Vernetzung, Sicherheit und E-Mobilität sind die großen Themen

Interview mit VDA-Präsident Wissmann für die VDI-Nachrichten 

Berlin/Frankfurt, 12. September (ssl) Alternative Antriebe und das vernetzte, automatisierte Auto sind die großen Themen der 66. Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) Pkw in Frankfurt am Main vom 17.-27. September. Aber auch die internationalen Märkte bewegen sich, und manche von ihnen machen der deutschen Industrie Sorgen. Wir fragten den Präsidenten des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Matthias Wissmann, für die VDI-Nachrichten nach Gegenwart und Zukunft des wichtigsten Zweiges der deutschen Industrie.

Ein elektrischer Mercedes SLS. Daimler-Chef Dieter Zetsche hat zur Ankurbelung der E-Autos die Forderung aufgestellt: "Macht sie sexy." Dieser ist es.
Ein elektrischer Mercedes SLS. Daimler-Chef Dieter Zetsche hat zur Ankurbelung der E-Autos die Forderung aufgestellt: „Macht sie sexy.“ Dieser ist es.

Herr Wissmann, wie sehr trifft die chinesische Börsenkrise die deutschen Autohersteller?

Die deutschen Hersteller sind in China stark – wir haben über 20 Prozent Marktanteil, und unsere Produkte haben dort ein sehr hohes Ansehen. Wir gehen aber schon seit längerem davon aus, dass sich das rasante Wachstum der letzten 15 Jahre so nicht weiterentwickeln wird. Im Jahr 2000 war der Markt in China so groß wie der der Niederlande, 2005 wie der in Deutschland, und heute ist es der größte Automobilmarkt der Welt mit rund 19 Millionen verkauften Fahrzeugen pro Jahr. Dass das nicht mit demselben Tempo weitergehen kann, ist klar. Wir machen uns keine Illusionen darüber, dass es unterwegs auch Volatilitäten gibt, wie wir sie gegenwärtig erleben. Trotzdem wird China auch in den kommenden 20 Jahren weiter wachsen, denn es gibt dort erst 60 Fahrzeuge auf 1.000 Einwohner. Zum Vergleich: In Deutschland haben wir 540 Fahrzeuge auf 1.000 Einwohner.

Ist die Einschätzung richtig, dass diese Börsenprobleme hauptsächlich die Oberschicht treffen, der Nachholbedarf aber bei der Mittel- und Unterschicht liegt, und Sie deshalb mit einem blauen Auge davonkommen?

Die Unruhe am Kapitalmarkt Chinas ist nicht nur ein Oberschichtphänomen. Da es in China noch kein ausgeprägtes öffentliches Altersversorgungssystem gibt, sind auch viele Menschen aus der Mittelschicht an der Börse engagiert. Wir haben daneben noch eine Blasenbildung an den Immobilienmärkten; viele der neugebauten Wohnungen stehen in bestimmten Regionen leer. Weil wir wissen, dass man das bisherige Wachstum nicht einfach in die Zukunft projizieren kann, stehen die meisten unserer großen Unternehmen auf mehreren Beinen. Der chinesische Markt ist ein ganz wichtiger, aber der starke US-amerikanische Markt ist ebenfalls bedeutsam. Und der westeuropäische Markt erholt sich mehr und mehr. Natürlich ist auch Lateinamerika in unserem Fokus, allerdings ist es beispielsweise in Brasilien schwierig. Auch Russland macht uns Sorgen, der Markt geht in diesem Jahr um ein Drittel zurück. Vor diesem Hintergrund erwarten wir für den Weltmarkt 2015 lediglich ein leichtes Plus von einem Prozent auf gut 76 Millionen verkaufte Pkw.

Es gibt ja seit kurzem zwei neue Märkte für deutsche Autos: den kubanischen und den iranischen: Was ist davon zu erwarten?

Bei Kuba handelt es sich um ein Marktvolumen von aktuell 6.000 Pkw-Neuzulassungen pro Jahr. Verglichen mit den 19 Millionen in China oder den drei Millionen in Deutschland befinden wir uns dort im Promille-Bereich. Je stärker sich Kuba öffnet, umso stärker wird auch der Markt wachsen. Viel bedeutender in Lateinamerika sind aber Märkte wie Mexiko und der ganze Mercosur-Raum, vor allem Brasilien und Argentinien.

Iran ist – wenn die Sanktionen gelockert werden – ein durchaus interessanter Zukunftsmarkt. Das gilt für Lkw und Pkw, das gilt für Hersteller und Zulieferer. Wir werden sehr genau schauen, dass das Sanktionsregime nicht verletzt wird, aber wir hoffen natürlich, dass sich die politischen Brücken, die jetzt dort gebaut werden, als tragfähig erweisen. Unter der Voraussetzung, dass sich der Iran an die Vereinbarungen hält, reden wir dort in fünf bis zehn Jahren über Pkw-Zulassungen von einigen 100.000 im Jahr. Wie wir Deutschen letztendlich daran partizipieren, ist eine offene Frage. Aber wir haben ein hohes Ansehen in der Region.

Wäre es denkbar, die griechische Wirtschaft durch Investitionen deutscher Autohersteller, etwa mit einem Autowerk für das geplante VW-Billigauto, zu beleben?

Ein Auto, das weniger als 10.000 Euro kostet, kann man nicht an einem Hochlohnstandort wie Deutschland produzieren, dafür kommen eher Länder wie Rumänien in Betracht. Griechenland hat keine Automobilfertigung. Für hochwertige Produkte braucht man eine qualifizierte Facharbeiterstruktur. Dort, wo es in Griechenland überhaupt Industrie gibt, liegen die Lohnstückkosten über denen der Türkei. Wenn sich in Griechenland auf Dauer eine sich selbst tragende Wirtschaft entwickeln soll, muss sich dort noch viel mehr ändern als nur das, was gegenwärtig im politischen Raum diskutiert wird.

Zurück nach Deutschland: Wie ernst nehmen Sie die Kritik der EU-Kommission an der deutschen Stickoxid-Reduktionspolitik?

Da läuft ein normales rechtliches Verfahren, weil die europäischen Luftqualitätswerte in den letzten Jahren dramatisch gesunken sind. Nach Angaben des Umweltbundesamtes wurden alle Grenzwerte an 74 Prozent der deutschen Messstellen eingehalten. Nur dort, wo die Messstellen an wirklichen Verkehrsknotenpunkten oder in Bahnhofsnähe liegen, wurden sie leicht übertroffen. Man kann nur hoffen, dass diese Initiativen dazu führen, dass es zu einer schnellen Erneuerung der Dieselflotten kommt. Mit Euro 6 haben wir das Problem gelöst, weil Stickoxid- und Partikelemissionen damit dramatisch gesenkt werden. Der Diesel nach Euro 6 ist ein technisches Wunderkind, der die CO2-Emissionen erheblich nach unten drückt, ein erhebliches Leistungspotenzial hat und die Schadstoffemissionen in kaum noch messbare Größenordnungen bringt. Von daher wäre es eher rückschrittlich, ganz auf den Diesel zu verzichten. Zumal in den Regionen der Erde, wo die Energie vor allem aus Kohle gewonnen wird, das Elektrofahrzeug nicht unbedingt zu einer Verringerung der CO2-Emissionen beiträgt.

Zum Beispiel in China?

Das kann in bestimmten Regionen Chinas so sein. Wir brauchen also den hocheffizienten Diesel und den hocheffizienten Benziner als Verbrenner gerade auch da, wo die Energieerzeugung auf Kohle basiert – auch für die weitere Reduzierung der CO2-Emissionen. Dennoch macht das Elektroauto viel Sinn! Wir haben uns in diesem Bereich enorm entwickelt. Wir sehen im Elektroauto eine gewaltige Perspektive, aber wir werden noch lange mit beidem leben, also mit dem Elektroauto und mit dem Verbrennungsmotor.

Was sagen Sie denn jemandem, der jetzt ein Elektroauto kaufen will, aber Angst wegen Batterie und Reichweite hat?

Ich rate dem, der Sorge um die Reichweite hat, einen Elektro-Plug-in-Hybrid zu kaufen. Ein solches Fahrzeug fahre ich zurzeit. In der Stadt bin ich rein elektrisch unterwegs und wenn ich auf die Autobahn fahre, schaltet sich der Verbrenner ein. Nach 100, 200 Kilometern auf der Autobahn rekuperiert der Verbrenner die Batterie und sie ist vollgeladen, wenn ich in der nächsten Stadt ankomme. Wer stattdessen nur eine überschaubare Reichweite braucht, für den ist das Elektroauto eine optimale Lösung.

Die große strategische Herausforderung bei der Weiterentwicklung der Batterien ist der Wirkungsgrad. Das Ziel bis 2025 müsste sein, ihn um Faktor drei zu verbessern. Das wird man aber wahrscheinlich nicht mit der heutigen Lithium-Ionen-Batterie erreichen, sondern nur mit den Nachfolgetechnologien. Wir sind in Deutschland bei den Themen Batterie-System, Zyklenfestigkeit oder Thermomanagement ganz weit fortgeschritten.

Aber Sie würden nicht sagen, das Elektroauto hat keine Zukunft, am Ende, wenn wir beide vielleicht schon nicht mehr Auto fahren?

Ich bin davon überzeugt, dass das Elektroauto in verschiedenen Konfigurationen einen wesentlichen Teil der automobilen Zukunft ausmachen wird. Jetzt in der Brücke als Plug-in-Hybrid, als batteriegetriebenes Auto und auch als Brennstoffzellenauto. Ich glaube aber auch, dass der Verbrennungsmotor noch im ganzen nächsten Jahrzehnt eine große Rolle spielen wird.

So funktioniert der neue Elektrobus, wie er beispielsweise in Berlin verkehrt. Grafik: Bombardier
So funktioniert der neue Elektrobus, wie er beispielsweise in Berlin verkehrt. Grafik: Bombardier

Das zweite große Zukunftsthema der IAA ist das autonome Fahren. Nun ist ein elektronisch gesteuertes Auto gehackt worden. Was tut die Industrie gegen diese Gefahr?

Das Thema Sicherheit hat für uns seit vielen Jahren oberste Priorität. Das gilt natürlich auch für die IT-Sicherheit im Fahrzeug. Die deutsche Automobilindustrie hat sich einen strikten Kodex zum Datenschutz gegeben und dazu gehört auch eine ausgeprägte Sicherheitskultur im automatisierten und vernetzten Fahrzeug. Entscheidend ist, dass Infotainmentsysteme mit Hilfe einer Firewall eindeutig von den sicherheitsrelevanten Systemen in der Fahrzeugelektronik getrennt sind. Klar ist aber auch: Es ist immer ein „technologischer Wettlauf“ mit den kriminellen Manipulierern – die Automobilindustrie versucht stets, zwei Schritte voraus zu sein.

Selbst wenn ich jetzt Komfort vom Betrieb trenne, brauche ich dennoch zur automatischen Steuerung meines Fahrzeuges GPS und Internet von außen, etwa um die voraus- und hinterherfahrenden Fahrzeuge zu erkennen. 

Wir sind in einem evolutionären Prozess: Vom Assistenzsystem hin zum teil-, hoch und schließlich zum vollautomatisierten Fahren. Im Zuge dieses fünf- bis zehnjährigen Prozesses werden wir natürlich alles daran setzen, die Risiken gegen Null zu bringen. Wir haben inzwischen 20.000 Entwickler in der Automobilindustrie, die sich überwiegend mit dem Thema vernetztes und automatisiertes Fahren beschäftigen. Im Premiumbereich gibt es jetzt schon eine Vielzahl von Assistenzfunktionen. Etwa den Spurhalteassistent, den Bremsassistent oder den Lichtassistenten. In Zukunft werden Sie am Flughafen ankommen und ein Parkhaus vorfinden, wo Sie die Fahrzeuge per Smartphone einparken können. Da müssen Sie gar nicht mehr reinfahren. Und Sie holen das Fahrzeug per Smartphone wieder ab. Im Jahr 2025 etwa werden wir dann auch vollautomatische Fahrten haben – Lkw zum Beispiel, die sich auf der Autobahn automatisiert auf der rechten Spur bewegen. Damit wird sich auch die Zahl der Unfälle verringern, weil man nicht mehr im selben Maß auf die Aufmerksamkeit des Fahrers angewiesen ist.

Laden die Hersteller Hacker bewusst ein, um die in Entwicklung befindlichen Systeme gegen sie abzusichern?

Die Industrie tut alles für die Sicherheit, dazu gehört auch die Simulaton von Hackerangriffen. Und selbst wenn man von außen nicht in die Motorsteuerung eingreifen kann – auch ein Eingriff in das Entertainmentsystem wäre ärgerlich. Dieser technologische Wettlauf ist noch nicht zu Ende. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit der hohen Innovationskraft dieser Industrie stets unseren Vorsprung neu erarbeiten.