Gedanken über die Angemessenheit des Ausstandes der GDL – Es trifft die Falschen
Berlin, 04. November (ssl) Fast 100 Stunden bestreikt die GDL die Bahn: Betroffen sind vor allem die Fahrgäste, die allgemeine wirtschaftliche Versorgung und die Deutsche Bahn. Verglichen damit ein ganz kleines bisschen betroffen sind möglicherweise auch jene Bahnmitarbeiter, die Mitglied der Konkurrenzgewerkschaft EVG sind, weil ihnen mangels Arbeit Zuschläge und Zulagen entgehen.
Die GDL fühlt sich laut eigenen Aussagen als Wahrer der grundgesetzlich garantierten Koalitionsfreiheit. „Dieses Grundrecht ist in Gefahr“, zitiert „Spiegel online“ am Dienstag den Gewerkschaftschef Claus Weselsky. Aber muss man dafür einen einsamen Rekordstreik starten?
So ganz unrecht hat Weselsky ja vielleicht nicht, was man daran erkennt, dass die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf zur Tarifeinheit auch ziemlich vorsichtig voranschreitet. Und zur ganzen Wahrheit gehört auch, dass viele Arbeitgeber nichts unversucht lassen, sich von Gewerkschaften so unabhängig wie möglich zu machen und mit unzähligen Tricks sich aus der grundgesetzlich garantierten Sozialpflicht des Eigentums zu stehlen.
Aber selbst innerhalb der DGB-Gewerkschaften hört man hinter vorgehaltener Hand manchmal leise Zweifel am Tarifeinheitsgesetz: „Am Ende kann es de facto darauf hinauslaufen, dass hier Gewerkschaften verboten werden“, heißt es. Aber was kann die Deutsche Bahn dafür? Was können die Fahrgäste dafür? Und vor allem: Wie bekomme ich den Gesetzgeber dazu, dieses Gesetz, wenn es denn sein muss, so zu formulieren, dass am Ende eben keine Gewerkschaften de facto verboten werden?
Wir Journalisten haben Erfahrung mit Tarifverträgen, bei denen auf der einen Seite ein Arbeitgeber und auf der anderen Seite zwei Gewerkschaften sitzen: der DJV (eher gemäßigt und als Standesorganisation verspottet) und verdi, früher deutsche journalisten union (dju, klein geschrieben und als von der DKP unterwandert verdächtigt, früher, versteht sich). Nie haben wir ernsthafte Einwände einer der beiden Gewerkschaften gehört, dass man sich nicht zum Wohl der zahlenden Mitglieder hätte einigen können.
Es ist recht gut ausgegangen, solange im Printbereich noch etwas zu verteilen war. Schlecht verdient haben Journalisten früher nicht, bis ihre Verleger und anderen Arbeitgeber sich reihenweise aus der Tarifgebundenheit verabschiedeten und unter Hinweis auf ihre angeblich prekäre Lage Sozialleistungen reihenweise abgebaut haben.
Warum wird gestreikt, wenn angeblich ein Grundrecht in Gefahr ist? Der normale Weg ist der Gang nach Karlsruhe oder eine Kampagne in der Öffentlichkeit oder Lobbying im Bundestag und anderen Parlamenten und nicht eine Arbeitskampfmaßnahme. Oder man benennt einen Moderator, Mediator, Schlichter – der zwischen EVG und GDL eine Einigung herbeiführt – und schließt dann mit der Deutschen Bahn erst einmal einen Tarifvertrag für die Lokführer ab. Fünf Prozent mehr und zwei Stunden weniger Arbeit pro Woche wären ja nach den ersten Drohgebärden drin gewesen.
Ein Streik ist für diesen Machtkampf das unangemessene Mittel, weil er – vom Ziel her gesehen – die Falschen trifft. Ein Streik als Mittel zur Wahrung der Grundrechte wäre höchstens gerechtfertigt, wenn eine Machtübernahme durch das Militär oder Vergleichbares drohte, dem die Öffentlichkeit dann mit dem Mittel des Generalstreiks entgegentreten könnte. In diesem Fall würde sich der Aufrufende aber auf eine breite Solidarität in der Bevölkerung verlassen.
Die bisherigen GDL-Streiks haben jedenfalls nicht zu einer breiten Solidarisierung über die GDL hinaus geführt, um es wohlwollend auszudrücken. Da fragt sich der Bahnfahrer doch: Warum machen die eigentlich ihr Problem zu meinem? Wäre ihr Problem so gravierend für die bundesdeutsche Gesellschaft oder auch nur für die „Balance of Power“ in der sozialen Marktwirtschaft, dann müsste das doch noch jemand außer der GDL gemerkt haben.
In der derzeitigen Situation hofft die GDL möglicherweise auf einen Anruf aus dem Kanzleramt bei Bahnchef Rüdiger Grube mit dem Tenor: „Jetzt mach mal Schluss, wir kriegen das schon auf der politischen Ebene hin.“ Es wäre nicht das erste Mal. Aber es sind weit und breit keine Wahlen in Sicht.
Die Deutsche Bahn ihrerseits hofft auf das Gesetz, dessen Inkrafttreten aber noch eine Weile auf sich warten lassen dürfte, selbst wenn die gesamte große Koalition dahinter steht. Bis dahin haben die Lufthansa, Air Berlin, die Fernbusse und Taxifahrer Gelegenheit, sich am Schienenersatzverkehr schadlos zu halten. Und wir verkneifen uns Bemerkungen darüber, dass der Sachse Weselsky mit seinem Streik ausgerechnet viele Reisepläne für das Einheits-Freiheits-Jubiläums-Wochenende torpediert.