Im Zug mit Marilyn

Amerikanischer Markenstil lebt an der englischen Ostküste wieder auf

Marilyn im Großraumwagen. © Foto: Rietig
Marilyn im Großraumwagen. © Foto: Rietig

London/Berlin, 8. Juli (ssl) Marilyn Monroe lächelt ihr entwaffnendes Lächeln unter dem Bahnhofsschild des berühmten Grand Central Terminal in New York. Fotos wie dieses von der Schauspielerin wecken sofort jede Menge positive Assoziationen, auch bei Menschen, die die Ukulele-Spielerin in dem, hüstel, Eisenbahnfilm „Manche mögen’s heiß“ noch nie gesehen haben. Monroe-Fan Ian Yeowart hatte den Film natürlich gesehen, als er vor etlichen Jahren auf einen Abzug dieses Bildes stieß und ihn für 50 Pence erwarb. Yeowart ist Managing Director bei der Alliance Rail Holdings im nordenglischen York. Er war zu dieser Zeit auf der Suche nach einem Markenauftritt für eine neue Eisenbahngesellschaft in England, die Yorkshire mit London verbinden wollte.

Als Marilyn ihn von dem etwa DIN A3 großen Abzug anlächelte, war die Entscheidung gefallen: Die Gesellschaft sollte „Grand Central“ heißen. Schwer zu glauben bei der Bekanntheit des Bahnhofsnamens, aber: Es hatte vorher noch nie eine Eisenbahngesellschaft gegeben, die so hieß. Soweit war das kein Problem, aber „ich wollte das Bild von Marilyn Monroe auf die Fahrpläne und in den Zügen vergrößert drucken“, erzählt Yeowart. Er machte sich also hauptsächlich telefonisch – „das Internet war 2007 noch nicht so weit“ – auf die Suche nach dem Rechteinhaber und fand „nach einigen Monaten“ eine kleine Firma in Indianapolis. „Als ich denen von meinem Plan erzählte, wollten sie es erst nicht glauben.“

Fahrpläne werden zu Antiquitäten

Er überzeugte sie mit dem Abschluss eines Lizenzvertrages, der ihm gestattete, das Konterfei der wohl berühmtesten amerikanischen Schauspielerin auf 1,5 Millionen Fahrplänen zu drucken und vergrößert im Zug an den Stirnwänden der Großraumabteile anzubringen. 15.000 Dollar jährlich musste er dafür aufbringen. Inzwischen sind die Verträge ausgelaufen, gedruckte Fahrpläne mit dem Monroe-Bild werden vielleicht gerade selbst Antiquitäten. Aber in den Waggons lächelt sie noch von den Stirnwänden.

Dazu kam ein Logo im Art-Deco-Stil. Ob diese Elemente mitverantwortlich für die Erfolgsgeschichte von Grand Central waren, ist noch nicht untersucht worden, aber geschadet hat es bestimmt nicht. Grand Central, die für britische Verhältnisse relativ kleine Bahngesellschaft mit acht Zügen und 18 täglichen Fahrten an der Ostküste ist seit 2007 zu einem Begriff geworden.

Zuerst mit 30 Passagieren

Gefahren wird unter einer „open access“ (freier Zugang) -Konzession. Das heißt: der Gesellschaft wird nicht für ein paar Jahre ein fester Fahrplan vorgegeben wie bei „Franchise“-Modellen, sondern sie kann ihn freizügig gestalten, muss aber zuvor in einem Business-Plan nachweisen, dass sie bisher nicht erschlossenes Passagierpotenzial binden will. Damit kommt die Vergabebehörde der Erwartung der Konkurrenten nach, dass ihr Geschäftsmodell nicht von dem Neuankömmling zunichte gemacht wird, indem dieser die Passagiere abwirbt.

„Der erste Zug fuhr mit 30 Passagieren ab“, berichtet Yeowart. „Wir hatten befürchtet, es könnte etwas schiefgehen, und deshalb nicht groß Reklame gemacht.“ Ein halbes Jahr später wurde unter Yeowarts Leitung der erste volle Zug gefeiert: 280 Fahrgäste. Grand Central Railway hatte die Herausforderung auf der vielbefahrenen Ostküsten-Strecke angenommen. Von Jahr zu Jahr stieg die Passagierzahl um durchschnittlich 16 Prozent auf jetzt 1,25 Millionen, weit mehr als erwartet.

Ambassadors sorgen für entspannte Verhältnisse

Der heutige Managing Director Richard McClean nennt als einen der strategischen Pfeiler des Erfolgs den Umstand, dass Städte in Nordengland, die bis dahin sehr schlecht von der Eisenbahn erschlossen waren, jetzt direkte Verbindungen in das rund 400 bis 500 Kilometer entfernte London haben. Dazu sind die Preise zumindest, soweit es die Normaltarife angeht, deutlich unter denen der Konkurrenz, die allerdings auch eine größere Auswahl an Verbindungen anbietet.

Richard McClean am Triebkopf des Grand Central-Zuges. © Foto: Rietig
Richard McClean am Triebkopf des Grand Central-Zuges. © Foto: Rietig

Grand Central pflegt ein Image der Verbindlichkeit gegenüber Fahrgästen und Umfeld: In manchen Städten sorgen „ambassadors“ dafür, dass das Verhältnis zwischen Bevölkerung, Kommunalverwaltung und Bahngesellschaft entspannt bleibt. Bahnhöfe oder Unterführungen bekommen schnell mal einen frischen Anstrich. Familienfreundlichkeit zeigt sich unter anderem darin, dass auf die Tischplatten zwischen einander gegenüber liegenden Sitzen Spielfelder für Schach oder Dame, Monopoly und Cluedo gedruckt sind. Spielfiguren gibt es an der Bar.

Mehr Geschäftsreisende

Geschäftsreisende gehörten ursprünglich nicht zur Zielgruppe. So gibt es derzeit keinen Zug, der so früh im Norden losfährt, dass ein Geschäftsmann noch am Vormittag Zeit für Meetings hätte. Aber manche kommen doch, weil auch in England die Vorgaben zur Verkehrsmittelwahl für Dienstreisen strenger werden. „Mit der Ersparnis gegenüber der Konkurrenz beim Ticket kann er seinen Geschäftsfreund zum Mittagessen einladen“, sagt McClean.

Grand Central bedient Sunderland an der Nordseeküste und Bradford, eine Großstadt in West Yorkshire. Von beiden Städten aus führt je eine Linie durch verschiedene weitere Städte nach York und Doncaster; von dort fahren die Dieseltriebzüge ohne Halt teils mit Tempo 200 (125 Meilen pro Stunde) nach London King’s Cross.

Auch Pendler nutzen die Züge

Inzwischen geht es nicht mehr nur darum, die Städte Yorkshires mit London zu verbinden; Pendler nutzen die Züge laut McClean im Norden auch als Regionalexpress. 2011 wurde Grand Central ein Teil des Verkehrskonzerns Arriva und damit des Deutsche-Bahn-Konzerns. Die Konzession für die Strecke läuft noch bis 2026. Bis dahin wollen weitere Züge gekauft werden, sodass teilweise in Doppeltraktion der Fahrgastzuwachs bewältigt werden kann. Die Fahrplanreserven auf der Strecke sind nämlich weitgehend ausgereizt.

Das Cockpit des Grand Central-Zuges (Class 180). © Foto: Rietig
Das Cockpit des Grand Central-Zuges (Class 180). © Foto: Rietig

Außerdem sollen die Züge in den nächsten Jahren neu ausgestattet werden. Wer Marilyn also noch sehen will, sollte sich beeilen, denn ihre Wandfotos werden der Renovierung zum Opfer fallen.

Yeowart beschäftigt sich inzwischen mit anderen Zuggesellschaften. So will er der Great North Eastern Railway Company (GNER) wieder zu neuem Ruhm verhelfen, indem er ab 2018 mit „Pendolino“- Zügen zwischen London und Edinburgh mit 3:43 Stunden die schnellste jemals erzielte bodengebundene Reisezeit anbietet. Das Geschäftsmodell: Den Marktanteil des Flugzeugs bei Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln zwischen den beiden Hauptstädten des Vereinigten Königreichs von derzeit 65:35 auf 50:50 Prozent drücken. Die GNER als Eisenbahnunternehmen gibt es seit 2007 nicht mehr. Damals stellte der Betreiber wegen schlechter Finanzlage den Intercity-Verkehr an der Ostküste ein. Im Herbst steht laut Yeowart die Entscheidung der staatlichen Vergabestellen an.

So bunt kann Wettbewerb sein. Im Londoner Bahnhof King's Cross. ©Foto: Rietig
So bunt kann Wettbewerb sein. Im Londoner Bahnhof King’s Cross. Der zweite von links ist der Grand Central-Zug Class 180 ©Foto: Rietig