Mehr Elektroautos in China als in Deutschland

Statistiken und Beobachtungen zum chinesischen Automarkt – “In Beijing ist Radfahren total angesagt”

Autoverkehr in Souzhou. Foto: Matias Rietig
Autoverkehr in Souzhou. Foto: Matias Rietig

Berlin, Anfang Juli (ssl) Der Automarkt in China zeigt derzeit einige interessante Entwicklungen, die vielleicht Hinweise für eine künftige Straßenverkehrspolitik in Deutschland geben können, auch wenn das wenigste direkt übertragbar scheint. Die erste Entwicklung: In China gibt es inzwischen mehr new energy vehiclesals in Deutschland. Das teilten Fachleute am 2. Juli am Rande der Halbjahres-Pressekonferenz des Verbandes deutscher Automobilhersteller (VDA) mit. Danach hat der Bestand an Elektromobilen innerhalb eines Jahres um 550 (fünfhundertfünfzig) Prozent zugenommen und liegt jetzt bei rund 36.000. In Deutschland sind es ein paar tausend weniger, und die höchste Steigerungsrate hierzulande betrug in etwa 100 Prozent, also eine Verdoppelung. Nur wenn die beibehalten würde, und danach sieht es zumindest 2015 nicht aus, wäre das Ziel von einer Million Elektrofahrzeuge bis 2020 mit rund 800.000 im weitesten Sinn erreicht.

Im folgenden Text eingeschoben sind Beobachtungen und Bilder von Matias Rietig aus den chinesischen Städten Souzhou und Shenzhen.

Zurück nach China: Eine Erfolgsmeldung ist die Steigerung trotzdem nicht. Auch im Reich der Mitte hat die Regierung hohe Ziele gesteckt, die weit verfehlt wurden. 2012 gab sie als Ziel aus, dass bis 2015 rund eine halbe Million Elektromobile und Plug-in-Hybride produziert und verkauft werden sollten. Die Relation zu den Fahrzeugen mit herkömmlichen Antriebssystemen ist angesichts der Größe des Marktes deutlich bescheidener als in Deutschland: Für 2015 erwartet der VDA in China ein Plus von sechs Prozent auf 19,7 Millionen konventionell angetriebener Neuwagen.

Motoren von Autos, Bussen, LKWs etc. werden hier sowieso grundsätzlich angelassen, auch wenn der Fahrer mal zwanzig Minuten im Auto warten muss (v.a. wegen der Klimaanlagen).

Wissmann bezeichnete diese Prognose als konservativangesichts eines Wachstums von neun Prozent im ersten Halbjahr. Er begründete das damit, dass die Raten in China allgemein sinken, weil die Regierung eher auf Konsolidierung setze denn auf Boom. Er berichtete, dass der Nutzfahrzeugmarkt innerhalb von zwölf Monaten um 30 Prozent eingebrochen sein, und führte das im wesentlichen auf eine Blaseim Wohnungsbau zurück, der von hohen Leerständen gekennzeichnet sei. Wieweit diese Beobachtung des VDA repräsentativ ist angesichts von Meldungen über hohen Druck auf den Wohnungsmarkt in den neuen Millionenstädten, kann von hier aus momentan nicht beurteilt werden. Wie auch immer, bei den Nutzfahrzeugen hat die deutsche Autoindustrie bisher keine Aktien in China.

Fahrräder sind total in, hier in Shenzhen. Foto: Matias Rietig
Fahrräder sind total in, hier in Shenzhen. Foto: Matias Rietig

Wie auch immer, bei den Pkw-Neuzulassungen haben deutsche Hersteller in China einen Anteil von etwa 21 Prozent, und weitaus die meisten Neuwagen mit deutschem Markenzeichen werden auch dort hergestellt. Das Verhältnis der vor Ort produzierten deutschenzu den eingeführten deutschen Fahrzeugen beträgt dem VDA zufolge 18:1. Zum Vergleich: In Deutschland werden jährlich rund drei Millionen Neuwagen zugelassen, je nach Konjunktur mal etwas mehr, mal etwas weniger.

Einer der Gründe für den in China nun aber immerhin merklichen Anstieg der Verkaufszahlen von Elektromobilen seien Zulassungsbeschränkungen für Autos mit herkömmlicher Energieversorgung in inzwischen acht Städten, sagte VDA-Präsident Matthias Wissmann. (Schiene Straße Luft berichtete hier auch schon über Fahrverbote.) Erlaubt sind zu bestimmten Zeiten nur noch Fahrten mit new energy vehicles(NEV).

Motorräder sind in Downtown Shenzhen, Guangzhou, Zhuhai (alle hier in der Gegend) komplett verboten. (…) Vielmehr sieht man hier eh die Leute mit Elektrorollern rumfahren, die zwar schön sauber und billig sind, aber nicht gerade die ohnehin schon katastrophale Verkehrssituation aufwerten. Einerseits hört man sie nicht ankommen und liegt schneller unter den Rädern als man denken kann, andererseits verstopfen sie, weil sie überall erhältlich sind, die Straßen und Gehwege.

So richtig mit der Helmpflicht haben es die Chinesen noch nicht. Foto: Matias Rietig
So richtig mit der Helmpflicht haben es die Chinesen noch nicht. Foto: Matias Rietig

Wissmann sagte es mit Rücksicht auf laufende Verhandlungen nicht direkt, ließ aber durchblicken, dass in China offenbar eine gewisse Willkür bei der Festlegung der Parameter für new energy vehicleswaltet. Offiziell gehören dazu neben reinen Elektromobilen Plug-in-Hybride und Brennstoffzellenfahrzeuge, inoffiziell scheinen Fahrzeuge aus rein chinesischer Produktion noch sauberer zu sein als solche aus Joint Ventures. Der VDA-Präsident gab sich jedenfalls zuversichtlich, dass die deutsche Industrie für eine faire“ Öffnung des Elektromobilitätsmarktes in China gerüstet sei. Sollte diese Öffnung wahr werden und eine Massenproduktion von Elektrofahrzeugen tatsächlich starten, so wären damit sicher auch Kostensenkungen auf dem deutschen Markt möglich, weil die Komponenten wirtschaftlicher würden.

Die GfK hat 2013 eine Untersuchung über NEVs in China veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass die Zentralregierung bereits 2009 mit dem TVTC-Programm (Thousands of Vehicles, Tens of Cities) umfangreiche Maßnahmen zur Förderung startete. Sie erzielten aber nicht sofort den erwünschten Erfolg, unter anderem wegen der auch in Deutschland beklagten Hemmnisse wie zu geringe Reichweite, unzureichender Industriestandards, hohe Produktionskosten, fehlende Ladeinfrastruktur und fehlende Nutzfahrzeugmodelle. 2010 wurden gleichwohl mehrere Millionenstädte, darunter Schanghai und Shenzhen, als Modellregionen ausgewählt. Dort wurde der Erwerb von NEVs subventioniert.

Hier in Shenzhen sieht man ab und zu so blaue Taxen, ich glaube das sind die, auf die der von dir gefundene Artikel auch hinweist. Das sind Elektroautos und sogar etwas billiger als die normalen Taxen; man muss nicht für das Benzin draufzahlen.

Fahrradrikschas in Shenzhen. Foto: Matias Rietig
Fahrradrikschas in Shenzhen. Foto: Matias Rietig

Die Reaktionen der inländischen Autobauer seien sehr enthusiastisch gewesen, berichtete die GfK. Die ausländischen Konzerne – BMW, Audi, Volkswagen, Mercedes-Benz, Honda, Toyota und General Motors wurden genannt – hätten sich auf Hybridfahrzeuge fokussiert, nachdem die chinesische Regierung ihre Maßgaben entsprechend erweitert und diese Autos auch als NEV klassifiziert habe. Als Fazit zogen die Nürnberger Konsumforscher, dass dieser Markt in China extrem wichtig wird. Er wird viele Chancen für multinationale Autohersteller schaffen, wie es auch beim Markt für konventionelle Autos der Fall war.

Übrigens ist in Beijing Radfahren total angesagt. Hier auch ein wenig, in Hong Kong dagegen gar nicht. Ich denke aber, zur Fortbewegung ist das Fahrrad in China noch nicht wirklich eine Alternative für die Chinesen, eher als Sport oder Zeitvertreib.

Das war 2013. Mit zunehmendem Hochlauf der Produktion stellt sich aber ein Problem, das in der Öffentlichkeit noch nicht breit aufgenommen worden ist: der Batterietransport. Die in Elektroautos verwendeten Lithium-Ionen-Batterien sind nämlich nicht ungefährlich. Unter bestimmten Bedingungen besteht Brandgefahr, was je nach der transportierten Menge unberechenbare Folgen haben kann. Wir erinnern uns an die Akku-Brände in den Boeing-Dreamliner-Flugzeugen, die 2013 eine ganze Flotte vorübergehend am Boden hielten. Bislang ist unter anderem deshalb der Lufttransport von neuen und beschädigten Lithium-Ionen-Akkus über 35 Kilogramm verboten. Die in Elektroautos verwendeten Akkus sind jedoch immer schwerer, erklärt der VDA in seinem Jahresbericht 2015. Eine weltweite Servicesicherheit ist deshalb nicht gewährleistet.