EDDI muss noch viele Hausaufgaben machen

Platooning: Automatisiertes Fahren mit Lkw

Berlin, 24. Mai (ssl) Der erste größere Platooning-Feldversuch in Deutschland ist ausgewertet: Digital vernetzt fuhren zwei Lastzüge auf der Autobahn zwischen München und Nürnberg hintereinander. Ein Vierteljahr lang, Tag für Tag. So kamen gut 35.000 Streckenkilometer bei dem Experiment namens EDDI (Elektronische Deichsel – Digitale Innovation) zusammen. Bei der Präsentation am 10. Mai im Bundesverkehrsministerium zogen die Projektbeteiligten eine positive Bilanz. Die Resultate sind dennoch zwiespältig.

Platooning heißt “Kolonne Bilden und ist ein militärischer Begriff. Im Versuch war die Kolonne noch ziemlich kurz. @Foto: MAN

Zunächst die gute Nachricht: „Fahrten mit digital vernetzten Lkw auf deutschen Autobahnen sind sicher, funktionieren zuverlässig und lassen sich gut im Alltag eines Logistik-Unternehmens einsetzen“, erklärten sie. Vom Bundesverkehrsministerium (BMVI) über den Hersteller MAN, den Betreiber DB Schenker bis zu den wissenschaftlichen Begleitern, der Hochschule Fresenius, waren sich alle Beteiligten einig, dass der Versuch wichtige Erkenntnisse zur Praxis automatisierten Fahrens gebracht habe. Tatsächlich ereigneten sich keine sicherheitsrelevanten Zwischenfälle auf dem nicht gerade verkehrsarmen Abschnitt der A9.

Gelbe Rundumleuchten auf dem Dach

Dort fuhren die Lastzüge mit gelben Rundumleuchten auf dem Dach, bis Anfang Dezember 2018, hin und zurück von Hub zu Hub der DB Schenker AG. Der vordere führte den hinteren mit der „elektronischen Deichsel“, virtuell gebildet in einem WLAN11p, das speziell für Fahrzeug-zu-Fahrzeug-Verbindungen designt ist. Technologisch waren die Fahrzeuge mit Radar, Lidar, Antennen, Kamerasystemen und ITS-G5 ausgestattet. Das System war zu 98 Prozent verfügbar, die tatsächliche Platoon-Zeit betrug 69 Prozent. An Zu- und Abfahrten, Kreuzungen und beim Überholen muss der „Deichsel“-Modus ausgeschaltet werden. Etwa alle 2.000 Kilometer war menschliches Eingreifen erforderlich, hauptsächlich wegen „Einscherern“, aber kritisch wurde es den Angaben zufolge nie. 

Die schlechte Nachricht ist, dass sich unter den derzeitigen Bedingungen nur wenig wirtschaftliche Vorteile dieser Technologie abzeichnen. Der Daimler-Konzern, der an diesem Versuch nicht beteiligt war, hatte das schon im Januar gelernt, als er seine vergleichbaren Tests in den Vereinigten Staaten beendete: „Die Ergebnisse zeigen, dass die Einsparungen selbst unter optimalen Platooning-Bedingungen (Langstreckenfahrten in den USA, Red.) in der Praxis geringer ausfallen als erhofft.“ 

Die Trucks brauchten drei bis vier Prozent weniger Sprit als im Single-Betrieb. Erwartet wurden aber zehn Prozent oder mehr. MAN-CEO Joachim Drees stellte denn auch die bessere Nutzung des Verkehrsraums an die erste Stelle seiner Positivbilanz, sprach von einem wichtigen Schritt auf dem Weg zum automatischen Fahren und kam dann erst auf den um drei bis vier Prozent geringeren Dieselverbrauch der Trucks zu sprechen. Das liege an verschiedenen Parametern der Genehmigung, etwa daran, dass die Höchstgeschwindigkeit von Tempo 80 nicht habe überschritten werden dürfen. Im realen kommerziellen Lkw-Betrieb empfiehlt sich ein der Topographie angepasster „sailing mode“-Korridor zwischen 75 und 85 km/h. Auch sei der geringstmögliche Abstand der beiden Laster auf 15 Meter festgelegt worden. Um aerodynamisch zu fahren, müssten der hintere – oder in Zukunft die hinteren – aber dichter aufschließen. Andererseits seien vier Prozent Einsparung auch ein nennenswerter Kosten-Nutzen-Faktor. Dagegen müssen aber andere Faktoren gerechnet werden. Die Kosten für das Fahrzeug etwa oder eventuelle Wartezeiten des ersten Fahrzeugs auf die vollständige Abfertigung des zweiten.

©Grafik: MAN

All das klingt gut für eine Spedition, die groß genug ist. DB-Schenker-Finanzvorstand Alexander Doll erklärte, „auf 40 Prozent des weltweiten Netzes“ von Schenker sei Platooning möglich. Er sagte aber auch, dass noch viele Hausaufgaben anstünden. Für einen breiteren Einsatz müsse das System kompatibel für Marken und Betreiber sein. Das bedeutet, ein MAN kann mit einem Daimler koppeln, am besten während der Fahrt auf der Autobahn. Oder ein Schenker-Truck kann sich im Hamburger Hafen mit einem Kühne&Nagel-Laster verbinden, falls sie eine längere Teilstrecke gemeinsamen Wegs haben. Das erfordert Kooperation zwischen Konkurrenten und kompatible Abrechnungssysteme. Noch offen ist, inwieweit zu koppelnde Lkw mit unterschiedlichen Gewichts-, Brems- und Beschleunigungsdaten zusammenwirken können, wie Walter Schwertberger von MAN einräumte. Bei den Testfahrzeugen handelte es sich um optimal gewartete, neue Maschinen. 

Von Fresenius befragte Fernfahrer äußerten vorab die Befürchtung, ihr Beruf könnte langfristig überflüssig werden. Der Name „Deichsel“ in EDDI assoziiert ja bereits eine starre Verbindung und damit, dass früher oder später hinten kein menschlicher Aufpasser mehr den Status der Verbindung beitragen muss wie einst im Bremserhaus des Güterzuges. Bedenken gab es ferner wegen des geringen Abstandes. Beim Test selbst merkten die Fahrer, dass die hintere Maschine schon bremste, bevor sie überhaupt angesichts aufleuchtender Bremslichter des Vorderzuges den Fuß vom Gas genommen hatten. Reaktionszeit: Zwei Millisekunden.

Die Existenzfrage beantwortete Sabine Hammer von Fresenius, die sich um die soziologischen Aspekte kümmerte. Es gehe derzeit nicht ums Ersetzen des Berufskraftfahrers durch Computer, sondern eher um Entlastung am Arbeitsmarkt. Die Fahrer wurden vor Testbeginn eigens geschult. Hammer meinte, Platooning werte den Beruf sogar auf, weil der Pilot (!) im Cockpit (!) des vollcomputerisierten Lastwagens höhere Anforderungen erfüllen müsse. Der führende Fahrer („Leader“) müsse immer auch die Existenz des „Followers“ berücksichtigen, während dieser sich anderen Dingen widmen könne, solange er nicht selbst steuernd eingreifen müsse.

Alternative zu dieser „Nebenbeschäftigung“: Auf der Langstrecke wechseln Fahrer einander ab, und die Follower-Phase könnte als Ruhezeit angerechnet werden. Das ermöglicht längere Einsatzzeiten und damit schnelleres Abschreiben des teuren Materials. Entsprechend forderten alle Beteiligten Reformen der Lenk- und Ruhezeit-Regeln.

Fahrer mit Badekappen

Davor warnte umgehend Unfallforscher Siegfried Brockmann vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. Der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ sagte er, der Mensch könne „beschäftigungslos nur sehr kurze Phasen aufmerksam bleiben“. Der Neurophysiologe Christian Haas von der Hochschule Fresenius untersucht die Hirnströme der Fahrer mit badekappenähnlichen Hauben. Er fand heraus, dass die Stressindikatoren ähnlichen Schemata folgen wie beim eigenständigen Fahren, es also für den Menschen keine systemischen Unterschiede beider Betriebsmodi gibt. 

Zunächst müssen Kraftfahrer also nicht um ihren Job bangen. Im Gegenteil: Er wird vielleicht sogar besser bezahlt und bietet Aufstiegsmöglichkeiten. Die Marge der Spediteure bessert das aber nicht auf. Fazit bei der Präsentation in Berlin: EDDI, gefördert mit 1,86 Millionen Euro vom Bund, war ein wichtiger Schritt in der Erforschung automatisierten Fahrens. Das Projekt warf aber neue Fragen und Herausforderungen auf, die beantwortet werden müssen. Tobias Miethaner, Leiter der Abteilung Digitale Gesellschaft im BMVI, versprach weitere Fördermittel.

Transparenzhinweis: Dieser Text erschien am 17. Mai 2019 in den VDI-Nachrichten