Industrie, Betreiber und Verbände erinnern künftige Regierung an Wahlversprechen
Berlin, 26. September (ssl) Mehr Schiene dank Jamaika? Seit Jahrzehnten versprechen Politiker „Mehr Verkehr auf die Schiene“: Heute nennen wir diese Forderung „Verkehrswende“. Geschehen ist trotz aller Sonntagsreden zu wenig, meinen Verbände, Industrie und Betreiber im Schienenverkehr, wobei sich viele von ihnen nicht auf die Schiene allein konzentrieren, sondern durchaus eine Wende hin zu vernetzter, intelligenter Mobilität meinen.
Ein breites Bündnis legte deshalb am Dienstag (26. September) einen Forderungskatalog „Fahrplan Zukunft – Die wichtigsten verkehrspolitischen Forderungen an den Bund 2017-2021“ vor. Sie leiten sich von den Wahlprogrammen ab, in denen die bislang im Bundestag vertretenen Parteien sich weitgehend den wesentlichen Forderungen zugeneigt gezeigt hatten: „Halbierung der Schienenmaut (=Trassengebühren, TR), Einführung des Deutschland-Takts und Investitionsoffensive“, wie es Dirk Flege zusammenfasste, der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, um deren Mitglieder es sich im wesentlichen handelt.
Positiv registrierten die Beteiligten, dass Kanzlerin Angela Merkel in ihrer ersten Pressekonferenz nach der Wahl den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) als wichtiges Handlungsfeld erwähnt hat. Die neue Lage erfordere es, sich mehr dem Lebensalltag der Menschen zuzuwenden, sagte etwa Jürgen Fenske, der Präsident des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Dazu gehöre ganz eindeutig der ÖPNV.
Er bemängelte, dass bei Diskussionen über Elektromobilität regelmäßig vergessen werde, dass ein großer Teil der Mobilität bereits elektrisch abgewickelt werde, nämlich in Bahnen mit elektrischem Antrieb. Es trüge wenig zur Auflösung der Staus in den Städten bei, wenn lediglich die Antriebe in den Fahrzeugen ausgetauscht würden, meinte er. Die Schiene könnte noch effektiver zur Klimaverbesserung betragen, wenn in Deutschland mehr Bahnstrecken elektrifiziert würden. Er forderte eine Steigerung der Elektrifizierung um zehn auf 70 Prozent des Schienennetzes. Vor allem aber forderten die Kunden „Kapazität und noch mal Kapazität“. Der Wunsch nach mehr und häufigeren Verbindungen rangiere weit vor der Digitalisierung, sagte Fenske und mutmaßte, dass manche Fördermittel wegen der entsprechenden Fehleinschätzung durch die Politik in die falsche Richtung vergeben würden.
Der Leiter der Mobility Division von Siemens, Manfred Fuhg, sagte: „Wir brauchen intelligente Lösungen.“ Dabei durfte natürlich das elektronische Zugkontrollsystem ETCS nicht fehlen, dessen Einführung in Europa sich zu lange hinziehe. Fuhg räumte ein, dass das System Schiene vor allem auf der „letzten Meile“ Schwächen habe, also nicht den Verkehr direkt von Haus zu Haus leisten könne, sondern dass dafür andere Verkehrsträger infrage kämen. Diese müssten mit den Schienenverkehrsmitteln aber intelligent vernetzt sein. Fuhg forderte„Testfelder“ für autonomes Fahren auf den Schienen analog zum Straßenverkehr.
Für die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG sprach Vorsitzender Alexander Kirchner von einem „Grundrecht auf Mobilität“. Die Politik müsse auch künftig dafür sorgen, dass der Standort Deutschland eine zentrale Rolle in allen Belangen der Eisenbahn spiele. Dazu sei es unter anderem geboten, den erst kurz vor der Wahl von Verkehrsminister Alexander Dobrindt vorgestellten „Masterplan Schienengüterverkehr“ nicht in der Schublade verschwinden zu lasen, „sondern ihn zügig umzusetzen und in den Haushalten die erforderlichen Mittel einzustellen“. Auch für den Personenverkehr müssten die Trassenpreise gesenkt werden, verlangte er. Für das kommende Jahr erwarte er einen „Zielfahrplan“ zur Umsetzung des Deutschlandtaktes unter Einbeziehung des Güterverkehrs.
Schließlich taucht in den Forderungen auch der Gottseibeiuns der Allianz pro Schiene auf: der Lang-Lkw, vulgo Gigaliner. „Den Lang-Lkw-Einsatz auf den Vor- und Nachlauf im Kombinierten Verkehr beschränken“, lautet eine Forderung, die noch negativ gefasst ist („beschränken“), aber immerhin. Die Allianz hat einen jahrelangen erfolglosen Kampf gegen die Gigaliner geführt, bis die überlangen Lastzüge schließlich Anfang dieses Jahres vom Feldversuch zum Regelverkehrsmittel wurden, sich dadurch aber auch nicht wesentlich vermehrt haben.