„Wann wird der erste Botschafter zurücktreten?“
Berlin, 17. April (ssl) Der deutsche Diplomat Wolfgang Ischinger hat die Botschafter aus Russland zum Widerstand gegen den Angriffskrieg gegen die Ukraine aufgefordert. Der langjährige Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz (2008-2022) appellierte am Ostersamstag via Twitter an die „persönliche und menschliche Würde“ seiner „langjährigen Kollegen (und Freunde) im russischen Außenministerium“ mit der Frage: „Wann wird der erste russische Botschafter oder Vize-Außenminister zurücktreten?“, und rief damit teils heftige Reaktionen in dem Nachrichtendienst hervor.
Als Begründung für den Zeitpunkt seines Aufrufs nannte der 76-jährige Ischinger, der für den deutschen diplomatischen Dienst als Botschafter in Washington und London arbeitete, „den anhaltenden mörderischen Aggressionskrieg gegen die Ukraine“. Der Jurist war als beamteter Staatssekretär des Auswärtigen Amts unter Minister Joschka Fischer Mitglied in der Strategischen Arbeitsgruppe für Wirtschaft und Finanzen aus Repräsentanten Deutschlands und Russlands (SAG). Das Gremium wurde 2000 bei deutsch-russischen Regierungskonsultationen zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder verabredet und wenig später begründet. Schon 2001 wurde Ischinger aber als Botschafter nach Washington berufen.
Er wiederholte nach entsprechenden Aufforderungen im Verlauf des Threads seine bereits zuvor mehrfach deutlich gemachte Distanz zu der von ihm als zu zögerlich betrachteten Haltung der Bundesregierung in dem Konflikt, dass er „unglücklich“ sei mit der deutschen Position etwa zu Waffenlieferungen an die Ukraine. Sie beginne sich aber zu verbessern. Der amtierenden Bundesregierung „Absprachen“ (collusion) mit Russland zu unterstellen, wie es in den Antworten auf Ischingers Tweet teilweise geschehe, sei aber abwegig und diene nur jenen, die den Westen in seiner Haltung zur Ukraine spalten wollten.
Ischinger erinnerte auf Nachfrage in dem Thread daran, dass er einen Saal der deutschen Botschaft in Washington nach einem seiner Vorgänger in diesem Amt habe benennen lassen – nach Friedrich von Prittwitz und Gaffron (1884-1955), der sich 1933 als einziger deutscher Botschafter öffentlich von den nationalsozialistischen Machthabern distanzierte und sein Amt zur Verfügung stellte.
Unter anderen erhielt Ischinger Unterstützung vom Sprecher des tschechischen Außenministeriums, Jan Marian, der auf einen bereits zwei Wochen alten vergleichbaren Appell seines Amtes hinwies.