Eine Flachbahn durch die Alpen

  • Gotthardtunnel wird eröffnet
  • 17 Jahre Bauzeit
  • 13 Milliarden Franken Kosten
  • 57,1 km: längster Eisenbahntunnel der Welt
  • Mitteleuropa-Gipfel zur Einweihung
Im Grund geht es um den Güterverkehr. Die Schweizer Bevölkerung hat von der Politik verlangt, den Transitverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Foto: Alp Transit Gotthard AG
Im Grund geht es um den Güterverkehr. Die Schweizer Bevölkerung hat von der Politik verlangt, den Transitverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Foto: Alp Transit Gotthard AG

Berlin, 27. Mai (ssl) Es wird ein Gipfeltreffen, auf dem – selten genug in diesen Tagen – das Zusammenwachsen Europas noch einmal gefeiert werden kann: Der Gotthardtunnel wird am 1. Juni eröffnet. Der zurzeit mit 57,1 Kilometer längste Eisenbahntunnel der Welt verkürzt  die Bahnreise zwischen Mittel- und Südeuropa um 45 Minuten oder 30 Kilometer.

Zur Eröffnungsfeier haben sich neben Schweizer Politprominenz der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi, Frankreichs Präsident François Hollande, der österreichische Bundeskanzler Christian Kern und Bundeskanzlerin Angela Merkel angesagt. „In der Schweiz grassiert das Gotthard-Fieber“, sagte Gery Balmer, Vizedirektor des Schweizerischen Bundesamtes für Verkehr, bei der Vorstellung des Projekts in Berlin. Der reguläre Verkehr soll mit Fahrplanwechsel am 11. Dezember starten. Bis dahin heißt es: „Üben, üben, üben“, wie es Peter Jedelhauser, der Verantwortliche der SBB für die Inbetriebnahme, ausdrückt.

Der erste Bahntunnel unterm Gotthard ist seit 1882 in Betrieb. Mit ihm verbinden sich Namen legendärer Lokomotiven wie „Elefant“ oder „Krokodil“ oder die Kehrenfahrt vor dem nördlichen Tunnelmund, auf der die Kirche des Örtchens Wassen dreimal am Zugfenster „vorbeizieht“. Der 15,7 Kilometer lange alte Tunnel verläuft auf etwa 1150 Metern über dem Meer. Dagegen ist das neue Bauwerk auf 550 Meter Höhe, überdeckt von 2300 Meter Gestein, „eine Flachbahn durch die Alpen“, wie Renzo Simoni sagte, der Chef der für den Bau verantwortlichen Alp Transit Gotthard AG.

Ab 2018 Frankfurt-Mailand

Der Neubau ist Teil des rund 23 Milliarden Franken schweren Projekts NEAT (Neue Eisenbahn-Alpentransversale). Es umfasst auch den 2007 eröffneten, 34,7 Kilometer langen Lötschbergtunnel im Westen und den Ceneri-Tunnel (15 km) im Süden, der 2020 fertig werden soll. Die NEAT verkürzt nicht nur die Reisezeit von Zürich ins Tessin, sondern auch etwa von Frankfurt nach Mailand. Auf dieser Relation sollen, wie Jedelhauser erklärte, voraussichtlich 2018 durchgehende Personenzüge verkehren. Die Schweiz hat eigens für die Gotthardstrecke 29 Zuggarnituren namens „Giruno“ bestellt, die 2018/2019 eingesetzt werden sollen. Ob sie dann auch nach Deutschland fahren, ist offen; die Zulassung für die Nachbarstaaten ist vorgesehen.

So soll der EC250 "Giruno" aussehen. Foto: Stadlerrail
So soll der EC250 „Giruno“ aussehen. Foto: Stadlerrail

Im Grunde geht es aber um Güterverkehr. Der Tunnel ist das Kernstück der europäischen Hauptlinie Rotterdam-Genua. Er soll die Straßen der Schweiz um jährlich 160.000 Lkw-Fahrten entlasten. Damit wäre eine wesentliche Forderung der Bevölkerung erfüllt, nämlich den Transitverkehr möglichst auf die Schiene zu verlagern. Im Gegensatz zu Deutschland, wo die Schienentransporte mit 17 Prozent am Gesamtaufkommen stagnieren, liegt der Anteil am Gotthard schon bei 69 Prozent.

Eine Milliarde für 20 Zentimeter

Dennoch fragten Kritiker des NEAT-Projekts, ob „wegen 20 Zentimetern eine Milliarde ausgegeben“ werden müsse. Dabei ging es um die Kosten für die Aufweitung des Lichtraumprofils für Güterwagen um 20 cm, um Sattelauflieger mit einer Eckhöhe von vier Metern auf der Schiene befördern zu können. Dafür sind Gotthard- und Ceneri-Tunnel ausgelegt, im Vor- und Nachlauf mussten aber weitere 21 Tunnel vergrößert und etliche Bahnanlagen umgebaut werden.

Hinter der Entlastung der Schweizer Täler von Abgasen tritt die Frage zurück, ob sich der Tunnel rechnet. Balmer verwies darauf, dass er ohnehin durch Volksentscheide legitimiert ist. Für die Bahnen aber macht der Tunnel den Alpentransit profitabler. Bald fährt ein Lokführer von Basel nach Bellinzona und zurück in dreieinhalb Stunden – vorausgesetzt Lok und Wagen schaffen die Höchstgeschwindigkeiten. Heute braucht er das allein für die Hinfahrt.

Im Personenzug geht es in drei Stunden von Zürich nach Mailand und zurück. Damit sie künftig Tempo 250 fahren können, müssen die langsameren Güterzüge gebündelt werden. Sie passieren den Tunnel in Dreierblocks, die hinter sich exakt so viel Platz lassen, dass der Schnellzug sie ein- und an der nächsten Ausweichstrecke überholen kann.

Oder vielleicht wird es doch der ICE? 2015 hat der Messzug ICE-S mit Probefahrten bis zu 275 km/h die Oberleitung im Tunnel abgenommen. Foto: Alp Transit Gotthard AG
Oder vielleicht wird es doch der ICE? 2015 hat der Messzug ICE-S mit Probefahrten bis zu 275 km/h die Oberleitung im Tunnel abgenommen. Foto: Alp Transit Gotthard AG

Die Kosten des Tunnels sind in dem 2008 vorgegebenen Rahmen von 13 Milliarden Franken (11,7 Mrd. Euro) geblieben. Als das Projekt Anfang der 90er Jahre mit einer Volksabstimmung angestoßen wurde, waren noch fünf Milliarden Franken im Gespräch. Seitdem wurde er verlängert, es gab Verbesserungen für Anwohner, und an einer geologisch schwierigen Stelle musste umgeplant werden. Und schließlich hat die Großbaustelle auch eine traurige Seite: In 17 Jahren Bauzeit verloren neun Menschen ihr Leben. 1882, beim Bau des ersten Tunnels, waren es knapp 200 Opfer.

In der Schweizerischen Botschaft in Berlin wurde das Gotthard-Projekt vorgestellt. Von links: Moderator Caspar Selg, Renzo Simoni, Vorsitzender der Geschäftsführung der Alp Transit Gotthard AG, Gery Balmer, Vizedirektor des Schweizerischen Bundesamtes für Verkehr, und Peter Jedelhauser, bei den Schweizerischen Bundesbahnen für die Inbetriebnahme des Tunnels zuständig.  Foto: Rietig
In der Schweizerischen Botschaft in Berlin wurde das Gotthard-Projekt vorgestellt. Von links: Moderator Caspar Selg, Renzo Simoni, Vorsitzender der Geschäftsführung der Alp Transit Gotthard AG, Gery Balmer, Vizedirektor des Schweizerischen Bundesamtes für Verkehr, und Peter Jedelhauser, bei den Schweizerischen Bundesbahnen für die Inbetriebnahme des Tunnels zuständig. Foto: Rietig

 

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