Mit der Lkw-Oberleitung zur Verkehrswende

Ministerin Hendricks und Siemens-Mobility-CEO Eickholt auf der Teststrecke in der Uckermark

“Ein Beitrag zur Verkehrswende”: Umweltministerin Hendricks vor einem Oberleitungs-Lkw. Alle Fotos: Rietig

Berlin, 11. April (ssl) Schon lange röhren auf der Startbahn des ehemaligen Militärflughafens Groß Dölln in der Uckermark keine Turbinen sowjetischer Militärjets mehr. Auf den Roll- und Startbahnen trainieren Autofirmen und das Bundeskriminalamt Fahrer. Und ein gut zwei Kilometer langes Teilstück ist sogar mit Oberleitungen ausgestattet. Auf dieser Teststrecke fahren die ersten Lastzüge mit Dachstromabnehmern. Umweltministerin Barbara Hendricks besuchte am Dienstag die Strecke, um nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass ohne Verkehrswende keine Energiewende möglich sei und dass die Emissionen im Verkehr 2016 gegenüber 1990 um ein Prozent zugelegt haben, anstatt wie gefordert zurückzugehen.

Hendricks wurde vom CEO der Mobility-Sparte von Siemens, Jochen Eickholt, und dem Technik-Chef von Scania, Nils-Gunnar Vågstedt, begleitet. Alle drei äußerten sich durchaus optimistisch darüber, dass die neue Technologie nach den Tests eine ernstzunehmende Variante nachhaltigen Straßengüterverkehrs wird. Immerhin laufen für die ersten beiden Teilstrecken im Normalbetrieb auf Bundesautobahnen die Ausschreibungen. Es sind vielbefahrene Abschnitte der A 5 in Hessen und der A 1 in Schleswig-Holstein.  Beide wären übrigens in einem späteren Regelbetrieb nahtlos in ein „Kernnetz“ elektrifizierter Autobahnstrecken zu übernehmen, da sie auf vielbefahrenen Strecken des „Systemverkehrs“ liegen – Lastzugtrassen, die regelmäßig und häufig im Pendelbetrieb befahren werden.

Die schlechte Energiebilanz des Verkehrs liegt weniger daran, dass die Autohersteller ihre Hausaufgaben nicht gemacht hätten, sondern resultiert unter anderem daraus, dass sich die Politik nur am Rande um die Einlösung ihrer Sonntagsreden-Versprechen gekümmert hat, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. So stagniert das Güteraufkommen im Schienenverkehr seit Jahrzehnten weitgehend, während es im Straßenverkehr dermaßen zunahm, dass es heute schon aus Kapazitätsgründen unmöglich wäre, einen nennenswerten Anteil auf die Schiene zu verlagern. Um das zu ändern und die selbstgesetzten Klimaziele zu erfüllen, muss etwas geschehen. Neben der stärkeren Förderung der Schiene bleibt da noch die Möglichkeit, den Straßengüterverkehr effizienter zu gestalten. Dem dient der Oberleitungs-Lkw.

Ein Oberleitungs-Gliederzug auf der Teeststrecke. Auf dem Beifahrersitz die Ministerin.

Das Verkehrsministerium hat sich dieser Technologie bisher nicht weiter zugewandt. Allerdings ist eine seiner nachgeordneten Behörden, die Bundesanstalt für Straßenwesen, mit in die Tests eingebunden. Im Umweltministerium, das sich schon seit sieben Jahren kümmert, ist dafür Matthias Scheffer zuständig. Er hat es geschafft, viele maßgebliche Personen für die Technologie zu interessieren. Da half es sicher, dass vor einiger Zeit in Schweden eine Teststrecke eröffnet wurde, auf der bereits planmäßige Transporte gefahren werden. Die Zugmaschinen kommen von der VW-Tochter Scania, Siemens liefert die Stromabnehmer, die große Ähnlichkeit mit ihren Pendants auf den Lokomotiven haben.

Die Laster können sowohl mit ihrem Verbrennungsmotor als auch mit Elektromotor fahren. Unter Strom wird sowohl die Batterie aufgeladen als auch der Elektromotor als Antriebsaggregat genutzt. Der neueste Scania-Laster, ein 60-Tonner, glänzt mit 10 (zehn) Kilometern elektrischer Reichweite bei reinem Batteriebetrieb. Wenn in Deutschland Mitte bis Ende 2018 die ersten Autobahn-Teststrecken in Betrieb gehen, sollen aber nach 30 Kilometer Oberleitungsfahrt rund 80 Kilometer elektrische Fahrt möglich werden.

Elefantenrennen sind weiter möglich. Zwei Oberleitungs-Lkw beim Überholen. Der rechte fährt vorübergehend mit Diesel.

Ausweich- und Überholmanöver sind auch auf Oberleitungsstrecken möglich, wie die Veranstalter auf der Teststrecke demonstrierten. Schaltet der Fahrer den Blinker ein, aktiviert sich der Batteriebetrieb, bis der Diesel auf Touren ist, die Stromabnehmer senken sich, und es geht ruckelfrei auf die Überholspur. Nach vollendetem Überholvorgang kann der Fahrer den Pantographen wieder unter die Oberleitung drücken und weiter “stromern”.

Verkehrswende in die Koalitionsvereinbarung

Die Ministerin wiederholt bei dem Termin mehrfach, dass es mit dem Verkehr so nicht weitergehen könne, sollen die Klimaziele erreicht werden. Deshalb müsse die Verkehrswende unbedingt als Thema in die neue Koalitionsvereinbarung aufgenommen werden, sagt sie am Steuer eines 40-Tonnen-Oberleitungslastzugs. Hier, auf der Betonpiste der ehemaligen Startbahn, tut sie es für die Fotografen. Vorher hat sie eine Testrunde mit ihm absolviert, wenn auch nur auf dem Beifahrersitz.

Ob dies „das Verkehrsmittel der Wahl“ ist, kann sie noch nicht sagen, es handele sich ja noch um einen Probebetrieb. „Es wird uns voranbringen im Hinblick auf eine weitgehend verbrauchsneutrale Verkehrsleistung.“ Die beiden Strecken sollen in gut einem Jahr betriebsfertig sein, die Spediteure haben sich auch schon gefunden. Jede Strecke wird vom Umweltministerium mit 14 Millionen Euro gefördert. Das reicht, um die Infrastruktur aufzubauen, sagt jedenfalls Scheffer. Das kostet eine Million Euro pro Kilometer und Richtung.

Wer den Ausbau nach Ende des Testbetriebs zahlt, ist noch nicht so ganz klar. Jedenfalls hilft, dass sich ein Großteil des Verkehrs auf einem relativ kleinen Teil des Straßennetzes abspielt. Hendricks meint, die für ein Kernnetz von 3.000 Kilometer erforderlichen sechs Milliarden Euro ließen sich aus den Mitteln des Bundesverkehrswegeplans von 270 Milliarden Euro bis 2030 finanzieren, und selbst wenn nicht, sei es ja nun auch nicht so eine große Summe, über die Jahre gerechnet.

Bleibt noch der Laster. Momentan werden die Stromabnehmer und die zugehörige Technik noch als „Manufaktur“ gefertigt, wie es Eickholt nennt, also quasi von Hand und als Einzelstücke. Wenn es erst einmal um größere Stückzahlen geht, komme eine Zusatzinvestition von rund 50.000 Euro auf den Kunden zu. Sie soll sich aber durch den höheren Wirkungsgrad der direkten Stromversorgung und die damit verbundene Lebenszykluskosten-Senkung refinanzieren. „Aus heutiger Sicht sind bei der Verwendung elektrifizierter Lkw für 100 000 elektrisch gefahrene Kilometer 20 000 Euro Energieeinsparungen möglich, sagt der Siemens-Manager.

Scheffer rechnet vor, dass so ein Laster pro Kilometer etwa 1,4 kWh verbraucht. Das ist etwa die Hälfte dessen, was er im Dieselbetrieb in Form von etwa 0,3 Liter Flüssigtreibstoff verbrennen würde, und das nur, weil die heutigen Lkw-Diesel die effizientesten Verbrennungsmotoren auf dem Markt sind. Bei Pkw würde der Verbrauch auf ein Drittel sinken. „Die Differenz zwischen Dieselpreis und Elektrizitätspreis entscheidet über die Wirtschaftlichkeit“, sagt Scheffer. Die Politik könne da aber Rahmendaten setzen.

Eickholt berichtet, dass sich bereits Interessenten aus verschiedenen Ländern, darunter Indien und China, gemeldet haben, die sich für die Technologie interessierten. Neben Schweden und der Bundesrepublik gibt es auch einen Test in der Hafengegend von Los Angeles, wo schon Laster fahren, ebenfalls mit Siemens-Pantographen.

Eine offenbar noch nicht so ganz geklärte Frage ist, ob der Einbau einer Oberleitung an der Autobahn einer besonderen Genehmigung bedarf. Das nötige Baugelände gehöre dem Bund, Bäume müssten nicht gefällt werden, beruhigt Hendricks. In Schweden klappte der Aufbau innerhalb des bestehenden Regelwerks. Eickholt sieht auch einen Markt bei Verkehren in Minen und Gruben.

Die Tests in Hessen und Schleswig-Holstein laufen drei bis vier Jahre. Gibt es die Möglichkeit, dass sie scheitern? „Es hängt alles von den Rahmenbedingungen ab“, sagt Scheffer. Womit er realistischerweise nicht mehr rechnet, ist das mittelfristige Steigen des Dieselpreises oder gar die Endlichkeit der Ressource fossile Kraftstoffe, die seit der ersten Ölkrise mehrfach vorhergesagt wurde.