Wolpertinger auf der Autobahn

Erste Teststrecken für Oberleitungs-Lkw werden gebaut

Ein Oberleitungs-Lkw auf Testfahrt. Foto: Siemens

Berlin, 3. Februar (ssl) Wolpertinger sind bayerische Fabelwesen. Ureinwohner schicken Preußen gerne in den ausgedehnten Wäldern auf die Suche nach ihnen. Tierpräparatoren basteln sie gemeinhin mit Flügeln, Geweih und langen Ohren als Kreuzung zwischen (beispielsweise) Habicht, Hase und Reh. Vergleichbares gibt es bald auch bei den Nutzfahrzeugen für Straße und Schiene: Lastzüge der schwedischen VW-Tochter Scania, auf deren Fahrerkabine Stromabnehmer à la E-Lok montiert sind. Aber es sind keine Fabelwesen. Sie sollen eine Lösung für die Elektrifizierung des Lkw-Verkehrs erproben. Zwei Teststrecken sollen bis Ende 2018 fertig sein. Auch eine internationale Verknüpfung der Tests zeichnet sich ab.

Staatssekretär Jochen Flasbarth vom Bundesumweltministerium überreichte dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Torsten Albig am Freitag den Förderbescheid für einen der beiden Feldversuche. Der Bund macht dafür 14 Millionen Euro locker. Die Versuchsstrecke umfasst 25 Kilometer der A1 zwischen Reinfeld und dem Lübecker Hafen. Hier sollen sechs Kilometer pro Fahrtrichtung mit einer Oberleitung überspannt werden. Fünf Lastwagen der Spedition Bode aus Reinfeld, die Lebensmittel zum Hafen bringen, fahren dann mit angelegten („aufgebügelten“) Stromabnehmern darunter her und laden die mitgeführten Batterien auf. Das soll reichen, um die restlichen Kilometer batterieelektrisch zu bewältigen.

Wieweit ein aufgeladenes Fahrzeug mit der Ladung mit reinem Batteriebetrieb kommt, hängt von der Ladezeit und von der Leistung der Batterien ab. Wenn sie langsam fahren (müssen, etwa wegen eines Staus), laden sie mehr. Nach derzeitigem Forschungsstand könnten mit dem Laden unter 30 Kilometer Oberleitungsstrecke etwa 80 Kilometer rein batterieelektrisch gefahren werden. Da sich die Technologie schnell entwickele, könnte es in wenigen Jahren reichen, ein Kernnetz von einigen 1000 Kilometern Fahrstrecken für Fernlaster mit 400 oberleitungsbestückten Streckenkilometern in jede Fahrtrichtung zu versorgen, meinte Flasbarths Referent für Umwelt, Verkehr und Mobilität, Matthias Scheffer.

Die Testrecke auf der A1 zwischen Hamburg und Lübeck. Skizze: BMUB

Flasbarth gab zu, noch vor einiger Zeit gegen die Oberleitungstechnologie gewesen zu sein, weil er ihr keine Chance für die Zukunft gegeben habe. Ein Besuch auf der Siemens-Teststrecke bei Groß Dölln in der Uckermark habe ihn aber überzeugt. Im Gegensatz zu anderen alternativen Antriebsmöglichkeiten für schwere Nutzfahrzeuge – etwa der Power-to-Gas-Technologie – biete der Oberleitungsbetrieb einen hohen Wirkungsgrad. Die Lastzüge fahren mit 700-800 Volt Gleichstrom. Albig sprach bei der Entgegennahme des Förderbescheids von einem Wirkungsgrad von etwa 80 Prozent.

Flasbarth begründete die Förderung durch sein Ministerium damit, dass die Energiewende im Verkehrsbereich noch nicht angekommen sei. „Es hat bisher an jedem Schwung gefehlt“, sagte er. Der Sektor habe 1990 genau so viele Schadstoffe ausgestoßen wie 2016. Damit sei die Herausforderung, bis 2030 zwischen 40 und 42 Prozent Treibhausgasemissionen einzusparen, um so größer geworden. Er räumte allerdings auch ein, dass das Verkehrsaufkommen in derselben Zeitspanne erheblich gestiegen sei. Das Problem liege darin, dass es weiter steigen werde, selbst wenn die optimistischsten Prognosen der Verlagerung auf die Schiene einträfen. „Ein Diesel fährt nie emissionsneutral.“ Für den Straßengüterverkehr sei bis 2030 ein Wachstum von 39 Prozent vorausgesagt. Deshalb könne der Oberleitungs-Lkw bei der Energiewende im Verkehr eine Schlüsselrolle spielen, und deshalb seien die rund 29 Millionen Fördermittel für die beiden Teststrecken jetzt bewilligt worden.

Die zweite Teststrecke liegt zwischen dem Frankfurter Flughafen und Weiterstadt nördlich von Darmstadt auf der dort achtspurigen A5. Hier sind sogar bisher drei Speditionen eingebunden, die unter der Begleitung der TU Darmstadt die Einbindung von Oberleitungs-Lkw in reale Transportketten nachweisen „und die Machbarkeit der emissionsfreien Güterlieferung in den urbanen Raum (Frankfurt)“ nachweisen sollen.

Die Oberleitung soll bis Ende 2018 stehen. Der Zeitdruck entsteht unter anderem deshalb, weil die Förderzeiträume bis dahin begrenzt sind. Zunächst sollen im Rahmen beider Versuche ab 2019 je fünf Lastwagen fahren. Die Lastwagen kommen bis jetzt von Scania, die Stromabnehmer von Siemens, die sie auch für Lokomotiven herstellen. Die Phase der Testfahrten wird dann mit jeweils drei bis vier Millionen aus dem Programm „Erneuerbar Mobil“ finanziert, wie das Ministerium erklärte. Die Fahrzeuge sind ebenso wie die bisher existierenden vier Versuchsträger „mehr oder weniger von Hand zusammengebaut“, wie sich Scheffer ausdrückte, und deshalb etwa vier Mal so teuer wie ein konventioneller Lkw. Er äußerte die Erwartung, dass sich mit zunehmender Effizienz der Batterien und der Serienfertigung der Lkw der Preis auf Mehrkosten im „niedrigen zweistelligen Prozentbereich“ verringere.

In Schweden. Foto:Siemens

Die Größe der Batterien ist als Problem auch nicht zu verachten. Bisher befinden sie sich unter der Ladefläche des Sattelaufliegers. Im Fall der Reinfelder Spedition dürfte das aber wenig hilfreich sein, wie Scheffer anmerkte. Denn am Lübecker Hafen werden die Auflieger auf Bahnwaggons umgeladen und nach Schweden weitertransportiert. Damit wäre die Zugmaschine ihrer Energieversorgung beraubt. „Die Batterien müssen in die Zugmaschine“, sagte er.

Der Bundesverband Güterverkehr und Logistik begrüßte den Versuch. Das kam für das Umweltministerium ein wenig überraschend, die Behörde und die noch auf Diesel angewiesenen Speditionen keine natürlichen Freunde seien, wie Scheffer anmerkte. Aber der BGL kann sich damit ein „saubereres“ Image verschaffen. Derartige Projekte „sind notwendig, um aus bisherigen Sackgassen technologischer und verkehrspolitischer Entwicklungen herauszukommen“, schrieb der Spediteursverband. „Wer Mobilität der Zukunft gestalten will, muss sich mehrdimensional aufstellen und kann nicht aus dumpfen Verlagerungsstrategien eine mögliche Perspektive für zukünftige Verkehrssysteme ableiten. Nur ein Miteinander der Verkehrsträger, eine intelligente Strukturpolitik für den industriellen Sektor und hocheffiziente Verkehrsnetze können ein Garant für die Stärke des Industriestandorts Europa werden.“

Einer der Hintergründe dürfte aber auch sein, dass die Billigkonkurrenz aus Osteuropa bei den Spediteuren auf der Straße zunächst ins Hintertreffen gerät, sobald die Oberleitungs-Lkw einen merklichen Anteil an den Ferntransporten auf deutschen Straßen erhalten. Das Hochlohnland Schweden ist seit dem Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem schwedischen Kollegen am 31. Januar bereits eingebunden: Beide Länder vereinbarten dabei eine Studie zur Elektrifizierung von Fernstraßen. Dazu gehört auch eine Untersuchung über die Möglichkeit grenzüberschreitender Operabilität. In Schweden gibt es bereits eine Teststrecke nördlich von Stockholm.

So könnte am Ende auch noch eine Win-Win-Situation gegen das Sozialdumping entstehen. Ein Markteinführungsszenario ist nicht nur Bestandteil der deutsch-schwedischen Vereinbarung, sondern auch von der Bundesregierung vorgesehen. Wenn alles klappt und der politische Wille etwas nachdrücklicher kundgetan wird – zum Beispiel vom Verkehrsministerium -, könnten die Wolpertinger der Straße tatsächlich aus dem Fabeldasein in die reale Welt dringen und zur Emissionsminderung des Güterverkehrs beitragen.

Der Wolpertinger. Illustration Rainer Zenz, / Albrecht Dürer. CC BY-SA 3.0