Düsteres Zukunftsbild für Standort Deutschland – Schienen-Infrastruktur chronisch unterfinanziert
Die deutsche Bahnindustrie hat die Probleme bei der Zulassung von Schienenfahrzeugen für Umsatz- und Gewinneinbußen von einer halben Milliarde Euro im vergangenen Jahr verantwortlich gemacht. Der Präsident des Verbandes der Bahnindustrie (VDB), Bombardier-Chef Michael Clausecker, prangerte am Dienstag in Berlin die langwierigen Genehmigungsprozeduren des Eisenbahn-Bundesamtes an. Er ließ allerdings offen, ob die Summe in Gänze auf die angebliche Trägheit der Behörde oder auch auf tatsächliche Fehler bei den Herstellern zurückzuführen sei.
Die Bilanz 2012 der Bahntechnik-Hersteller weist zwar ein hohes Umsatzplus von 4,9 Prozent auf 10,7 Milliarden Euro aus. Die Bestellungen gingen dagegen um 27,6 Prozent auf 10,5 Milliarden Euro zurück. VDB-Hauptgeschäftsführer Ronald Pörner forderte als Ausweg aus der anhaltenden Unterfinanzierung der Schienen-Infrastruktur eine Ausweitung der Lkw-Maut auf Fahrzeuge ab 7,5 Tonnen und auf Busse.
Der drastische Rückgang bei der Nachfrage ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Deutsche Bahn 2011 ihren 3,7 Milliarden schweren Auftrag für die ICx-Züge platziert hatte. Aber auch im Vergleich zu 2010 lag der Auftragseingang „recht deutlich zurück“, sagte Clausecker. „Am wirtschaftlichen Himmel der Bahnindustrie sind die Wolken bereits unübersehbar.“ Mittelfristig müsse sich die Branche auf „eher rückläufige Umsätze und ein abnehmendes Auftragspolster einstellen“. Besonders der Markt für Lokomotiven breche gerade ein, sodass einzelne Hersteller bereits über den Verkauf dieses Teilgeschäfts nachdenken würden.
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(Die gesamten Grafiken des VDB zu den Zahlen von 2012 finden Sie unter dem obigen Link)
Als „tragische Einzigartigkeit“ bezeichnete Clausecker die deutsche Zulassungspraxis für Schienenfahrzeuge. Ende vergangenen Jahres hätten 140 Züge im Wert von 550 Millionen Euro auf dem Abstellgleis gestanden, weil ihnen die Zulassung fehlte. Dabei seien die 17 ICE-3-Züge von Siemens noch nicht einmal mitgerechnet. „Nur in Deutschland müssen Hersteller heute rund das Zehnfache an Dokumenten vorlegen wie in vielen anderen Ländern Europas.“ Der Präsident des Verbandes der Bahnindustrie forderte eine Anpassung der Zulassungspraxis an die der anderen Länder und empfahl, die Arbeit künftig an akkreditierte privatwirtschaftliche Organisationen zu delegieren, wie es bei der Zulassung von Autos und Flugzeugen auch gehandhabt werde. Das Bundesamt wäre dann nur noch für die Endabnahme zuständig.
Pörner wiederholte die VDB-Kritik an der anhaltenden Unterfinanzierung des Schienennetzes und der Steuerungstechnik in Deutschland. Nach Berechnungen des Verbandes fehlen zwei Milliarden Euro jährlich, um das Netz instand zu halten und die nötigsten Investitionen anzustoßen. „Das durchschnittliche Alter der Stellwerkstechnik beträgt 90 Jahre.“ Die Lkw-Maut müsse statt erst ab 12 Tonnen bereits ab 7,5 Tonnen Gesamtgewicht erhoben werden, und die Debatte um die Pkw-Maut müsse geführt werden, verlangte er. Außerdem sollten die Busse des jetzt neu entstehenden Fernbusnetztes mit Maut belegt werden, schon wegen der Gleichbehandlung mit dem Schienenverkehr, bei dem für jeden Regional- und Fernzug Trassengebühren gezahlt werden müssten.
Der Hauptgeschäftsführer begrüßte aber, dass die Bundesregierung eine „verkehrspolitische Wende“ eingeleitet habe, indem sie der Ausrüstung des internationalen Güterverkehrskorridors durch das Rheintal mit der modernen elektronischen Leit- und Sicherungstechnik EMRTS zugestimmt habe. Die Ausschreibungen müssten bis zum Sommer stehen, damit der Fertigstellungstermin 2018 eingehalten werde. „Wir erwarten sie im Juli“, sagte Pörner.