Bahnchef Grube und Minister Dobrindt im selbstfahrenden Bus
Berlin, 17. Dezember (ssl) Ups – da blieb der Kleinbus plötzlich und unerwartet stehen. Bahnchef Rüdiger Grube und Verkehrsminister Alexander Dobrindt mussten sich festhalten, um nicht vom Sitz zu rutschen. Ein frecher Teilnehmer der Veranstaltung hatte herausfinden wollen, ob der autonom fahrende Bus wirklich stehenbleibt, wenn vor ihm ein Hindernis auftaucht, und war in den Weg gesprungen. Die Automatik funktionierte. Es war eine Deutschlandpremiere, aber nur, weil zwei Promis der deutschen Verkehrspolitik drin saßen.
Der Bus, etwas größer als ein VW-Bulli, fährt führerlos auf dem Gelände des Euref-Campus in Berlin-Schöneberg planmäßig als Shuttle zwischen den verschiedenen Gebäuden. Er wird hergestellt von der amerikanischen Firma Local Motors, mit dem die DB hier kooperiert. Das Setting sah ein bisschen inszeniert aus, so als hätten es vorher inoffiziell schon etliche Fahrgäste ausprobiert. Vielleicht hatten sie auch nur auf schönes Wetter gewartet. Aber egal: Die Tour um den Block ging auf jeden Fall als erste öffentliche autonome Busfahrt in Deutschland mit zwei A-Promis aus Politik und Wirtschaft in die Geschichte des automatisierten Fahrens ein. Tatsächlich gibt es noch einen zweiten Versuch der DB, auf dem DB-Schenker-Werksgelände in Leipzig mit einem Fahrzeug vergleichbarer Größe und Leistung, das aber – weltweit gesehen – bereits in Kleinserie gefertigt wird: zwei Stück pro Woche verlassen das Werk von Ligier in der Nähe von Toulouse zum Einsatz auf geschlossenen Arealen von Firmen oder Hochschulen. Oder auch auf Golfplätzen.
Mit der Veranstaltung wollte die Deutsche Bahn ihre Führungsrolle in dieser Sache unter Beweis stellen. Grube äußerte die Erwartung, dass der Versuch wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des Jahres 2017 auf den öffentlichen Straßenraum ausgeweitet werden könne. Dazu sollen im oberbayerischen Bad Birnbach Busse zwischen dem Bahnhof und dem Kurhaus autonom verkehren. Dazu müssten aber noch einige Ausnahmeregeln genehmigt werden, sagte der Chef der Deutschen Bahn, die immerhin das größte öffentliche Busunternehmen in Deutschland und wahrscheinlich mit ihrer Tochter Arriva auch in Europa ist. Der „Tagesspiegel“ meldete anschließend, dass der Versuch, als Teststrecke eine Trasse zwischen dem Euref-Campus und dem relativ nahe gelegenen Berliner Südkreuz genehmigen zu lassen, gescheitert sei.
Bei den Probefahrten nach Dobrindts und Grubes Eröffnungsfahrt meinten Teilnehmer, dass auch das Verhalten des Busses dem Verhalten menschengesteuerter Busse noch ein bisschen angepasst werden müsse. Zwar verkehrt er im Versuchsstadium lediglich mit sechs bis acht Stundenkilometern, aber auch für dieses Tempo war der abrupte Stopp für die Passagiere recht unkomfortabel. Das müsste dann schon etwas sanfter gehen, erst recht für Kurgäste.
Für den Bus selbst war es schon der zweite öffentliche Auftritt in Deutschland. Bei der IFA vor einigen Monaten stand er – noch nicht im weiß-roten ICE-Design – auf der großen Bühne des CityCube auf dem Messegelände, während Managerin Harriet Green von IBM Watson IoT die Vorteile des Internets der Dinge erläuterte. Damals hieß der Bus „Olli“. Wesentliche Teile von ihm sollen aus dem 3D-Drucker stammen. Er konnte (englisch) sprechen und gab seiner Chefin sogar Hinweise auf Restaurants in Berlin, die allerdings von wenig Ortskenntnis zeugten. Sie fuhr dann aber wahrscheinlich doch mit einem herkömmlichen Auto zum Dinner.
Grube sieht künftig „öffentlichen Individualverkehr“
Die extravaganten Aspekte der Testphase einmal beiseite gelassen, ist das Einsatz-Szenario für solche Busse recht realistisch: Grube will natürlich mit dem Experiment nicht eine Entwicklung beschleunigen, die dahin führt, dass in naher Zukunft die Fernbusse auf der Autobahn auch noch den Fahrer einsparen können. „Wir haben keine Angst vor der Konkurrenz, deshalb setzen wir uns ja an die Spitze der digitalen Entwicklung, damit wir nicht abgehängt werden.“ Der Bahnchef will vielmehr, dass „Schiene und Straße noch enger zusammenwachsen“. Er malte vielmehr die Zukunft eines „öffentlichen Individualverkehrs“ so: „Sie rufen einen Bus mit Ihrer App, und der autonome Bus kommt direkt zu Ihnen.“ Nicht so abwegig in Einfamilienhaussiedlungen, wenn des Nachts die Feiernden wieder nach Hause wollen. „Die Grenzen individueller und öffentlicher Mobilität werden immer weiter verschwimmen“, sagte Grube.
Sicherheit steht nach Aussagen Dobrindts und Grubes natürlich ganz obenan. Der Minister zerstreute gleich Befürchtungen der Sorte: „Wenn diese Fahrzeuge auf unseren Straßen verkehren, wird mir angst und bange.“ Dazu gebe es nun überhaupt keinen Grund – im Gegenteil, meinte Dobrindt. Jedes vollautomatische Auto auf der Straße erhöhe die Sicherheit im allgemeinen Verkehr. Denn automatisches Fahren trag dazu bei, den Faktor menschliches Versagen als Unfallursache zurückzudrängen.
Auf dem Weg zu autonomen Bussen
Dobrindt kündigte sogar in seiner offiziellen Rede an, auf der A9 in einigen Monaten einen autonomen Bus vom Format eines normalen Reisebusses fahren zu lassen. Später, im Gespräch, relativierte er diese zeitliche Dimension allerdings. Die Busse sind nämlich nicht ganz unproblematisch: In der Schweiz kollidierte ein „Olli“-ähnlicher Bus mit der offenen Heckklappe eines Lieferwagens. Der Probebetrieb in Sitten (Sion) wurde daraufhin für zwei Wochen unterbrochen. (https://www.postauto.ch/de/news/smartshuttle-testbetrieb-sitten-wieder-aufgenommen)
MAN-Konkurrent Daimler experimentiert ebenfalls bereits mit einem teilautomatisierten Linienbus, dem Mercedes Benz Future Bus. Er fuhr unter Aufsicht eines Fahrers in den Niederlanden mit bis zu 70 km/h auf einer 20 Kilometer langen Teststrecke zwischen dem Flughafen Amsterdam Schiphol und der Stadt Haarlem, allerdings auf einer separaten Fahrbahn.
Wie sich zeigt, hakt es bei allen Fortschritten der hochautomatisierten Mobilität noch hier und da. Je nach Versuchsanordnung ist es immer etwas anderes, sei es das abrupte Bremsen, die noch unfertige Sensorik. Aber die Anfänge sind gemacht. Und es zeigt sich, dass der Mensch tatsächlich ziemlich viel kann, jedenfalls wenn er nicht gerade Fehler macht. Ein Mitarbeiter von Local Motors beschreibt es: „Der Fahrer auf der Autobahn guckt bei dichtem Verkehr eben auch mal durch die Scheiben des Autos vor ihm, was sich dort abspielt. Er kann einschätzen, wann diese und jene Beobachtung, diese oder jene Reaktion, möglich und nötig ist. Er kann das Semantische beurteilen: die Bedeutung der Zeichen und des Offensichtlichen analysieren. Und das kann das autonome Auto noch lange nicht umfassend.“
DB Schenker probt Platooning zwischen München und Nürnberg
Wenn der autonome Kleinbus ein relativ unumstrittenes Modul eines neuen, vom Internet der Dinge beschleunigten Personennahverkehrs ist, wird die zweite Kooperation, die Grube im Innovationscampus vorstellte, durchaus kontrovers diskutiert: das Platooning von Sattelzügen auf der Autobahn. Dabei fahren mehrere Lastzüge hintereinander, doch nur der erste wird von einem leibhaftigen Fahrer gesteuert. Die bisher meist zwei folgenden steuern vernetzte Rechnersysteme, die sich sowohl an dem vorausfahrenden Laster als auch am Umgebungsverkehr orientieren. In den ersten Modellversuchen sitzen auch dort noch professionelle Fahrer im Cockpit, die das datengesteuerte Fahren überwachen. Es ermöglicht, wie Grube bei der Vorstellung der Zusammenarbeit mit MAN erläuterte, engere Abstände der Fahrzeuge zueinander und damit wirtschaftlicheres Fahren.
Der Bahnchef kündigte einen regelmäßigen „Platooning“-Verkehr mit solchen Lkw-Kolonnen auf der digitalen Testfeld-Strecke der A9 zwischen den DB-Schenker-Niederlassungen München und Nürnberg für 2018 an. Auf dem Werksgelände der Bahntochter in Nürnberg sollen in einem zweiten Schritt autonome Lkw verkehren.