Der Rote Teppich schwebt über der Check-in-Ebene

In knapp drei Wochen soll der BER endlich eröffnen

Der rote Teppich schwebt über den Check-in-Schaltern. © alle Fotos: Thomas Rietig

Berlin, 11. Oktober (ssl) Vor dem Check-in-Schalter wuseln Leute mit Rollkoffern, auf der Rollbahn kreuzen Reinigungsfahrzeuge, sogar ein vollbeladener Gepäckwagenzug fährt zu einem Gate. Aber die Regale der „Men‘s World“ im Duty Free Shop sind noch leer, und in den Cafés wird kein Espresso serviert. Auf dem Vorfeld stehen reichlich Flugzeuge, meist mit abgedeckten Triebwerkseinlässen. Noch drei Wochen bis zur Eröffnung. Ein Besuch im BER-Terminal.

Wer sich dem „Flughafen Berlin Brandenburg Willy Brandt“ auf der Straße nähert oder ihn von weitem betrachtet, blickt auf ein scheinbar flaches Gebäude, das die ebenfalls flache brandenburgische Landschaft kaum überragt. Mit strengen Rechtecken, viel Glas und dunklem Stahl erinnert seine Struktur an die Neue Nationalgalerie in der Berliner Innenstadt. Das soll ein Lob sein und nicht etwa ein Vorwurf an das Architektenbüro Gerkan, den genialen Mies van der Rohe kopiert zu haben.

Wer den Eingangsbereich des BER betritt, sieht bald den „Roten Teppich“. Aber nur, wenn er nach oben guckt, denn der Teppich liegt nicht auf dem Fußboden, sondern schwebt über dem Check-In-Bereich unter der Decke wie faserige Wolkenstreifen. Überhaupt merkt der Besucher außen und innen, dass sich die Designer Gedanken über Ästhetik gemacht haben. Das gilt nicht nur für die „Kunst am Bau“, sondern auch für die Gebrauchsästhetik etwa mit der Holzverkleidung, die im Inneren mit den ansonsten dominierenden Werkstoffen Glas und dunklen Stahl kontrastiert. Manchmal ist auch ein Stück Zweckmäßigkeit der Schönheit geopfert worden, wenn man etwa an die relativ kleinen unübersichtlichen Abflugtafeln denkt.

 

47 betriebsreiche Probetage

Der Flughafenchef trägt vor.

„Wir sind ein bisschen stolz“, sagt Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup. Stolz darauf, die Fertigstellung, besser die Reparatur, zum vor drei Jahren versprochenen Termin geschafft zu haben. Bis dahin wird es allein 47 betriebsreiche Tage am BER gegeben haben, mit einer Menge Komparsen, die die Abläufe im Terminal simulierten. Nicht nur die normalen Abläufe: Manche Menschen hatten Geld in der Hosentasche „vergessen“, als sie durch die Sicherheitsschleuse gingen. An manchen Check-in-Schaltern stehen abgeranzte Koffer zu Hunderten. „Es gibt einen Dienstleister, der die Gepäckstücke bereitstellt, vollgepackt“, sagt Flughafensprecher Daniel Tolksdorf, „und in manchen ist dann auch eine Tüte Mehl, die eine gefährlichere Sorte weißen Pulvers simuliert. In anderen findet sich eine Wasserpistole, und wieder andere sind ein kaum sichtbares bisschen Zentimeter größer als die erlaubten Maße.“

Vor etwas mehr als neun Jahren absolvierten solche Geisterkoffer schon einmal Probeläufe am BER, und zwar relativ problemlos. Damals wurde schon fünf Jahre am Flughafen gebaut, und wir befanden uns ein halbes Jahr vor jenem historischen geplanten Eröffnungstermin, der 2012 im Mai in einem gewaltigen Debakel endete. Im August 2011 jedoch rumpelten die Koffer im Bauch des Terminals durch das Labyrinth der Laufbänder, und Öffentlichkeit und Politik glaubten, in einem Dreivierteljahr werde der Flughafen eröffnet. Daraus wurde bekanntlich nichts, stattdessen verschlang die Baustelle eine Menge Geld und verschliss eine Menge Führungskräfte. „5,96 Milliarden Euro“, sagt Lütke Daldrup, „die Summe bleibt seit einigen Jahren stabil.“ Dabei bleibt es trotzdem nicht: Vorerst werden während des Betriebes auch dank Corona weiter hunderte Millionen Euro zum Defizitausgleich fällig. Da hilft es auch nichts, dass die Flughafengesellschaft in den nächsten Jahren 400 ihrer rund 2.000 Mitarbeiter abbauen will.

Das Vorfeld ist voll, aber sie fliegen noch nicht: Lufthansa- und Easyjet-Maschinen auf Abstellplätzen.

Zwei parallele Landungen zur Eröffnung

Doch zunächst muss er erst einmal öffnen. Der Zeitplan: Am 25. Oktober wird der Drei-Letter-Code international gültig. Dann steht BER nicht mehr nur für eine in der ganzen Welt gerne erzählte Reihe sarkastischer Scherze, sondern in erster Linie für ein Flugziel in Brandenburg nahe Berlin. Am 31. Oktober, dem offiziellen politischen Eröffnungstermin, landen um 14:00 Uhr als allererste je ein Flieger von Easyjet und Lufthansa parallel auf der Nord- und der Südbahn. Diese ist zurzeit noch gar nicht als offizielle Piste im internationalen Luftverkehr freigegeben.

Der Parallelanflug samt Landung funktioniert nur, weil die Bahnen weit genug auseinander liegen. In Tegel, wo der Abstand weniger als einen Kilometer beträgt, wäre ein exakter Parallelflug luftrechtlich nicht möglich gewesen. Die beiden Flieger werden mit traditionellen Ritualen wie Wasserfontänen begrüßt. An Bord sollen die Chefs der beiden Airlines und zahlreiche weitere Ehrengäste sein. Ein Festakt mit einer Pressekonferenz wird folgen. Große Festlichkeiten waren schon vor Corona nicht vorgesehen.

Abends landet noch eine Easyjet-Maschine, und am 1. November morgens starten die ersten planmäßigen Flüge. Am 3. und 4. November werden Flieger, die bisher in Tegel stationiert waren beziehungsweise dort gelandet sind, nach BER überführt, und um 10:00 Uhr hebt eine Qatar-Airways-Maschine von der Südbahn ab, die damit den gesamten Flughafen in die internationalen Netzwerke integriert. „Dann ist der BER in aller Form eröffnet“, sagt Lütke Daldrup, und seine Stimme klingt schon drei Wochen vor diesem Termin ein bisschen erleichtert.

 

Komparsenkoffer.

Die letzten TXL-Tickets sind teuer

Am 7. November heben die letzten Maschinen von TXL ab, und am 8. die allerletzte, ein Air-France-Airbus nach Paris, für den die Tickets inzwischen um die 500 Euro kosten – Corona hin, Corona her. Insgesamt dauert die Herausforderung für die Flugsicherung, beide Flughäfen parallel zu betreiben, vier Tage. Danach liegt der Eckwert für den neuen BER etwa bei 60 Bewegungen pro Stunde. Der Eckwert der Gepäckförderanlage beträgt übrigens 10.000. Man glaubt es nicht, wenn man dieser Tage eine kleine fünfteilige Karrenschlange voller Komparsenkoffer gemütlich übers Vorfeld zuckeln sieht. Dort stehen schon eine Menge Flugzeuge. Es sind aber nur abgestellte Maschinen von Easyjet und Lufthansa, die sie während der Pandemie und wohl auch eine Weile danach nicht brauchen.

Fluggäste, die vom BER abfliegen, haben dort ungefähr vier Mal so viel Platz wie in Tegel zur Verfügung, nämlich 380.000 Quadratmeter. Zwischen Check-in und den Gates erwartet sie eine Art Marktplatz mit dem flughafen-üblichen Mix aus Läden und Gastronomie. Er ist luftig und wirkt dank des allgegenwärtigen Holzes nicht kalt. Laut Tolksdorf handelt es sich bei mindestens einem Drittel des Angebots um regionale Händler und Gastronomen. Zwei gläserne Tunnel führen über dieser Agora vom normalen Eingangsbereich zur Besucherterrasse, die mit hohen Glaswänden vom Vorfeld getrennt ist.

 

Die agora-ähnliche Mitte des Terminals. Am oberen Bildrand einer der beiden gläsernen Tunnel zur Besucherterrasse. Von dem anderen wurde das Bild aufgenommen.

Es gibt auch noch Terminal 5

Aber Obacht: Nicht jeder checkt im schicken neuen Terminal 1 ein. Es gibt auch noch Terminal 5, den alten Flughafen Schönefeld, der jetzt integraler Bestandteil von BER ist und mit der Bahn sowie mit einem Shuttlebus vom neuen Terminal aus erreicht werden kann. Daher heißt es schon vor der Fahrt zum Airport aufpassen, wo man hin muss. Ein Terminal 2 gibt es auch schon, das ist auch fertig, wird aber laut Lütke Daldrup wegen coronabedingtem Nachfragemangel noch nicht in Betrieb genommen. Und dann sind da noch die Pläne für ein weiterers Terminal, das spiegelbildlich zum Terminal 1 auf einem eigens dafür freigehaltenen Vorfeldareal entstehen soll. „Die Planung ist unterbrochen, für zwei, drei, vier Jahre“, sagt Lütke Daldrup. „Wann es gebaut wird, ist wegen Corona völlig offen.“

Die übliche Flughafensituation für Neulinge funktioniert diesmal nicht oder bestenfalls eingeschränkt: Wer sich nicht auskennt, geht normalerweise einfach anderen Leuten hinterher, die sich offenbar auskennen. Doch in den ersten Tagen kennt sich hier überhaupt keiner aus. Dieses Problem wird durch die derzeitige Krise im Luftverkehr gemildert. „Wir haben genügend Personal da, das die Wege erklärt“, beruhigt der Flughafenchef. Die Wege führen unvermeidlich auch durch den Duty Free Shop. Dessen Regale bei der Führung schon weitgehend aufgebaut sind, aber noch der Befüllung mit Schnaps und Bier und Zigaretten harren.

Noch sind die Regale leer.

Nicht gleich großes Gedränge

So hat die Pandemie bei allen wirtschaftlichen Schwierigkeiten für die Eröffnung des BER auch gute Seiten: Es herrscht nicht sofort großes Gedränge, so dass sich Betreiber und Benutzer an die neuen Örtlichkeiten und Verfahren gewöhnen können. Und die noch vor einem Jahr gebetsmühlenartig zu hörende Klage, dass der neue Airport bei seiner Eröffnung schon wieder zu klein sei, ist momentan gegenstandslos. Es gibt mindestens ein paar Jahre Luft, sich auf die bisher gewohnten Zuwächse einzustellen. Ursprünglich lag die Maximalplanung bei rund 1000 Flugbewegungen pro Tag, jetzt sei davon rund ein Drittel angesagt, und diese Flugzeuge seien rund zehn Prozent geringer ausgelastet als in coronafreien Zeiten. Daraus ergibt sich ein Fluggästevolumen von 25 Prozent des Normalbetriebs“, sagt Lütke Daldrup. 2021 sollen es dann 50 Prozent der ursprünglich geplanten Menge werden. Engpässe durch Sicherheits- und Pandemie-Maßnahmen erwartet der Flughafenchef deshalb auch nicht. Es werde auch eine Teststation geben, „Räume werden bereitgehalten.“

Ob daneben jedem der Kaffee schmeckt?

Oben der Rote Teppich, unten der Sternenhimmel

Fluggästen, die bei der Ankunft nicht gerade Terminal 1 und Terminal 5 verwechselt haben, verspricht der Airport-Manager einen Flughafen „der kurzen Wege“, längstens 600 Meter, meint er. Das Versprechen kennen wir aber schon von anderen Flughäfen. Aber es gibt ja auch Laufbänder. Die Führung vergangene Woche führte jedenfalls über knapp drei Kilometer, und das nur innerhalb des Gebäudes. Richtig ist, dass der Fluggast mit dem Fahrstuhl direkt vom Bahnsteig ins Terminal kommt. Zwei Drittel aller Passagiere, sagt Lütke Daldrup, kämen mit der Bahn. Wer etwa in Frankfurt vom Zug zum Flug will, hat da weit mehr zu laufen, ganz zu schweigen von den Wegen hinter dem Check- in zum Gate.

Kurz vor Ende der Führung rollt tatsächlich noch ein echter Flieger an einen Flugsteig. Es ist ein Easyjet-Maschine, auf der ganz groß „Berlin“ steht – als wolle die Airline ausdrücken, dass es jetzt ein Ende haben soll mit den Witzen über die ewige Baustelle BER. Und ganz am Ende wird der Blick nicht wie vor dem Abflug nach oben gelenkt, sondern nach unten: In der Ankunftsebene ist ein Stück des Fußbodens mit Münzen vieler Weltwährungen gespickt, die in die Muschelkalk-ähnlichen Fliesen eingelassen sind. Tolksdorf nennt es „Stermenhimmel“.

Das Geld liegt auf der Straße.

Irgendwas ist immer

Wenn die Leute vom Flughafen Fakten so vortragen und Besonderheiten vorführen, hört sich alles perfekt an. Einschließlich der Versicherung, dass Anwohner noch bis 2025 Lärmschutzfördermittel beantragen können. Aber dieser Eindruck war 2011 bei der Vorführung der Gepäckanlage auch nicht anders. Diesmal wird die Eröffnung zwar aller Wahrscheinlichkeit nicht verschoben, aber Lütke Daldrup ist sich sicher: „Trotzdem wird mit Sicherheit irgendetwas nicht funktionieren.“

(Hinweis: Die Führung war eine Veranstaltung des Luftfahrt-Presse-Clubs. Vielen Dank den Organisatoren.)