London, 23. Juli (ssl) In England hat die Deutsche Bahn ein starkes Standbein. Das Land ist die Heimatbasis ihrer Tochter Arriva, die europaweit für den Personenverkehr auf der Straße, der Schiene und dem Wasser zuständig ist. Aber wenn die Rede auf die Pläne kommt, den ICE durch den Kanaltunnel nach London fahren zu lassen, tun sich immer neue Hürden auf – oder vielmehr alte, die nun plötzlich ins Blickfeld geraten. Das Projekt ist „zurückgestellt“.
Auf dem Tisch ist es seit vielen Jahren, und die offizielle Erstfahrt des neuen ICE 3 nach Paris vom Donnerstag markiert nicht unbedingt einen Schritt voran auf dem Weg nach London. Optimisten, darunter der frühere Bahnchef Hartmut Mehdorn, wollten die deutschen Züge schon zu den Olympischen Spielen 2012 an der Themse sehen.
Daraus wurde nichts. Im Weg standen mal Zulassungsprobleme für die ICE-3-Züge im Kanaltunnel, mal Obstruktion durch französische Zulassungsbehörden. Dann kam die Misere mit der Zulassung der Züge in Deutschland. Nun erklärte Personenverkehrsvorstand Ulrich Homburg, das Projekt sei „erst einmal zurückgestellt“. Voraussetzung sei die Zulassung auf dem französischen, belgischen und niederländischen Netz, an der derzeit gearbeitet werde. Immerhin sei inzwischen grundsätzlich klar, dass die Züge in England bis nach London verkehren könnten. Aber es stelle sich die Frage der Rentabilität wegen „exorbitanter“ Trassenpreise im Tunnel und auf der französischen Teilstrecke. „Der Weg dorthin ist steinig“, sagte Homburg.
Und schließlich brachte er ein Problem vor, das bisher in der Öffentlichkeit wenig thematisiert wurde: die Zugangskontrollen. Unter dem Ärmelkanal herrschen Sicherheitsbestimmungen wie im Flugverkehr. Das bedeutet individuelle, lückenlose Personen- und Gepäckkontrollen. Wer also in einen Tunnelzug einsteigt, muss mit seinem Gepäck einen Sicherheitscheck durchlaufen, wie er in den Eurostar-Zügen von Anfang an gang und gäbe ist. Entsprechend aufwändig sind die Eurostar-Bahnhöfe ausgestattet, deutsche Bahnhöfe aber nicht.
Eine mögliche Lösung aus Sicht der Sicherheitsbehörden wäre, dass die ICE-Gäste am kontinentalen Tunnelbahnhof bei der Fahrt in Richtung London aussteigen, den Sicherheitscheck durchlaufen und anschließend wieder einsteigen müssten. „Das kostet aber mindestens eine halbe Stunde Reisezeit und wäre sehr unkomfortabel für die Fahrgäste“, gab Homburg zu bedenken. Damit werde die Reise verlängert und weniger attraktiv. Dazu kommt noch, dass die Bahnfahrt nach London bestenfalls aus dem Rheinland vom zeitlichen Aufwand her konkurrenzfähig zum Flugzeug sein dürfte. So wird aus Deutschland wohl vorerst das Flugzeug das bevorzugte Verkehrsmittel nach London bleiben.