Verband hat Vorbehalte gegen freiwillige Nachrüstung von Abbiegeassistenten in Lkw

Nach neuerlichem tödlichem Abbiegeunfall – „Kleine mittelständische Unternehmer“ können das angeblich nicht leisten –

Berlin, 14. Juni (ssl) Eine wenig empathische Argumentation hat der Sprecher eines Logistikverbandes im Nachgang zu einem tödlichen Abbiegeunfall mit einem Lkw in Berlin vorgetragen. Er machte im wesentlichen wirtschaftliche Argumente geltend, um darzulegen, warum seine Mitglieder in überwiegender Zahl keine elektronischen Abbiegeassistenten in ihre Fahrzeuge einbauen.

An einer Kreuzung in Spandau war am Morgen ein achtjähriger Junge ums Leben gekommen, als er mit dem Fahrrad von einem abbiegenden Lkw erfasst wurde. In der „Abendschau“ des RBB am Mittwoch erklärte Jens Pawlowski vom Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) zunächst, sein Verband erhebe die Forderung nach verpflichtendem Einbau solcher Geräte „schon seit Jahren … für alle neuzugelassenen Fahrzeuge“.

Moderator Sascha Hingst fragte nach, ob die Betreiber solche Systeme nicht vielleicht ohne Verpflichtung freiwillig nachrüsten sollten, und verwies darauf, dass Edeka das bei seinen Fahrzeugen getan habe. Tatsächlich geht es um Edeka Südbayern, die offenbar dank des persönlichen Engagements des Technischen Leiters einen derartigen Assistenten entwickelt und eingebaut hat, übrigens schon vor einigen Jahren, denn 2015 bekam die Lebensmittelkette bereits den Dekra-Safety-First Award dafür. Nach wie vor gibt es allerdings Fachleute, die die Effizienz des Systems infrage stellen.

Pawlowski holte dann den „kleinen mittelständischen Unternehmer“ aus der verstaubten Verbandsargumente-Schublade, der „vielleicht zehn, zwanzig Fahrzeuge“ besitze. Dazu komme noch, dass es „einen Anteil von gebietsfremden Unternehmen“ gebe, also ausländische, der bei 40 Prozent liege. „Das heißt, wir müssen aufpassen, dass wir hier nicht nur rein deutsche Systeme etablieren.“ Dazu ist anzumerken, dass auch Edeka sich im harten Wettbewerb befindet. Das dort eingebaute System soll rund 500 Euro kosten. Andererseits fahren, allen Compliance-Regeln großer Logistiker zum Trotz, viele in- und ausländische „kleine mittelständische Unternehmer“ als Sub-Sub-Sub-Unternehmer in den Städten, ohne dass sich die großen Auftraggeber um die Einhaltung einschlägiger Verhaltensrichtlinien kümmern.

Wer einen einigermaßen verantwortungsbewussten mittelständischen Unternehmer fragt, erhält zur Antwort, dass er neue Fahrzeuge mit allen lieferbaren Assistenzsystemen beschafft. Abgesehen von dem Überlebens-Nutzen für Radfahrer und Fußgänger seien diese Systeme eine große Erleichterung für den Fahrer. Im übrigen wirke sich das auch positiv auf den Wert des Fahrzeuges beim Wiederverkauf aus. Das heiße nicht, dass es an solchen Systemen keine Kritikpunkte mehr gebe.

Solche Argumente brachte Pawlowski nicht. Vielmehr wiederholte er „nochmal: Das sind kleine mittelständische Unternehmer, die haben den Sachverstand nicht, den Edeka hat, ein großer Konzern, um ein solches System zu testen und einzubauen.“ Dafür gibt es Werkstätten, möchte man ihm entgegenhalten. Und man könnte ja als Verband auf Edeka zugehen. „Auch wir haben den Sachverstand selbst im Haus nicht“, gab er zu, „holen uns den aber und sind im Dialog mit der Dekra, um Systeme auszutesten, die möglicherweise am Markt sind.“ Getestet werden solle, wohlgemerkt bei einem System, das schon seit 2015 preisgekrönt am Markt ist, „ob sie einen möglichen Sicherheitsgewinn bieten, denn am Ende ist niemandem geholfen, wenn ein Fahrzeug versehentlich bremst, weil es meint, dort ist eine Gefahrensituation, und verursacht dadurch eine neue Gefahrensituation.“ Am Anfang des Interviews hatte er noch gesagt, sein Verband sei für die verpflichtende Einführung, denn „jeder Unfall ist einer zu viel. Und selbst wenn das Assistenzsystem nicht in allen Fällen 100-prozentig helfen kann, die Möglichkeit“ sollte genutzt werden.

Der ADFC forderte wegen der zunehmenden Abbiege-Unfälle und weil am Sonnabend „Tag der Verkehrssicherheit“ ist, „die Nachrüstung aller Lastwagen ab 3,5 Tonnen mit elektronischen Abbiegehilfen und die Verbannung von Lkw mit schlechter Sicht aus den Innenstädten“.

Der Mitteilung zufolge ist die einschlägige Fahrzeugtechnik am Markt erhältlich. Das allerdings wird von Fachleuten auch kritisch gesehen.  Daimler bietet Assistenten immerhin nicht nur für Fernverkehrs-Lkw, sondern auch für Bau- und Müllfahrzeuge an.  „Bundesverkehrsminister Scheuer macht es sich zu einfach, bei der Einführung von Lkw-Abbiegeassistenten allein auf EU und UNECE (United Nations Economic Commission for Europe) zu verweisen“, schrieb der Fahrradclub. Er forderte die Umrüstung der Müll- und Reinigungsfahrzeuge in Städten sowie entsprechende Auflagen für Speditionen bei öffentlichen Aufträgen. „Die Zahl der durch abbiegende Lkw getöteten Radfahrenden steigt seit einigen Jahren an – von 28 in 2013 auf 38 in 2017.“ In diesem Jahr habe es bereits 21 tödliche Unfälle dieser Art gegeben, darunter fünf Kinder.