Charité und BVG starten Modellversuch mit vier Bussen – Heftige Kritik an deutscher Industrie
Berlin, 31. Juli (ssl) Verbunden mit heftiger Kritik an der deutschen Autoindustrie haben die BVG, die Charité und das Land Berlin am Montag den Startschuss für einen Modellversuch mit autonomen Kleinbussen in der Hauptstadt gegeben. Zugleich zog die BVG eine positive Bilanz der ersten Buslinie in Berlin, die mit vollelektrischen Fahrzeugen in Standardgröße, allerdings nicht autonom, betrieben wird.
Vier kleine autonome, elektrisch betriebene Busse sollen ab Frühjahr 2018 in den beiden Campi der Charité in Berlin-Mitte und Virchow-Klinikum Besucher, Personal und Patienten transportieren. Der Versuch trägt den Namen „STIMULATE“. Charité-Chef Karl Max Einhäupl bezeichnete die Testfelder als „kleines Abbild der Stadt“, auf dem die elfsitzigen Busse beweisen könnten, dass sie den Alltagsverkehr bewältigen könnten, einschließlich der Sonderregelungen für Fahrzeuge mit Blaulicht, die hier besonders häufig anzutreffen sind. Einhäupl äußerte die Hoffnung, dass eines Tages auch die Waren mit autonomen Fahrzeugen transportiert werden könnten. Er versicherte zugleich, dass dabei „niemand entlassen werden soll; wir haben ohnehin zu wenig Personal“.
Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), warf der deutschen Autoindustrie vor, zu wenig zu tun, um die Elektromobilität im öffentlichen Personennahverkehr voranzubringen. „Sie läuft Gefahr, den Anschluss zu verpassen“, sagte er. Der Dieselskandal sei dabei nur ein Aspekt unter vielen. Müller wies darauf hin, dass Berlin und Hamburg eine „Einkaufsgemeinschaft“ gegründet haben, um bei Bestellungen elektrisch angetriebener Busse mit größeren Stückzahlen mehr Gewicht auf die Kundenseite zu bringen. „Wir werden nicht auf andere warten“, versprach der Regierungschef. Das Land Berlin werde in den nächsten Monaten und Jahren „an vielen Stellen in der Stadt“ die Impulse aufnehmen, die aus diesen Modellversuchen kämen. Berlin solle bis 2050 zu einer klimaneutralen Stadt werden. Am Rande der Veranstaltung äußerte Müller Zweifel, ob ein Fahrverbot für Euro-5-Diesel in der Stadt realisierbar sei, angesichts rund 80.000 Gewerbetreibender, die auf ihre Dieselfahrzeuge angewiesen seien.
„Kartell zur Verhinderung der Elektromobilität“?
Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne), die zugleich Aufsichtsratsvorsitzende der BVG ist, sekundierte ihm, indem sie mutmaßte, die deutschen Unternehmen würden auch ein „Kartell zur Verhinderung der Elektromobilität“ bilden. So gebe es bisher kein deutsches Familienauto mit Elektroantrieb zu einem vernünftigen Preis.
Henrik Haenecke, BVG-Vorstand für Digitalisierung, Finanzen und Vertrieb, erinnerte daran, dass Berlin schon seit mehr als einem Jahrhundert Vorreiter in Sachen Digitalisierung sei: „Die erste elektrische Straßenbahn fuhr 1888, die erste U-Bahn in Deutschland 1902.“ Die BVG betreibe bereits seit fast zwei Jahren eine elektrifizierte Buslinie mit kabellosen Ladestationen. Sein Unternehmen würde gerne mehr Elektrobusse einsetzen, „wenn es sie denn gäbe“. Der jetzt beginnende Feldversuch in den Campi sei ein Signal dafür, dass das autonome Fahren bald real ist. Er könne sich Einsätze als „On-demand-shuttle“ vorstellen, also Einsätze in verkehrsarmen Gebieten oder Zeiten, die den BVG-Kunden direkt an der Haustür abholten und zu „großen“ Fahrzeugen brächten. „Ziel ist, dauerhaft weniger Autos in der Stadt zu haben.“
Antworten auf die Frage, ob die Fahrgäste so etwas auch annehmen, soll der Versuch auf dem Charité-Campus bringen. Entsprechende Studien werden den Modellversuch begleiten. Die beiden Busse, die am Montag für Fotografen schon mal die Strecke in Mitte abfuhren, wurden von zwei französischen Firmen leihweise zur Verfügung gestellt. Es ist aber laut BVG-Sprecherin Petra Reetz noch nicht entschieden, welche Firma den Zuschlag für die vier Busse bekommt, die schließlich ab Frühjahr 2018 den Versuchsverkehr aufnehmen. Auch die Fahrten am Montag waren nicht „echt“. Da die Busse erst lernen müssen, wie sie fahren können/sollen/dürfen, musste noch ein Mensch sie bedienen, der das schon gelernt hatte. Der Modellversuch wird vom Land und vom Bundesumweltministerium gefördert. Auf dem Euref-Campus in Berlin-Schöneberg läuft bereits ein ähnlicher Versuch.
Test mit Batterie-Großbus erfolgreich
Der Versuch mit den vier Elektrobussen auf der Linie 204 (http://e-bus.berlin/) vom Bahnhof Zoologischer Garten zum Bahnhof Südkreuz sei erfolgreich verlaufen, erklärte BVG-Sprecherin Petra Reetz auf Nachfrage. Er war im September 2015 mit einigen Anfangsschwierigkeiten verbunden, aber mit der Zeit wurde er zur Routine. „Selbst der Starkregen hat ihnen nichts ausgemacht“, sagte sie. Sie verwies allerdings darauf, dass die polnischen Busse gewissermaßen handgefertigt seien und das Drei- bis Vierfache eines Standardbusses kosteten. „Aber jetzt sind sie bezahlt, und wir fahren sie weiter.“ Fahrgäste wie Fahrer seien hochzufrieden mit den Bussen, die Passagiere lobten besonders, dass die Maschinen sehr leise seien. Berlin und Hamburg bereiteten eine gemeinsame Bestellung für Elektrobusse vor, aber in Deutschland gebe es bisher keinen Hersteller. „Es gibt nichts“, sagte sie. In China seien Busse mit Austauschbatterien im Einsatz, was als Alternative durchaus in Erwägung zu ziehen sei. „Da müssten aber die Depots grundlegend umgestaltet werden.“ Es gehe insgesamt eben nicht nur um die Busse, sondern auch um grundlegende Umstrukturierungen der Infrastruktur.