Gegen die Leistungs-Manie beim Auto

Eine klimaschonende Zukunft des Privat-Pkw erfordert mehr als nur Emissionsreduzierung am Auspuff

Würden nur mehr Autokäufer dem „schneller, stärker, größer“ entsagen als die smart-Käufer. Foto von der Vorstellung der aktuellen smarts 2014. ©Thomas Rietig

Berlin, 23. April (ssl) Ist der Dieselkäufer oder ­-fahrer „der Depp“, wie die „Bild“-Zeitung neulich titelte? Oder verhält er sich auch nach dem Abgasskandal vernünftig? Mehrere Umweltverbände haben dazu am Dienstag aus Anlass der neuerlichen Selbstzünder-Bekenntnisse von Autoindustrie und Politikern bis hin zum grünen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, Stellung genommen. Fazit wie immer: Es kommt drauf an. Aber eigentlich ist das nicht die Frage. Die Frage ist: Kann Deutschland nicht auch ohne das sinnfreie „größer, schneller, stärker“ eine weltweit führende Autoindustrie haben?

Der Privat-Pkw war wahrscheinlich die längste Zeit ein Universalfahrzeug. Mit ihm kann man eben mal schnell auch größere Dinge einkaufen, kurzfristig Termine auch in weiterer Entfernung wahrnehmen, aber auch von jetzt auf gleich eine beliebig lange Strecke überallhin in Europa fahren.

So geht jedenfalls die Legende. Wie häufig alle diese Vorhaben dann auch mit ein und demselben Auto realisiert werden und welche Hindernisse sich während der Fahrt auftun, ist ein ganz anderes Thema. „Wichtig ist, dass ich es kann“, lautet die übliche Antwort auf einschlägige Fragen. Und mit einem Elektroauto geht das eben (noch?) nicht so universell. Wer es noch besser kann, leistet sich mehrere Fahrzeuge, die speziell auf seine Aufgabengebiete zugeschnitten sind.

Wichtig scheint auch nach wie vor zu sein, dass jedes „nächste“ Auto immer schneller fahren können, möglichst immer mehr umbauten Raum bieten und immer mehr Leistung bringen muss. Dabei werden diese Fähigkeiten – jedenfalls in ihren Spitzen – in der Regel nur am Stammtisch bzw. hinsichtlich des umbauten Raums beim Kaffeekränzchen abgerufen.

Das spiegelt sich auch in Zulassungszahlen und Emissionswerten der Flotte wieder, die auf den Straßen unterwegs ist. Die stetig steigende Effizienz der Verbrennungsmotoren wird durch den Umstand, dass die Autos immer stärker motorisiert sind, in der Emissionsbilanz nicht nur kompensiert, sondern im Hinblick auf die Emissionsbilanz mehr als zunichte gemacht. Die Summe der Emissionen des Verkehrs steigt.

Beim Versuch, diese Leistungsmanie zu therapieren, haben Umweltverbände, Parteien und andere, die für ein gesteigertes Umweltbewusstsein eintreten, bisher kläglich versagt. Es bedurfte einer US-amerikanischen Umweltbehörde, die betrügerischen Tricks der Autobauer aufzudecken, die dieses angebliche Bedürfnis befriedigten und trotzdem sauber aussehen wollten. In Deutschland haben sie nicht mal ein Tempolimit auf Autobahnen durchsetzen können. (Ich weiß, dass das direkt nicht viel helfen wird, die Emissionen zu senken, aber schaden kann es bestimmt nicht. Und der psychologische Effekt wäre sicher brauchbar für eine Abkehr von der Leistungsmanie.)

Um die Eingangsfrage aus Umweltschützersicht zu beantworten: Wer sicher gehen will, kauft einen Benziner und keinen Diesel (und auch kein reines Elektroauto, wenn er Reichweite braucht). Wer umweltfreundlich fahren, schnell noch sparen und von der Unsicherheit profitieren will, aber das Risiko nicht scheut, sollte zu neuesten Dieselmodellen greifen – oder zu ganz alten, wenn er nicht in die Stadt fahren muss und Umweltschutz an dieser Stelle für unnötig hält.

Peter Mock, Geschäftsführer der ICCT Europa (International Council on Clean Transportation), wies darauf hin, dass nach den Studien seiner Organisation von 2014 zwar die meisten aktuellen Diesel-Pkw die gesetzlich erlaubten Grenzwerte überschreiten. Die gute Nachricht: Es gibt auch welche, die sie unterschreiten. Bezeichnenderweise kommen sie vom VW-Konzern. Mock sagte, technisch habe der Diesel-Pkw sehr wohl noch eine Chance. Es seien noch 30 bis 40 Prozent Reduktionspotenzial herauszuholen. Dafür müssten aber auch die kleineren Motoren mit teurer Abgasbehandlung ausgetattet werden, was sie in der Herstellung um rund 500 Euro bei der Golf-Klasse verteuere. Ohnehin seien sie auch ohne das bereits rund 1.500 Euro teurer als vergleichbare Benziner, aber das merke der Kunde bei den Preisen nicht, weil die sich an Angebot und Nachfrage und den jeweiligen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen des Verkaufslandes orientierten.

Für Hersteller bald unwirtschaftlich

Daher steht die Wirtschaftlichkeit des Dieselmotors für den Hersteller ernsthaft infrage, aber noch nicht für den Kunden. Dieser kann noch einen reinen Diesel kaufen, wenn er damit auch auf lange Sicht nicht in die Stadt fahren muss und sich ausschließlich an der Wirtschaftlichkeit orientiert. Solange Dieselautos etwa gleich teuer sind wie Benziner, aber der Verbrauch geringer und der Sprit billiger, ist das kein schlechtes Geschäft. Der Verbrauch bleibt auch geringer, wenn der Steuervorteil fällt (und der Kunde nicht der Versuchung erliegt, sich wegen des Verbrauchsvorteils immer mal wieder mit etlichen km/h schneller fortzubewegen als er es mit einem gleich starken Benziner täte). Ins Grübeln sollte er kommen, wenn die Steuervorteile des Dieseltreibstoffs fielen, was Mock für die Zeit nach der Bundestagswahl erwartete, nachdem die Antriebsart jetzt ohnehin ihr sauberes Image verloren habe. Dieser Steuervorteil allein hat den Staat nach offiziellen Angaben der Bundesregierung im Jahr 2015 satte 3,7 Milliarden Euro Mindereinnahmen gekostet.

Mit weiteren mehr als 150 Millionen Mindereinnahmen pro Jahr schlägt übrigens die steuerliche Förderung von Erdgas und Flüssiggas zu Buche. Außerdem, ergänzte Jens Hilgenberg vom BUND, hätten die kleinen Diesel ohnehin nur zu wettbewerbsfähigen Preisen verkauft werden können, weil die Hersteller die teure Abgasreinigung auf Euro-6-Niveau durch die Tricksereien ersetzt hätten.

Dann naht langsam (Mock: „2025-2030“) der Zeitpunkt, da Elektroantrieb billiger wird als Dieselantrieb. Bei den Batterien, deren teure Herstellung für die gefragten Leistungen bisher einer der wesentlichen Faktoren war, zeichne sich eine Preissenkung ab, die schneller als erwartet komme, sodass sich auch die Kostenvorteile gegenüber dem Diesel schneller einstellten. Daraus zu schließen, dass das Ende des Diesels schon gekommen sei, ist aber abwegig. Es ist 2025 bis 2030 für die kleinen Dieselfahrzeuge in Sicht, weil die Entwicklung es ermöglicht, kleine Autos mit geringer Reichweite (also etwas mehr als die bisher möglichen knapp 100 km) zu wettbewerbsfähigen Preisen am Markt zu platzieren und damit die geforderten Flottenverbrauchs-Ziele zu erreichen.

Diese Preisentwicklung bedeutet nicht, dass das reine Elektroauto mit 400 km Reichweite schnell wettbewerbsfähige Preisregionen im „Volumenmarkt“ erreicht, wie der VDA sagen würde, wenn er Golf, Fiesta und „abwärts“ beschreibt. Dergleichen bleibt wohl noch länger Zielgruppen wie den Tesla-Fahrern vorbehalten. Dasselbe gelte für Diesel-Hybride, die schon jetzt nur zu horrenden Preisen erhältlich sind, weil sie die Nachteile beider Verfahren vereinigten: teure Abgasregulierung und geringe E-Reichweite. Also wird der Verbraucher sie eh nicht kaufen.

2025 Flottendurchschnitt von 70 Gramm CO2/km

Hilgenberg und Michael Müller Görnert vom VCD forderten, um die Verunsicherung beim Verbraucher zu beenden und auch den Herstellern verlässliche Perspektiven zu schaffen, „verbindliche sowie lenkende Rahmenbedingungen“. Unter anderem solle ab 2025 für alle in der EU neu zugelassenen Pkw ein durchschnittlicher CO2-Grenzwert von 70 Gramm pro Kilometer auf der Basis des neuen Testverfahrens WLTP gelten. Für 2030 forderten sie einen Zielkorridor von 35 bis 45 g CO2/km. Der für 2020 angepeilte Wert liegt bei 95 Gramm, ist aber bereits durch zahlreiche Sonderberechnungen aufgeweicht. Dennoch gibt es Fahrzeuge, die ihn jetzt schon erreichen.

VDA: Umstieg „in vollem Gange“

Wie der Zufall so spielt, meldete sich am Dienstag auch der VDA zum Problem zu Wort. Sein Präsident Mathias Wissmann sah den „Umstieg auf die Elektromobilität … bereits in vollem Gange“ angesichts der hohen Forschungsinvestitionen und der gemeinsamen Anstrengungen von Politik und Herstellern. Er nannte E-Fuels eine „faszinierende Perspektive“. Dabei geht es um Kraftstoffe aus regenerativen Energien für Verbrennungsmotoren. Um das Argument auszubremsen, das sei nur unter hohem energetischen Aufwand „vor der Zapfsäule“, also bei der Herstellung möglich, wollte der VDA diese Technologie nur für „Überschusskapazitäten aus erneuerbaren Energien“ angewandt wissen, die „bis zur tatsächlichen Verwendung gespeichert“ werden könnten. Auch dafür bedürfe es allerdings geänderter Rahmenbedingungen. Unter anderem müssten klimaneutral hergestellte Kraftstoffe auch auf die Flottenbilanz angerechnet werden können, forderte er.

Die Politik hat also viel zu tun. Und vor allem muss sie sich entscheiden, ob es ihr sinnvoller erscheint, die in Paris vorgetragenen Klimaziele wirklich zu erreichen und dafür auch mal dicke Bretter zu bohren oder mit den Schultern zu zucken und das Nichterreichen einzugestehen. So wie Kanzlerin Angela Merkel vor kurzem das Ziel für gerissen erklärt hat, bis 2020 eine Million E-Autos auf den Straßen zu haben. Eine Idee dazu wäre, die Bürgerinnen und Bürger von der Leistungsmanie bei Motoren und Fahrleistungen abzubringen. Sie hat keinerlei praktischen Wert. Und alle, die Dienstwagen anschaffen oder nutzen, könnten damit anfangen und so zum Beispiel neue Perspektiven für den Gebrauchtwagenmarkt schaffen. Die Klimaziele zu akzeptieren und danach zu verfahren, wäre auch ein anmessener Zusatz für die Compliance-Regeln der Flottenbetreiber.