Nicht alle Konsequenzen aus dem Germanwings-Absturz finden Zustimmung
Berlin, 7. Dezember (ssl) Die deutschen Fluggesellschaften setzen sich gegen den Willen ihrer Piloten für europaweite Zufallskontrollen auf Alkohol- und Drogenmissbrauch bei Piloten ein. Außerdem wollen die Airlines eine europäische Gesetzgebung, die bei der Luftverkehrswirtschaft Anlaufstellen für Crewmitglieder mit psychischen Problemen verpflichtend vorsieht. Diese beiden Punkte nannte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Matthias von Randow, als wesentliche Resultate der Arbeit der Task Force, die sich unter seiner Führung nach dem Germanwings-Absturz vom 24. März 2015 mit möglichen Verbesserungen der Sicherheit im Cockpit beschäftigt hatte. Damals hatte ein offenbar psychisch gestörter Copilot das Flugzeug in Selbstmordabsicht in einen Berghang der französischen Alpen gesteuert. Dabei waren alle 150 Insassen des Flugzeugs ums Leben gekommen.
Bei der Aufarbeitung des Unglücks kam die Task Force, gebildet aus den Stakeholdern der Luftverkehrswirtschaft, darüber hinaus zu dem Schluss, dass an den Cockpittüren nichts geändert werden solle. Das war unter anderem diskutiert worden, weil der Copilot die Abwesenheit des Piloten im Cockpit genutzt hatte, um sich einzuschließen und den Absturz herbeizuführen. Die Tür ist von außen nicht zu öffnen. Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sind die Cockpittüren verschließbar, dass sie von der Seite der Passagierkabine nur zu öffnen ist, wenn die Crewmitglieder im Cockpit das zulassen. „Die verschlossene Tür hat so viel Sicherheit gebracht, dass wir sie nicht wieder aufmachen wollen“, sagte von Randow.
Stattdessen haben die Fluggesellschaften nach dem Unglück europaweit die sogenannte Zwei-Personen-Regel nach US-Vorbild durchgesetzt. Danach muss der Führerstand ununterbrochen mit zwei Personen besetzt sein. Verlässt ihn eine Pilotin oder ein Pilot, muss zwingend ein Mitglied des Kabinenpersonals ins Cockpit, um mindestens die Hemmschwelle für eventuelle Suizidvorhaben hoch zu halten oder sie durch eigenes Eingreifen zu verhindern. Die Pilotenvereinigung Cockpit (VC) praktiziert das zwar mit. Ihr Sprecher Jörg Handwerg warf aber auch hier die Frage auf, ob es wirklich zu einem Sicherheitsgewinn führt. „Die Cockpittür ist länger offen“, etwa weil es eine Weile dauere, bis ein Flugbegleiter den Platz eines Piloten einnehmen könne, gab Handwerg zu bedenken. Außerdem reichten die Kenntnisse des Service-Personals nicht aus, um rechtzeitig zu verhindern, dass ein suizidwilliger Pilot seine Absicht umsetzen könne.
Tiefgreifender war die Uneinigkeit der Task Force in der Frage der Zufallskontrollen nach US-Vorbild. Daher enthält das offizielle Ergebnis in dieser Sache keine Empfehlung. Ungeachtet dessen machten sich die vier im BDL vertretenen deutschen Fluggesellschaften Lufthansa, airberlin, Condor und Tuifly die Forderung zu eigen und gaben sie an die europäische Flugsicherungsbehörde EASA und die internationale ICAO weiter. VC-Sprecher Handwerg lehnte sie auf Anfrage von schienestrasseluft.de erneut nachdrücklich ab. Es gebe kein einziges wissenschaftliches Argument, das diese Maßnahme rechtfertige. Die Branche sollte sich vor blindem Aktionismus hüten, der ohne Not in Grundrechte eingreife. „Selbst im Straßenverkehr bedarf es eines Anfangsverdachts für eine derartige Kontrolle.“ Im übrigen habe der Germanwings-Absturz nichts mit Alkohol oder Drogen zu tun, sondern mit psychischen Störungen. Die Medikamente, die der Todespilot möglicherweise genommen habe, seien bei derartigen Kontrollen nicht nachweisbar. Er warnte davor, Forderungen nachzugeben, die lediglich aus politischen Gründen erhoben würden. „Nicht alles ist sinnvoll, was erst einmal gut klingt.“
Noch keine Rechtsgrundlage
Für die Zufallskontrollen gibt es derzeit weder in Deutschland noch in Europa eine Rechtsgrundlage. Wichtiger als diese Kontrollen sei dem BDL ohnehin die höhere Sensibilisierung der Branche für psychische Störungen des Personals, sagte von Randow. Die Anlaufstellen gibt es bei einigen Airlines bereits auf freiwilliger Basis, aber es fehlt ebenfalls eine verpflichtende Rechtsgrundlage und eine Vernetzung der einschlägigen Daten. Diese ist allerdings wegen einer hohen Missbrauchsgefahr hochproblematisch. Andererseits war die komplexe Krankheitsgeschichte des Germanwings-Piloten genau deshalb erst nach dem Absturz im Zusammenhang erkennbar.
Dem Vorschlag zufolge sollen die Anlaufstellen zwar die Anonymität des Patienten gewährleisten, aber zugleich soll zur eventuellen Therapie – und der Bestätigung, auch künftig flugtauglich zu sein – die aktive Mitarbeit eingefordert werden können. Handwerg begrüßte diese Maßnahme. Auch bei der Vereinigung Cockpit gebe es eine solche Anlaufstelle, die einen „um den Faktor 10“ (Handwerg) höhere Fallquote ausweise als die Zufallskontrollen in den Vereinigten Staaten. Dort sind nach Angaben von Randows bei etwa 100.000 Berufspiloten mit 10 Millionen Flugstunden pro Jahr 34 Personen durch Zufallskontrollen positiv auf den Konsum von Medikamenten, Drogen und Alkohol getestet worden. Laut Handwerg werden 99,99 Prozent aller psychischen Probleme von Pilotinnen und Piloten gelöst, wenn sich die Betroffenen an die Anlaufstellen wenden.
Von Randow sagte, die Fälle in den USA seien zwar eine sehr kleine Zahl, aber tatsächlich würden Personen entdeckt, die Drogen, Medikamente oder Alkohol missbrauchten. „Verglichen mit den Vorgaben der Ausfallwahrscheinlichkeiten in der Luftfahrt rechtfertigt neben der abschreckenden Wirkung bereits die relevante Zahl positiver Tests die Durchführung von Zufallskontrollen in den USA. Auf die europäische Luftfahrt übertragen, lässt sich eine vergleichbare Situation vermuten“, heißt es in einem Positionspapier des BDL. In Europa sollten die Kontrollen vom öffentlichen Dienst durchgeführt werden, aber der Aufwand solle in einem „angemessenen Verhältnis zum Sicherheitsgewinn stehen“.