Die Deutsche Bahn hat auch einen Hafen: Stettin
Berlin, 24. Mai (ssl) Am Kai liegen die „Stellar Atlantic“, registriert in Antigua Barbuda und die „Clipper Bari-Star“ unter panamesischer Flagge, zwei Massengutfrachter von beachtlicher Größe. Weiter hinten ein Containerschiff. Es wird gerade beladen – indirekt von der Deutschen Bahn. Die lässt nicht nur Züge und Lastwagen fahren und spielt ganz vorne im internationalen Logistikgeschäft mit. Sie betreibt auch einen Hafen. Es ist der Hafen von Stettin.
Er kam vor acht Jahren im Zuge der eigenen „Osterweiterung“ ins Portfolio des Konzerns. Wie der Vorsitzende der Geschäftsführung von DB Port Szczecin, Manfred Michel, erzählt, erwarb die Deutsche Bahn damals die gerade privatisierte PCC Rail in Polen. Zu dieser gehörte auch eine Gesellschaft, die große Teile des Stettiner Hafens betrieb. Die heißt jetzt DB Port Szczecin. Als Tochter von DB Schenker Rail Polska schlug sie 2014 rund 1,5 Millionen Tonnen Stückgut um, erzielte elf Millionen Euro Umsatz und schrieb damit nach Michels Angaben schwarze Zahlen. Bislang ein Container-Terminal, 40 Kräne, zehn Lagerhäuser und gut drei Kilometer Kaianlagen zählt Michel als Anlagen auf.
Das Geschäft läuft teilweise noch nach der klassischen Art: „Wir brauchen Gangs“, sagt Michel. Je nachdem, wie die Schiffsmeldungen einlaufen, löschen fallweise angeheuerte Schauerleute die Ladung. 230 fest Angestellte und 120 flexible Arbeitskräfte sind bei DB Port Szczecin beschäftigt.
Mit diesen Eckdaten ist das Unternehmen zwar nur ein kleiner Player im weltweiten Hafengeschäft, spielt aber nach eigenen Angaben eine zentrale Rolle für den Seehafenhinterlandverkehr in Polen, wenn auch die Häfen von Gdynia/Gdingen und Gdansk/Danzig deutlich höhere Umsatzzahlen aufweisen. Etwa zwölf bis 13 Prozent der landseitigen Fracht entfallen laut Michel auf den Schienenverkehr.
Schiene könnte an Bedeutung gewinnen
Das könnte sich mit dem Linien-Güterzugsystem von Schenker Rail ändern: In und um Polen bedient die Muttergesellschaft mittlerweile zwei große Linien. Die eine führt schon seit 2010 von Seddin bei Berlin über Frankfurt an der Oder einerseits nach Südosten über Breslau und Kattowitz bis nach Ostrava in Tschechien und andererseits über Posen nach Warschau und weiter nach Osten. Die zweite beginnt östlich Breslaus und führt über den Kreuzungspunkt Posen nach Stettin. In diesem System fahren die Züge nicht einfach von A nach B, sondern integrieren sich in ein Netzwerkkonzept, in dem unterschiedliche Mengen für unterschiedliche Kunden in gleichen Zügen mit hoher Frequenz und hoher Qualität transportiert werden.
Möglicherweise erhält auch Berlin als Destination von Stettin aus bald eine größere Bedeutung. Zur deutschen Hauptstadt sind es nur 150 Kilometer – zum Vergleich: Die Entfernung Rostock-Berlin beträgt 230 Kilometer -, und sie ist über die Autobahn gut erreichbar. Michel nennt Stückgut und Container als wesentliche Geschäftsfelder der DB Port Szczecin. Als Stückgüter nennt Michel Coils, das sind Rollen aus gewalztem Stahl, gefrorenen Fisch aus Südamerika und Granit. Ein wichtiges Gut ist Zellulose aus Finnland, die an Papierfabriken entlang der Oder geliefert wird – mit Lastwagen. Nach Angaben Michels lohnt es sich wegen der verhältnismäßig kurzen Entfernungen nicht, diese Fracht auf die Bahn umzuladen, und „für das Binnenschiff ist noch nicht die richtige Größe gefunden worden“. In Richtung Berlin könnte aber auch der Bahnverkehr wieder interessant werden, weil die Aktivitäten in den Güterverkehrszentren um die Stadt herum zunehmen.
Eine der Strecken dorthin über Tantow, Passow und Angermünde soll nun bald ausgebaut werden. Ein deutsch-polnisches Rahmenabkommen gibt es schon, es sieht den ganz oder teilweisen zweigleisigen Ausbau vor, damit täglich fünf bis zehn Güterzüge zwischen dem Hafen Stettin und Berlin verkehren können. Noch wichtiger ist aber die durchgehende Elektrifizierung, weil der Bahngütertransport ohne Oberleitung laut Michel nicht attraktiv ist. Auch der zuständige Vertriebsleiter der Deutschen Bahn, Arvid Kämmerer, plädiert für die Elektrifizierung, damit das Personenverkehrsangebot besser wird, zum Beispiel ohne Umsteigen bis zum Berliner Hauptbahnhof und weiter zum neuen Flughafen.
Containerumschlag soll ausgebaut werden
2014 schlug DB Port Szczecin 74.000 Standard-Containereinheiten (TEU). Michel gibt als Zielmarke 100.000 TEU aus. Die Träume einer größeren Container-Umschlagsstation sind erst einmal dahin, seit Danzig von einem der größten Player im Containergeschäft, neben Göteborg als einer von zwei Hauptanlaufhäfen in der Ostsee auserkoren wurde. Ein weiteres Problem bei der Hinterlandanbindung stellt die Wasserstraße dar. Damit Binnenschiffe Berlin auf der Wasserstraße konkurrenzfähig erreichen können, muss unter anderem erst das neue Schiffshebewerk Niederfinow fertig werden.