der Streit darum dauert nun schon mehrere Jahre, ohne dass das Spreewasser an der fraglichen Stelle bereits Badewasserqualität hätte, jedenfalls nicht nach längeren Niederschlägen?
Noch ein kleines Stück weiter unten dokumentiert die Spree ihre traurige Vergangenheit als Grenzfluss zwischen zwei Machtblöcken des Kalten Krieges. Zwischen Reichstag und Berliner Ensemble erschossen Grenzer aus dem Osten in der Spree etliche DDR-Flüchtlinge. Heute flanieren an den Ufern Tausende Touristen.
All das beschreibt Rada in seinem Essay mit etlichen Verweisen zum Vertiefen der Geschichte der Spree. Es ist gut, wenn viele das lesen, weil es die manchmal fatalen Interessenkonflikte im Landschafts-, Natur- und Denkmalschutz beschreibt. Sehr nachvollziehbar ist Radas Schilderung der verschiedenen Initiativen, ob von der Industrie oder angeblichem Bürgerinteresse getrieben, die angeblich das Beste für die Flusslandschaft wollen, tatsächlich aber Eigeninteressen verfolgen, sodass am Ende wohl wieder der Zahn der Zeit über die Zukunft der Spreelandschaft entscheidet. Was vielleicht nicht das Schlechteste sein muss.
Rada, Uwe: Spree. Aus der Reihe „European Essays on Nature and Landscape“. Hamburg: KJM Buchverlag 2025. Gebunden mit Lesezeichen, 144 Seiten, zahlreiche Karten und Abbildungen, 22,–€. ISBN 978-3-96194-251-0. www.europeanessays.eu
1Spoiler: Der Autor dieser Zeilen wohnt nahe der Havel.