Sie nannten ihn Bobby (Update nach Farnborough-Bilanz)

Die letzte Lufthansa-Boeing 737 verließ Schönefeld – 150 Orders für Boeing, 187 für die Airbus-Konkurrenz in Farnborough 

Eine kalte Dusche für die letzte Boeing 737 beim Flug von Schönefeld nach Frankfurt. © Alle Fotos: Rietig
Eine kalte Dusche für die letzte Boeing 737 beim Flug von Schönefeld nach Frankfurt. © Alle Fotos: Rietig

Berlin, 14. Juli (ssl) Noch einmal waschen, und das war es dann in Berlin für „Bobby“. Diesen Namen gaben Lufthansa-Mitarbeiter der Boeing 737 – einem Flugzeug, das ebenso unauffällig wie effizient seit Jahrzehnten den Luftverkehr auf Kurz- und Mittelstrecken in aller Welt bedient. Zum letzten Mal verließ eine 737  jetzt die Wartungshalle in Berlin-Schönefeld, Sie wurde gefeiert. Der Typ und sein Konkurrent, die A320-Familie, erzielten zeitgleich Rekordorders bei der Air Show im englischen Farnborough.

Ein echter Abschied, bei dem den Zuschauern wehmütig wurde, war es nicht. Der folgt für die Lufthansa im Oktober, wenn die letzte von noch sieben dieser Maschinen ausgeflaggt wird. Das will schon deshalb etwas heißen, weil sie diejenige Fluggesellschaft war, die sich bei Boeing 1965 für den Bau dieser Maschine stark gemacht und ihn mit einer Bestellung von 19 Maschinen vor einem halben Jahrhundert initiiert hatte.

Wer heute eine funkelnagelneue Boeing 737 haben möchte, braucht nur bei Boeing eine Bestellung abzugeben. Viele Kunden taten das gerade bei der Luftfahrtschau im englischen Farnborough. Genau 150 Neubestellungen der 737-Familie zählte Boeing in seiner Schlussbilanz von Donnerstag (14. Juli). Es dauert daher eine Weile, bis die Kunden ihre Flugzeuge in Renton südlich von Seattle abholen können, weil Boeing – wie übrigens alle Hersteller von Verkehrsflugzeugen dieser Klasse – derzeit ein mehrjähriges Auftragspolster hat. Insgesamt geht es um rund 400 Bestellungen in den Auftragsbüchern. Eine 737 MAX 8 wird mit einem Listenpreis von 110 Millionen US-Dollar geführt.

Die ungebrochene Nachfrage hat unter anderem dazu geführt, dass sich das bisher unangefochtene Duopol von Boeing und Airbus in dem Teilsegment der Flugzeuge mit 100 bis 150 Sitzplätzen zu vergrößern beginnt. Beispiele dafür sind die Bombardier C Series oder ein etwa gleich großer Regional Jet von Mitsubishi. Auch die Einsatzgebiete vergrößern sich. Was früher auf kurze und mittlere Entfernungen beschränkt war, ist in den entsprechenden Versionen jetzt transatlantikfähig und kann bis zu 220 Passagiere aufnehmen.

Die "Weiden i.d. Opf." in der Schönefelder Halle
Die „Weiden i.d. Opf.“ in der Schönefelder Halle. Dahinter ihr Nachfolger, auch mit einem fränkischen Taufpaten: der Airbus „Kulmbach“.

Die Boeing 737 ist in ihren verschiedenen Varianten mit knapp 10.000 Stück das meist gebaute Düsen-Verkehrsflugzeug der Welt. Daran hat sein heute starker Konkurrent, die Airbus-Familie A 318/319/320/321, bisher nichts ändern können. Er ist aber auch erst gut 20 Jahre später in den Wettbewerb eingetreten. Auf die Airbus-Familie will sich die Lufthansa in dem entsprechenden Marktsegment künftig beschränken. Auch der europäische Flugzeugbauer meldete in diesem Segment Rekordbestellungen aus Farnborough: 269 Stück für 31,3 Milliarden Dollar stehen auf seinem Bestellzettel, davon 187 feste Bestellungen und 82 MoUs (weniger verbindliche Vorbestellungen). Der Durchschnittspreis liegt damit ebenfalls bei 116 Millionen Dollar. (Den Listenpreis zahlt aber keine Airline wirklich, es ist Verhandlungssache.)

Das bemerkenswerte bei der Airbus-Liste ist, dass nicht ein einziger Riesenvogel vom Typ A 380 bestellt wurde. Das gilt auch für die Passagierversion der größten Boeing, der 747-8. Hier rettete den amerikanischen Flugzeugbauer aber der Umstand, dass die russische Volga-Dnepr Group gleich 20 Frachter dieses Fliegers orderte, die Boeing alleine mit einem Wert von 7,6 Milliarden bezifferte. Aber das ist eine andere Geschichte.

Zurzeit verkaufen sich also beide „kleine“ Flugzeugfamilien cum grano salis etwa gleich gut, und dabei wird es dank des nahezu universellen Einsatzspektrums auch bleiben. „Es ist kostengünstiger, sich auf einen Hersteller zu konzentrieren“, sagt Martin Hähnel, der Direktor des Lufthansa-Technik-Standorts Berlin, aus dessen 800 Quadratmeter großer Halle „Bobby“ in Gestalt der 737-300 „Weiden in der Oberpfalz“ nun unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit und vor allem der Lufthansa-Technik-Mitarbeiter letztmalig gezogen wurde.

Zwei Flughafen-Feuerwehrfahrzeuge standen bereit, um ihr den Abschied mit einem Fontänenbogen zu erleichtern. Damit geht eine jahrzehntelange glückliche „Ehe“ des Flugzeugmusters und der ehemaligen Staats-Airline zu Ende. Sie wurde durch zwei tragische Zwischenfälle unterbrochen. Der spektakulärste war die Entführung der Lufthansa B 737 „Landshut“ durch ein palästinensisches Terrorkommando und die anschließende Befreiung der Geiseln durch die Anti-Terror-Einheit GSG 9 in Mogadischu Mitte Oktober 1977. 1988 flog eine Boeing 737 der damaligen Lufthansa-Tochter Condor bei Izmir in einen Berg. Alle 16 Personen an Bord starben.

„Weideni.d.Opf.“, wie es am Flieger steht, hat wohl keine schlechten Zeiten erlebt. Vielmehr liegen nach Hähnels Angaben hinter dem ziemlich genau 25 Jahre alten Flieger 50.867 Flight Cycles, also Reisen mit Start und Landung, und sie dauerten 53.299 Flugstunden.

Künftig sollen in der Halle am Flughafen Schönefeld neben der A320-Familie von Lufthansa, aber auch von anderen Airlines wie Easyjet eher kleinere Jets des Konzerns gewartet, repariert und teils auch umgebaut werden. Der Mietvertrag der Lufthansa Technik läuft bis 2020, und dann wird die ebenfalls 25 Jahr alte Halle aus Interflug-Zeiten möglicherweise abgerissen, weil eine Rollbahn durch den jetzigen Standport verlängert wird – vorausgesetzt, der BER ist bis dahin schon eröffnet. „Wir warten sehnlichst darauf“, sagt Hähnel. Viele der rund 450 Mitarbeiter nahmen an dem Festakt teil. Auch wenn manchen eine gewissen Wehmut befallen haben mag, um den Arbeitsplatz muss er sich deswegen keine Sorgen machen. Im Westen des BER steht eine andere Halle der LH Technik, die zurzeit deutlich unterfordert ist, in der es aber mit Eröffnung des neuen Flughafens wesentlich betriebsamer zugehen soll.

Abschied mit einem großen Transparent.
Abschied mit einem großen Transparent.

Wie der Flugzeugtyp zu dem Namen „Bobby“ kam, war nicht herauszufinden. Ob es ein Männer- oder Frauenname ist, ebenfalls nicht. Schließlich heißt es: der Jet, aber: das Flugzeug, aber: die Boeing, wie man es auch von Schiffen kennt. Die oder der Bobby namens Weiden wurde jedenfalls am Dienstag mit zwei Fontänen aus Feuerlöschfahrzeugen würdig verabschiedet. Seine Crew flog noch einen Low-Pass – einen Flug in wenigen Metern Höhe – über die Schönefelder Start- und Landebahn in Richtung Frankfurt am Main. Für wen und wo er nach seinem Silberjubiläum fliegen wird, wusste noch niemand. „Auf den Schrott kommt er bestimmt noch nicht“, war Lufthansa-Sprecher Wolfgang Weber sicher.