Reise zum Mittelpunkt…

… des Landes Brandenburg

Berlin, 28. Mai (ssl) Urlaub in Deutschland – warum nicht? Brandenburg mit seinen vielen Seen und weiten Wäldern könnte ein Ziel sein. Deshalb hat das Land auch viele seiner Sehenswürdigkeiten beschildert. Das reicht von hübschen Gebäuden wie den Schlössern Neuruppin, Sanssouci oder Cäcilienhof bis zum geographischen Mittelpunkt des Landes. Den habe ich besichtigt.

Auf dem Weg zur Autobahn fahren wir auf der Landstraße 92 von Krampnitz nach Marquardt durch Fahrland. In dieser Gemarkung muss man auf Straßenschilder mit mannigfachen unterschiedlichen Geschwindigkeitsbegrenzungen achten, weil die Brandenburger Beamten leidenschaftliche Fotografen zu sein scheinen. Es gibt aber an zwei Feldweg-Einmündungen auch Schilder, die den Weg zum „Geographischen Mittelpunkt des Landes Brandenburg“ weisen. Immer wieder habe ich mir vorgenommen, dort einmal hinzufahren, ebenso wie zu dem von der Straße auch von weitem zu erkennenden Fahrländer See.

Nun habe ich das Vorhaben in die Tat umgesetzt. Natürlich nicht mit dem Auto, sondern mit dem Fahrrad. Die virtuelle Open Street Map-Wanderkarte führt den für Vermesser sicher wichtigen Punkt leider nicht auf, sodass ich auf Wegweiser angewiesen bin. (Hoffentlich stammen die aus Nach-DDR-Zeiten.)

Der Mittelpunkt liegt knapp südlich des Weinberg-„Gipfels“ in der Kartenmitte. Quelle: openstreetmap.org

Von unserem Wohnort aus führt zunächst ein gut ausgebauter Waldweg nach Krampnitz. Von dort aus geht es auf der Bundesstraße 2 Richtung Potsdam-Downtown weiter bis zur nächsten Ampel. Neben der Straße lädt seit vielen Jahren schon ein kombinierter Fuß-/Radweg für beide Fahrtrichtungen zur sicheren Fortbewegung ein. Angesichts des deutlich gestiegenen Verkehrsaufkommens vor allem von Radfahrern wirkt er aber bereits zu schmal.

An der Ampel geht es rechts ab auf einen vergleichbaren Weg. Er führt entlang der erwähnten, ebenfalls recht schmalen Landstraße 92 nach Fahrland und ist gegen diese durch eine dicke Leitplanke gesichert. Nach etwas mehr als einem Kilometer erst durch dichten Wald, dann an einem Bauernhof vorbei, auf dessen Wiesen oft eine laut schnatternde Gänseschar für Abwechslung sorgt, steht zwischen zwei Getreidefeldern der Wegweiser Richtung geographische Mitte. Jetzt im späten Frühling oder frühen Sommer blühen dort reichlich Klatschmohn, Kornblumen, Margueriten und weitere bunte Blumen, genau wie es sein soll. Der Weg durch die Felder ist nicht einmal für Autos gesperrt, aber man hört fast nichts mehr von ihnen, rechts und links Felder, dahinter Wald und hier und da durch leichte Senken ein Blick auf den See – Landfeeling stellt sich ein..

Der Wegweiser. © alle Bilder: Thomas Rietig

Auf dicken, mindestens seit DDR-Zeiten, wenn nicht seit dem Dritten Reich unveränderten Betonplatten geht es mitten durch klassische Feldflur zu einer rechtwinkligen Kreuzung, deren Ecken niedliche Bäume und zwei Bänke säumen. Böge der Reisende links ab, käme er geradewegs an den Fahrländer See. Kaum unterm Baum erkennbar, steht dort auch ein Schildermast, an dem aber kein Schild hängt. Das könnte der geographische Mittelpunkt sein; vielleicht hat jemand das Schild abgeschraubt, denke ich mir.

Bunte Blumen am Wegesrand. Heile Welt.

Dennoch fahre ich nach kurzem Fotohalt und Studium der „Wanderkarte“ geradeaus weiter, an einer Schranke vorbei. Irgendwo soll es links ab zum See gehen. Einige hundert Meter weiter führt tatsächlich ein „Weg“ links ab auf eine Anhöhe, die sich als Düne entpuppt. Kurz nach dem Abbiegen stoppt mich der tiefe, lockere Sand. Wie am Meer. Mein Fahrrad hat nicht wirklich eine Cross-Country-Bereifung, deshalb muss ich hoch schieben. Auch die Vegetation – kein Baum, kein klassisches Gras, sondern kleine Büsche, teils grün, teils rötlich – erinnert an Dünen am Meer, dürfte jedenfalls in dieser Gegend schon etwas Besonderes sein. Weiter nordöstlich, in dem von der Sielmann-Stiftung erworbenen Ex-Truppenübungsplatz bei Dallgow-Döberitz, gibt es das auch, und dort nennen sie es „Wüste“. Soweit würde ich hier wegen der im wahrsten Sinn des Wortes überschaubaren Größe nicht gehen. Die Düne hat übrigens einen Namen, wie die Wanderkarte verrät: Weinberg. Tatsächlich fällt sie nach Süden zum See hin ab, und Sommersonne dürfte hier auch reichlich scheinen. Sieht günstig für den Weinbau aus, den es hier offenbar schon einmal gab. In der ganzen Gegend finden sich Reminiszenzen daran. Im nahen Priort liegt auch ein Weinberg, umgeben von nach ihm benannten Straßen. In Spandau finden wir einen Weinmeisterhornweg. Auch der Feldweg, von dem ich komme, heißt Weinbergweg. Vielleicht sollte man es mal wieder versuchen? Sandboden kann ja hilfreich sein, und das Wasser bietet der See weiter unten.

Bemerkenswerte Vegetation, an der aber nichts auf den Namen „Weinberg“ des Hügels hindeutet. Immerhin 40 Meter Meereshöhe.

Heute ist erst einmal der Rundblick den kurzen Anstieg wert. Als ich meinen Blick schweifen lasse, entdecke ich vielleicht 150 Meter Richtung Nordosten wieder einen Hinweis zur geographischen Mitte. Die Kreuzung war es also nicht. Ich fahre wieder runter, auf dem Weinbergweg zu diesem Schild und folge seinem Pfeil. Der Weg führt an einem breiten Entwässerungsgraben und am völlig verschilften Seeufer entlang. Ein recht großer Greifvogel zieht oben seine Kreise. Der Weg führt endlich zu einem großen Schild mit viel Grafik und Text unter der Überschrift „Geographischer Mittelpunkt des Landes Brandenburg“. Genau unter dem Dünengipfel. Wäre ich, als ich da oben war, 20 Meter weiter gegangen, wäre ich auch hingekommen. Aber dann hätte ich den Entwässerungskanal und die wirklich üppige, geradezu regenwaldartige Flora am Ufer nicht gesehen. Auf dem Schild eine nette Beschreibung der verschiedenen Arten und Weisen, wie auch der einfache Bürger, ohne groß die Feldflur zu vermessen, den Mittelpunkt eines Landes bestimmen kann. Und vor allem mit dem Hinweis, wo genau nun der Mittelpunkt ist: im Fahrländer See, ein paar Meter südlich des Schildes. Dort ragt eine „Edelstahlstele“, wie das Schild vermerkt, aus dem Wasser.

Da ist er, der Mittelpunkt. Markiert durch eine Edelstahlstele im Fahrländer See.

Auf der Rückfahrt muss ich, warum auch immer, an Rainald Grebe und seinen Klassiker „Brandenburg“ denken. Er war bestimmt mal hier und hat sich gefragt, ob das vielleicht auch der gesellschaftliche Mittelpunkt Brandenburgs ist. Eher nicht, auch wenn sich Radfahrer und Einsamkeitssucher hier bestimmt wohlfühlen, Wölfe vielleicht auch. Wegen der weiten Flur mit reichlich Rückzugsmöglichkeiten, und wegen der Nähe der Gänse.