Gedanken nach dem Absturz des Germanwings-Airbus
Berlin, 25. März (ssl) Der Absturz des Germanwings–Airbus in Südfrankreich gibt noch viele Rätsel auf. Gerade wegen der dramatischen Auswirkungen gibt er Anlass, über die Rolle der Menschen nachzudenken, die sich in ihrer täglichen Arbeit im Luftverkehr mit dem „Internet der Dinge“ auseinanderzusetzen haben. Was wir heute unter diesem Schlagwort verstehen und als innovativ und revolutionär wahrnehmen, ist in manchen Bereichen des Luftverkehrs schon seit geraumer Zeit Routine. Es beeinflusst den Berufsalltag des Piloten immer stärker.
Vielleicht muss die Rolle des „Flugzeugführers“ überdacht werden. Einst war er ein tollkühner Abenteurer, der die Kiste dorthin brachte, wo die Freiheit wohl grenzenlos ist. Dann beherrschten er oder sie Tausende PS und lassen bis heute mit annähernd – oder sogar mehr als – Schallgeschwindigkeit auch größte Entfernungen auf eine Tagesreise schrumpfen. Nun wird der idealisierte Mensch, der den uralten Traum in die Realität umsetzt, zum Notfallmanager, der im Zweifelsfall den Stecker zieht und sich über die künstliche Intelligenz hinwegsetzt, wenn sie im Flieger irrational zu agieren droht.
Es scheint, als müssten die Piloten hier neue Verhaltensmuster trainieren. Denn nicht immer haben sie Erfolg. Das Beispiel des Air-France-Airbus-Unglücks über dem Südatlantik zeigt, dass es manchmal allzu menschliches Benehmen – hier Autoritätsfragen zwischen den beiden Piloten – ist, das sie im Höchststress scheitern lässt, nachdem die Technik schon gescheitert ist.
Ein Verkehrsflugzeug unter normalen Umständen sicher zu starten, von A nach B zu fliegen und sicher zu landen – das kann heute der Computer. Es begann mit dem Autopiloten, es folgte „fly by wire“, und die Entwicklung ist noch nicht zu Ende. Einbezogen in die Schaltvorgänge der Rechner sind unzählige Speicher, Systeme und Sensoren inner- und außerhalb des Flugzeugs, die so viele Umgebungszustände wie möglich melden und verarbeiten. Und kein Zweifel, sie haben das Fliegen weltweit sicherer gemacht. Der Pilot wird unterstützt bei seinen Entscheidungen vor und während des Fluges, und in der Regel kann er das Flugzeug in der Gewissheit besteigen, dass passive und aktive Sicherheit auf dem höchstmöglichen Stand sind.
Aber muss er es überhaupt besteigen? Wer mit den für unbemannte Flugkörper bei der Luftwaffe zuständigen Piloten spricht, erhält auf diese Frage ein klares „Nein“. Im Gegenteil, werden sie sagen, eine Drohne fliege sogar sicherer als ein bemanntes Flugzeug, weil sie so programmiert sei, dass kein Raum für menschliche Risikofreude im weitesten Sinne bleibt, sondern die Rechner immer nach der sicheren Seite entscheiden werden. Sicherer auch, weil die Reaktionszeit eben keine „Schrecksekunde“ ist, sondern viel kürzer. Gibt es die „sichere Seite“ nicht, kommen Mensch wie Technik in die klassischen – eigentlich aus ethischen Gründen unlösbaren – Dilemmata.
Du fährst eine steile, enge Landstraße bergab zwischen zwei 40-Tonnern. Plötzlich versagen die Bremsen des Trucks hinter dir, er wird schneller und schneller. Bleibst du in deiner Spur, wirst du zwischen den beiden Lastern zerquetscht. Scherst du nach rechts aus, stürzt du den Hang hinunter. Scherst du nach links aus, kollidierst du mit einem entgegenkommenden Motorradfahrer. Was tust du? Was tut dein Auto, falls es automatisch fährt? (Quelle: DHL-Zukunftsstudie „Self-Driving Vehicles in Logistics“, S. 9, herunterzuladen unter http://www.delivering-tomorrow.com/de/about/ )
Auch das kleinste Übel ist in solchen Szenarien noch eine Tragödie. Solche Fragen bewegen zurzeit Auto- und hoffentlich auch Flugzeughersteller und ihre Zulieferer, wenn sie über autonomes Fahren/Fliegen nachdenken. Abseits aller Ethik reduziert es sich auf versicherungstechnische Fragen. Denn wenn sich ein Unglück nicht auf menschliches Versagen oder höhere Gewalt zurückführen lässt, so haften die Hersteller beziehungsweise ihre Versicherer.
Der Sprecher der Vereinigung Cockpit und A320-Pilot Jörg Handwerg erklärte am Dienstagabend in der ARD-Sendung „Maischberger“, manche Fehler, die Piloten in Höchststresssituationen machten, seien im Design der Rechnerarchitektur angelegt. Er transportierte damit die Bitte um Nachsicht für die Piloten, die von unterschiedlichen Anzeigen so verwirrt würden, dass sie nicht die richtige Entscheidung zur weiteren sicheren Fortbewegung der Maschine treffen könnten. Genau hier liegt der Punkt, um den es geht: Sind zwei von drei Pitotrohren, die unabhängig die Geschwindigkeit des Flugzeugs messen, vereist und das dritte nicht, so liefert die Anzeige im Cockpit eine Fehlinformation. Oder noch schlimmer: Die falschen Anzeigen werden gleich in – dann ebenfalls falsche – Handlungen des Systems Flugzeug umgesetzt, ohne dass der Pilot weiß, was und warum. Oder die Klappen und Spoiler reagieren unterschiedlich, wenn ein Fahrwerk Bodenberührung hat, weil die Rechner „annehmen“, dass das Flugzeug auf dem Boden rollt. Tatsächlich kämpft es aber noch mit Scherwinden. Handwerg kritisierte, dass die Handbücher manche derartigen Optionen gar nicht aufführten. Der Pilot muss sie aber kennen und trainieren, um im Notfall situationsadäquat reagieren zu können. Der Notfall – das könnte das künftige Haupteinsatzgebiet des Piloten sein.
Und wo wir gerade bei den Drohnen waren: Wäre es ethisch denkbar, dass im Notfall – falls die Piloten, aus welchen Gründen auch immer, handlungsunfähig sind oder psychisch versagen – der Jet vom Boden aus gesteuert und seine Insassen so „gerettet“ werden? Technisch muss es ja bereits möglich sein. Andererseits ermöglicht der bodenseitige Zugriff auf das System auch den Zugriff von unautorisierter Seite. Und schon haben wir wieder ein Sicherheits- und ein Autoritätsproblem. Das System Luftverkehr steht nach den Unglücken der vergangenen 14 Monate vor schweren Aufgaben.