Wohin mit acht Millionen Fluggästen?

Update Berliner Hauptstadtflughafen – 6,5 Milliarden stehen am Ende auf dem Zettel

Die sichere Baustelle. © für alle Fotos: Rietig
Die sichere Baustelle. © für alle Fotos: Rietig

Berlin, 12. Juni 2015 (ssl) „Einfach wird es nicht“, räumt der neue Chef des Berliner Flughafens, Karsten Mühlenfeld, auf die Frage ein, ob er das vorhergesagte „technische“ Fertigstellungsdatum März 2016 für die Dauerbaustelle im Südosten der Hauptstadt einhalten kann. Er sagt aber auch: „Wir sind glücklich mit dem Status“, den der Neubau jetzt hat. 32 Prozent der 220 Meilensteine, also der messbaren Baufortschritte, seien jetzt erfüllt, seitdem im Januar die Zählung begonnen hatte. Rechnerisch ist damit nach einem Drittel der Zeit ein Drittel der Arbeit erledigt. Aber man kennt so etwas ja von Vertragsverhandlungen: 99 Prozent gehen relativ schnell, an den letzten Formulierungen beißen sich die Partner dann die Zähne aus.

Mühlenfeld zeigte sich unbeeindruckt bei der Veranstaltung des Luftfahrt-Presse-Clubs im neuen BER-Terminal am Freitag, als gleichzeitig durch die Medien lief, dass der Neubau des Berliner Schlosses zum Richtfest „im Zeit- und Kostenrahmen“ sei. „Als der Rohbau fertig war, war auch der Flughafen noch im Zeitrahmen.“

Und dann gibt er doch ein neues Koordinationsproblem zu. Beidseitig des neuen Terminals sind nachträglich zwei „Pavillons“ – turnhallengroß – gebaut worden, um die Abfertigungsmöglichkeiten zu erweitern. Ursprünglich war ihr Bau mit den neuen voluminösen Flüssigkeitsscannern begründet worden. Wer jetzt einen Blick hinein wirft, sieht aber nur weitere Abfertigungsschalter. Egal, jedenfalls wurden sie über den Anlieferhöfen errichtet, die vorher nach oben offen waren. Die Folge: „Auch die Anlieferhöfe brauchen nun eine Entrauchungsanlage. Und daran hat man wohl erst nach dem Bau der Pavillons gedacht. „Das schaffen wir auch noch“, gibt sich Mühlenfeld dennoch zuversichtlich. Tatsächlich scheint das ein „Peanuts-Problem“ zu sein, verglichen mit denen, die Technik-Chef Jörg Marks bei einem Rundgang durch den Bau aufzählt.

Flughafenchef Karsten Mühlenfeld.
Flughafenchef Karsten Mühlenfeld.

Wenn der BER „technisch fertiggestellt“ ist, kann damit begonnen werden, ihn operativ fertigzustellen. Das heißt, er muss quasi eingeflogen werden, mit allem Drum und Dran. Die Anlagen müssen probelaufen, Verfahren für alle nötigen Prozesse müssen in der Praxis erprobt werden, Testläufe und Testflüge, Notfallübungen und so weiter müssen beweisen, dass der Flughafen sicher betrieben werden kann. Erst dann kann er eröffnet werden. Als Zeitfenster dafür wird momentan das zweite Halbjahr 2017 genannt.

Und am Eröffnungstag wird er schon wieder viel zu klein sein. Das weiß Mühlenfeld auch, es wird ihm wahrscheinlich täglich unter die Nase gerieben, und doch hat er seinen Strategen „verboten, sich darüber Gedanken zu machen“. Die Zahlen: BER ist für 22 bis 27 Millionen Fluggäste jährlich ausgelegt. 22 Millionen am Anfang, 27 Millionen, wenn alle Prozesse optimiert worden sind. Die beiden alten Berliner Flughäfen bewältigen aber schon jetzt zusammen 28 Millionen. Und die Prognosen sagen für Berlin eine jährliche Steigerung von sechs Prozent voraus. Damit wären wir 2017 schon bei 33 Millionen. Es fehlt also Kapazität in der Größenordnung des gesamten Flughafens Stuttgart.

Ein Feuerlöscher ergänzt im Zweifel die Entrauchungsanlage.
Ein Feuerlöscher ergänzt im Zweifel die Entrauchungsanlage.

Wohin damit? Mühlenfeld nennt zwei Möglichkeiten: Die erste ist ein provisorisches Terminal – er nennt es „Blechhütte“ und zieht Vergleiche mit dem Air-Berlin-Terminal am Flughafen Tegel, das ja nun sooo schlecht auch nicht ist. Die zweite heißt: Das Terminal Schönefeld-alt weiter betreiben. Aber der Aufsichtsrat hat noch nicht entschieden; nur eins ist klar: „Am BER wird so lange nichts geändert, bis er technisch fertig ist.“

Erinnert sei daran, dass die Pläne die Möglichkeit eines zweiten Terminals der jetzigen Größe als Erweiterung vorsahen. Es sollte im Westen des jetzigen Neubaus entstehen und durch einen Tunnel unter dem Vorfeld erreichbar sein. Der Tunnel stand zwar in den Plänen, wurde aber nicht gebaut, um Kosten zu sparen. Wer Phantasie hat, male sich aus, welches Chaos entstünde, wenn der nun nachträglich gebaut werden müsste.

Noch einen Plan haben die Verzögerungen und Kostenexplosionen zur Makulatur gemacht: Dass in Schönefeld an der Stelle des alten Terminals ein Regierungsterminal gebaut werden könnte, das zur Eröffnung von BER fertig ist. Die Verantwortlichen in der Bundesregierung hätten ihm gesagt, dass sie von der Übergabe bis zur Inbetriebnahme drei Jahre bräuchten, erklärt Mühlenfeld. Selbst wenn das 2017 übergeben würde, wenn also Schönefeld und der jetzige Regierungsflughafen Tegel schließen, wäre also eine Aufnahme des Betriebes erst viel später möglich. Auch hier bahnt sich also eine Interimslösung, ein Provisorium an. Möglicherweise wird es überhaupt nichts mit der Übernahme von Schönefeld-alt durch die Bundesregierung, weil die Passagierzunahme den Verzicht auf das alte Terminal nicht zulässt. Weiteres Problem: Für die Interimslösung muss BER zahlen. Aber auch das ist ja vorerst das Geld des Steuerzahlers.

Immerhin wird schon aufgeräumt.
Immerhin wird schon aufgeräumt.

A propos Geld: Mit 1,1 Milliarden als erste Tranche einer doppelt so hohen EU-Förderung „arbeiten wir schon“, sagt Mühlenfeld, „weil die Eigentümer dafür bürgen.“ Damit komme man auch höchstwahrscheinlich für die noch ausstehenden Arbeiten am Terminal aus. Aber inzwischen müssen auch alte Verträge bedient werden, deren Zins- und Tilgungszahlungen mit der Eröffnung 2012 vertraglich festgelegt waren. Das kostet, ebenso wie die eben erwähnten Provisorien für die acht Millionen „überschüssigen“ Passagiere und den Regierungsflughafen. Also wartet Mühlenfeld auf die zweite Tranche, weitere 1,1 Milliarden Euro. Damit wäre der Flughafen dann bei unbestätigten 6,5 Milliarden Euro. 2009 war von 2,4 Milliarden die Rede.