Wie Busse die Teilung Berlins beendeten

Von Jürgen Voges

Berlin, 6. November (ssl) An Großereignissen wirken neben den bekannten Regisseuren stets viele namenlose Akteure mit, die in den Geschichtsbüchern kaum Erwähnung finden. Vor 25 Jahren beim Fall der Berliner Mauer waren es vor allem Mitarbeiter der Berliner Verkehrsbetriebe in Ost und West, die mit Improvisationstalent und vielen Überstunden dafür sorgten, dass die wieder offene Grenze tatsächlich für die andrängenden Menschenmassen auch passierbar blieb. Ohne ihr Engagement und ihre berufliche Disziplin hätten anstelle der Mauer bald Verkehrschaos und Dauerstau den Osten wieder vom Westen abgeschnitten. Diesen Mitarbeitern der BVB im Osten und der BVG im Westen verhilft das Buch von Thomas Rietig „Mit Bus und Bahn durch die Mauer“ zu ihrem Recht.

Netzkarte der BVB (Ost) 1959. Man beachte die feine Differenzierung zwischen "West-Berlin" und "Demokratischem Berlin". Plan: BVG-Archiv
Netzkarte der BVB (Ost) 1959. Man beachte die feine Differenzierung zwischen „West-Berlin“ und „Demokratischem Berlin“. Plan: BVG-Archiv

Gestützt auf Interviews mit Zeitzeugen – mit Bus- und U-Bahn-Fahrern genauso wie mit damaligen Verkehrsmanagern und mit dem ehemaligen Regierenden Bürgermeister Walter Momper – schildert das Buch die Öffnung der Mauer für den Berliner Nahverkehr und zeichnet dessen Entwicklung bis zur Vereinigung von BVB und BVG Anfang des Jahres 1992 nach.

In der Nacht der Maueröffnung brachten BVB-Busse Ostberliner an die Grenze, können wir bei Rietig lesen. Schon am 11. November wurde der U-Bahnhof Jannowitzbrücke erneut in Betrieb genommen: Nach Passieren einer schnell eingerichteten Grenzkontrolle konnten dort Ostberliner wieder die Züge der U-Bahn-Linie 8 besteigen, die zuvor wie auch die U-Bahn-Linie 6 zwar durch Ostberlin gefahren war, an den unterirdischen Geisterbahnhöfen aber nicht angehalten hatte. Bis Mitte 1990 wurden dann alle Geisterbahnhöfe von U- und S-Bahn wieder in Betrieb genommen.

Schon am Wochenende nach dem Mauerfall, am 11. und 12. November, beförderten BVB und BVG zusammen rund acht Millionen Fahrgäste und verdreifachten damit aus dem Stand ihre Fahrleistung. Wie Rietig in dem knapp 100-seitigen Buch auch schildert, halfen dabei 225 Solidaritätsbusse mit, die Unternehmen aus dem ganzen Bundesgebiet samt Fahrern kurzfristig in die Hauptstadt schickten. Fahrer und Busse blieben oft bis Weihnachten in Berlin.

Bei der Vorstellung des von der Berliner Verkehrsbetrieben herausgegebenen Buches erinnerte die BVG-Vorstandsvorsitzende Evelyn Nikutta auch an die unterschiedliche Entwicklung, die der Nahverkehr in den 28 Mauerjahren in Ost und West nahm. Während im Ostteil der Stadt das Straßenbahnnetz ausgebaut wurde, stellte im Westen 1967 die letzte Straßenbahnlinie ihren Betrieb ein. Dort setzte man ganz auf U-Bahnen und Autoverkehr. „Heute sind wir froh, dass wir das Straßenbahnnetz im Osten haben“, sagte Nikutta.

Im Dezember soll auch der im Westteil gelegene Hauptbahnhof einen Anschluss an dieses Straßenbahnnetz erhalten. Rietig sieht darin eine Art Schlusspunkt der Wiedervereinigung des Berliner Nahverkehrs. Die BVG bereitet im Übrigen weitere Bücher über ihre Geschichte vor. Als nächstes soll ein Band über ihren Wandel in der Nazizeit erscheinen.

Thomas Rietig: Mit Bus und Bahn durch die Mauer – Die BVG in der Zeit der deutschen Vereinigung 1989 – 1992. Mitteldeutscher Verlag Halle, 14,95 Euro.

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