Schiedsgerichtsverfahren zur Entschädigung für verspätete Einführung der Lkw-Maut endet mit Vergleich –
Berlin, 17. Mai (ssl) Ministerium vs. Top-Konzerne: Das Schiedsgerichtsverfahren über die verspätete Einführung der Lkw-Maut ist ein Lehrstück der Privatisierung. Dass nach rund 14 Jahren jetzt ein Vergleich herausgekommen ist, kann man als Verdienst des neuen Verkehrsministers Andreas Scheuer sehen. Sein Ministerium kassiert 3,2 Milliarden Euro. Wahrscheinlich hat er sich gedacht: „Ich habe besseres zu tun als künftige Maut-Entscheidungen mit dieser ungelösten Frage zu belasten. Deshalb jetzt lieber ein Ende mit Schrecken“ – immerhin beliefen sich die Forderungen des Ministeriums auf rund neun Milliarden – „als ein Schrecken ohne Ende.“ Richtig so. Aber es gilt, Lehren daraus zu ziehen.
Ob mehr dabei hätte herausspringen können, klärt vielleicht einmal der Bundesrechnungshof. Armeen hochbezahlter Anwälte haben sich erfolgreich bemüht, das ausdrücklich unter Ausschluss der Öffentlichkeit laufende Verfahren so lange hinzuziehen, dass kaum noch jemand weiß, worum es eigentlich ging. Es ging um die Einführung der satellitengestützten Lkw-Maut im Jahr 2003, die sich wegen unprofessionellen Managements der Betreibergesellschaft und technischer Fehlleistungen in der Verantwortung von zwei der größten deutschen Konzerne – Daimler und Telekom – um zwei Jahre verzögerte. In den Verträgen waren Pönalen für solche Fälle vorgesehen, und deshalb berief der damalige Verkehrsminister Manfred Stolpe das ebenfalls vertraglich vereinbarte Schiedsgericht ein, um die Straf- und Entschädigungshöhe festzulegen.
Wer über diese Verträge jetzt den Stab bricht, der sollte bedenken, dass später noch Verträge bei anderen Großprojekten geschlossen wurden, die offenbar nicht einmal solche Regelungen beinhalten – man denke an BER, Elbphilharmonie und so weiter.
Der Fall war damit der ordentlichen Gerichtsbarkeit entzogen, von Transparenz konnte in keiner Minute die Rede sein. Die Akteure rechtfertigten das unter anderem mit Betriebsgeheimnissen, die in klassischen Zivilverfahren nicht hinreichend geschützt wären.
Exkurs: 2015 gab es mal eine Veranstaltung des Verbandes der deutschen Automobilindustrie, bei der sich die großen Autobosse gemeinsam zu dem damals aktuellen TTIP-Freihandelsprojekt mit den USA bekannten, zu dem es ja bis heute nicht gekommen ist. In diesen Vertragsentwürfen war auch eine Schiedsgerichtsfunktion enthalten. Gerechtfertigt wurde sie ähnlich wie bei der Lkw-Maut mit den Betriebsgeheimnissen und vor allem damit, dass eventuelle Verfahren vor ordentlichen Gerichten sich meist über Jahre hinzögen und Bataillone von Anwälten beschäftigen würden, die sich der „kleine Mittelständler“, wie ein Umsatzmiliardär damals sagte, nicht leisten könne. Wer das zehnjährige Jubiläum des TollCollect-Schiedsverfahrens im Hinterkopf hatte, verkniff sich mühsam das Lachen ob dieses Scheinarguments. Darauf angesprochen, reagierte Daimler-Chef Dieter Zetsche auch leicht ungehalten und kündigte an, das Verfahren würde eh bald beendet.
Schon damals hatte sich der anfängliche Streitwert mit Zinsen und Anwaltskosten in beachtliche Milliardenhöhen geschwungen. Es entstand der Eindruck, kaum jemand habe überhaupt noch Interesse, das Verfahren abzuschließen, weil es sowohl mit Geld- als auch mit Gesichtsverlust enden würde. Die eine Seite zögerte mit der Zustimmung zu einem Vergleich, weil er das EBIT drücken würde. Tatsächlich schreibt Daimler jetzt 600 Millionen bei seiner Tochter Daimler Financial Services ab. Die andere Seite hatte Wähler und Rechnungshof im Kreuz, schließlich handelt es sich um öffentliches Geld, das hier nicht eingenommen werden konnte.
Nicht alles in bar
Die genannten 3,2 Milliarden Euro lassen sich, wenn sie denn fließen, nicht so einfach auf den Verkehrshaushalt draufschlagen. Einiges davon ist schon drin beziehungsweise wird „unbar“ geleistet. Im einzelnen setzt sich die Summe wie folgt zusammen:
· 1,1 Milliarden Euro: Barbetrag
· 1,136 Milliarden Euro: Bisherige Einbehalte und 40 Millionen Euro künftige Einbehalte des Bundes (bis zum Ende der Vertragslaufzeit)
· 175,25 Millionen: Vertragsstrafe für die verspätete Einführung der Lkw-Maut (Verspätungspönale)
· 646,78 Millionen Euro: Potenzielle Zinsforderungen auf bisherige Einbehalte und die Verspätungspönale
· 50 Millionen Euro: Eigenkapital der Toll Collect GmbH, die nach Ende der Vertragslaufzeit am 31.08.2018 auf den Bund übergeht
· 50 Millionen Euro: Bonus-Malus-System bei Erreichung einer fast 100-prozentigen Erfassungsquote (99,9%) der mautpflichtigen Lkw (Mehreinnahmen garantiert).
Punkt 5 heißt übrigens mit anderen Worten: TollCollect ist ab 1. September wieder eine staatliche Gesellschaft, die aber schon bald wieder in private Hände abgegeben werden soll. Sie wird auch künftig die Maut einnehmen und die Technik managen. Da wird es dann neue Verträge geben.
Gewinner sind die Anwälte
Als Bilanz bleibt zu ziehen, dass es bei dem Verfahren viele große Verlierer gab: Einmal die beteiligten Großunternehmen. Sie haben einen Imageschaden auszubügeln, der sich auf den Unternehmenswert auswirken könnte. Dann der Staat, also wir alle, die wir unter der Aussichtslosigkeit leiden mussten, ein gerechtes Urteil zu finden. Gewinner sind die Kanzleien, die sich über Jahre damit beschäftigt haben, das Verfahren so komplex zu gestalten, dass es fast zur Lebensaufgabe wurde. Und jetzt Andreas Scheuer, der für sich beanspruchen wird, den Knoten durchgehauen zu haben. Zur Wahrheit gehört auch, dass das Lkw-Maut-System seitdem ein Erfolgsmodell geworden ist und 53 Milliarden Euro nutzerfinanziertes Geld für Investitionen in die Staatskasse gebracht hat. Aber das ist ja unabhängig vom Verfahren passiert.
Hinterzimmergeschachere gehört sich nicht
Hoffentlich nehmen sich künftige Vertragspartner die bei TollCollect 1.0 gemachten Fehler zu Herzen. Vor allem sollten sie sich nicht wieder auf ein Schiedsgerichtsverfahren außerhalb der normalen Gerichtsbarkeit einlassen. Das mag vielleicht formal rechtsstaatskonform sein, aber vertraglich festgelegtes Hinterzimmergeschachere gehört sich einfach nicht für Unternehmen und Behörden, die nach vorne großen Wert auf Compliance und Transparenz legen.
Wobei: Besser als die Verträge zum BER waren die mit dem Mautbetreiber insofern, als die Verursacher unterm Strich immerhin an den Verlusten beteiligt wurden. Ein weiterer Treppenwitz dieser Geschichte ist, dass eines der von der Bundesregierung beklagten Unternehmen, die Telekom, zu rund 32 Prozent im Bundesbesitz ist (14,5 Prozent direkt, 17,4 Prozent KfW).
Pressemitteilungen
– des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur