Hinter den Namen regen oft ambivalente Biografien zum Nachdenken an
Namen sind Schall und Rauch, heißt es. Welches Andenken bewahren eigentlich Flughäfen, nachdem sie einmal getauft sind, ihren Paten? Das fragte ich mich vor ein paar Tagen, als ich eine airliners.de-Kolumne schrieb, aber keine Lust mehr hatte, über den BER abzulästern.
Klar könnte ich jetzt in den Chor einstimmen, der „Abreißen!“ brüllt, wenn von den neuerlichen Unfähigkeiten des Führungspersonals der verschiedenen Akteure am BER die Rede ist. Oder das Erstattungsantragsformular ausfüllen, weil der ICE von Berlin nach Köln 155 Minuten Verspätung eingefahren hat. Das Formular ist jetzt übrigens digital. Ich könnte zu Fuß gehen oder mit dem Rad fahren, weil es Staus ohne Ende gibt im Pott. Und sogar auf der bis vor kurzem zum Autofahren ganz brauchbaren A9 nördlich von Bayreuth. Momentan bewerben sich die Verkehrsträger ja förmlich um Shitstorms.
Nein, es ist mir zu langweilig, da mitzustürmen. Ich beschwere mich definitiv nicht über die Leute, die am unteren Ende der Pannenkette ihr Möglichstes tun und dann noch den Unmut der Reisenden aushalten müssen. Ich mache etwas ganz was, worüber man in Zeiten politischer Korrektheit auch mal nachdenken könnte.
Frieden und Freiheit
Neulich, als es noch keine Schlangen im BER gab, habe ich wieder einmal die Willy-Brandt-Wand im Terminal betrachtet und mich über das gute Zitat gefreut: „Wenn ich sagen soll, was mir neben dem Frieden das wichtigste sei, dann lautet meine Antwort: Freiheit.“ Da dachte ich, wie gut, dass der Flughafen einen Taufpaten hat, damit so ein Spruch den Reisenden mal ins Blickfeld gerückt werden kann. Vielleicht denken sie, denen der deutsche Pass Freiheit garantiert, daran, wenn sie in Länder fliegen, deren Einheimische sie nicht haben.
Der Berliner Flughafen würdigt den Altkanzler und Friedensnobelpreisträger mit dieser Wand recht deutlich und sichtbar, auch wenn kaum jemand heutzutage am Reichstagsgebäude in Berlin zum Taxifahrer sagen würde: „Zum Willy-Brandt-Flughafen, bitte!“ Ähnlich dürfte es in München mit dem Franz-Josef-Strauß-Flughafen sein. Dort erinnert eine – als Kunstwerk nicht von allen geschätzte – Büste im Gebäude an ihn, ohne Zitat am Sockel. Dann haben wir da noch den Konrad-Adenauer-Flughafen, aka Köln/Bonn.
Und den Manfred-Rommel-Flughafen. Kannten Sie nicht? Stuttgart. Rommel war dort OB. Wichtig an diesem Namen ist, dass man den Vornamen des Geehrten dazu sagt. Der Vater des Taufpaten, der Befehlshaber des Afrikafeldzuges im Zweiten Weltkrieg Erwin Rommel, gilt zwar in weiten Kreisen als untadelig, weil er zu Recht dem Widerstand gegen die Nazis zugerechnet wird, aber viele Leser werden mir wohl in der Mutmaßung beipflichten, dass dies heutzutage nicht mehr ausreicht, um einer Namensdiskussion über einen Feldmarschall der NS-Zeit entgehen zu können.
Brandt, Adenauer und Strauß haben es immerhin geschafft, ein Leben zu führen, das ihnen solche Diskussionen erspart, aber trotzdem sind sie als Flughafen-Namen nicht weiter populär. Man fliegt nach BER, MUC oder STR oder Köln, das ohnehin nicht weiter abgekürzt werden muss. (FJS wäre noch frei.)
Nicht viel Aufhebens
Die Betreiber machen nicht viel Aufhebens um die Namensgeber und großen alten Männer der (bundes-) deutschen Politik. Der BER bietet immerhin schon auf der Eingangsseite im Internet einen Button namens „Willy Brandt“. https://ber.berlin-airport.de/de.html Dahinter verbergen sich biografische Angaben und der bemerkenswerte Satz: „Der Name Willy Brandt steht symbolisch dafür, dass Berlin durch den BER wieder die Ost-West-Drehscheibe ist, die Europa mit der Welt verbindet – so, wie es sich Willy Brandt erhofft hat.“ Lassen wir jetzt mal so stehen. Auf den ersten Seiten der Flughäfen München oder Köln habe ich Vergleichbares nicht gefunden.
Auch nicht im Fall der Flughäfen Charles de Gaulle, der schon immer so hieß, oder John F. Kennedy, der den Namen Idlewild schon einen Monat nach der Ermordung des Präsidenten 1963 verlor. Diese beiden Airports haben aber den großen Vorteil, dass ihre internationalen Kürzel dem Namen der Taufpaten entsprechen. So weiß der Taxifahrer in der Upper East Side genau, wohin Sie wollen, wenn Sie „JFK, please!“ sagen. Ob er Sie dann ohne Umwege ans richtige Terminal fährt, dafür garantiere ich aber ebenso wenig wie bei CDG. Auf de Gaulle trifft das für Adenauer und die anderen Deutschen Gesagte über die Lebensführung wohl auch zu. Mit JFK hätten einige, die es heute mit der Moral so genau nehmen, sicher größere Schwierigkeiten. Ich sage nur: „Happy birthday, Mr. President.“
Wie ist es mit Kolumbus?
An meinem Wohnort Berlin gibt es gerade eine Diskussion um eine kleine Straße, die nach Christoph Kolumbus benannt ist. Sie soll umbenannt werden, weil der Taufpate vor nunmehr knapp 530 Jahren nicht nur Indien verfehlt hat, sondern auch die Kolonialisierung durch europäische Monarchien mit seinen Entdeckungen eingeleitet hat und weil er den Ureinwohnern der Karibik nicht wirklich zugewandt war, um es höflich auszudrücken.
Was das mit Flughäfen zu tun hat? Wir müssen nur warten, bis die einschlägige Namensänderungsbewegung einen Ausflug nach Genua macht oder ihre italienischen Gesinnungsfreunde anruft, denn der dortige Flughafen heißt wie die kleine Straße in Berlin. Kolumbus war Genueser.
Immer öfter provozieren Benennungen nach historischen Gestalten Auseinandersetzungen. Dabei gibt es spannende, lehrreiche Geschichten, die man an den Straßenschildern, den Wänden von Schulen oder Flughafen-Lobbys präsentieren könnte – aber nur, wenn die ambivalenten Namen im öffentlichen Gedächtnis bleiben. Eine davon erzähle ich hier, weil sie mit Fliegen zu tun hat. Sie dreht sich Thomas Jefferson, den dritten US-Präsidenten, nach dem werweiß was alles benannt ist, darunter eine legendäre Rockband, deren Name dazu noch was mit Fliegen zu tun hat. Der große Staatstheoretiker hat unter anderem die amerikanische Unabhängigkeitserklärung mit den berühmten Beginn „We The People…“ verfasst.
„Wir, das Volk …“ Zu diesem Volk zählte Jefferson seinerzeit aber noch nicht die Sklaven, jedenfalls nicht die, die ihm selbst „gehörten“. Er hatte mit mindestens einer seiner Untertaninnen ein Kind gezeugt, das er als Sklave erziehen ließ. Trotzdem war nach ihm sogar ein Flughafen in Afrika benannt, nämlich der erste Flughafen Liberias in Monrovia. Er wurde von den US-Reifenkonzernen Firestone und Goodrich errichtet, die in dem Land Kautschukplantagen betrieben. Als das heimische Militär den Platz übernahm, wurde er nach dem ersten liberianischen Präsidenten Joseph Jenkins Roberts benannt, der als Sohn befreiter US-amerikanischer schwarzer Sklaven in Norfolk, Virginia zur Welt kam und 1829 mit seiner Familie nach Monrovia zurückkehrte, das übrigens nach dem US-Präsidenten Monroe benannt ist.
Nach Jefferson ist nun kein Flughafen mehr benannt. Vielleicht wäre insgesamt eine Auswahl über die Politik hinaus bei historischen NamensgeberInnen hilfreich, wie es in manchen Ländern bei Flughäfen schon praktiziert wird. So bin ich schon einmal auf dem John-Wayne-Airport in Santa Ana, Kalifornien gelandet, dessen Name wegen des Macho-Gehabe des Taufpaten ja auch in der Kritik stehen könnte.
Aber dann haben wir noch den John-Lennon-Airport nahe Liverpool. Dorthin kann man mit Easyjet und Ryanair fliegen. Wer zum richtigen Zeitpunkt aus dem Fenster guckt, sieht laut Wikipedia auf einem Dach die sehr passende Liedzeile „Above Us Only Sky“ aus seinem Welthit „Imagine“ . Im Terminal gibt es eine unübersehbare Statue, und alle Hinweisschilder führen den Namen des großen Beatles auf.
Ich hätte dann noch einen unverdächtigen Vorschlag. Die Berliner Christoph-Kolumbus-Straße liegt auf einem großen Gelände, das einst zu einem Flugplatz der NS-Luftwaffe und später der britischen Besatzungsmacht gehörte. Auf diesem Gelände liegt auch die Mary-Poppins-Grundschule. Das wäre doch mal ein Name für einen Flughafen. Und mit Fliegen hat er auch zu tun.
(Dieser Text erschien, geringfügig geändert, am 16.Oktober 2021 auf airliners.de .)