Neue Kultur der Konzerne gefragt

Beim „Dieselthema“ geht es um mehr als Fahrverbote

Der Kommentar von Greenpeace zum Dieselgipfel: „Fort NOx“-Plakat am Verkehrsministerium. Foto: Rietig

Berlin, 2. August (ssl) Software-Update, Städtereinhaltungsfonds: Der Dieselgipfel hat nur halbherzige Maßnahmen zur Folge. Es ist mehr als unsicher, ob sie helfen, Fahrverbote zu vermeiden. Er wirft dagegen Fragen auf, die weit tiefer gehen als bis zum Dieseltank. Ein Kommentar.

Jeder zieht sich den Schuh an, der ihm passt. Als Umweltministerin Barbara Hendricks am Mittwochabend nach dem Dieselgipfel sagte: „Wer Ja zur Marktwirtschaft sagt, darf bei Unternehmensversagen nicht nach dem Staat rufen“, war es ausgerechnet VW-Chef Matthias Müller, der sich über die Wortwahl beschwerte. Dabei hat genau sein Unternehmen nachweislich versagt: Der Konzernchef nahm deshalb seinen Hut, Manager gehen in USA dafür ins Gefängnis, und der Konzern zahlt nach rechtskräftigen Urteilen oder Vergleichen Milliarden-Strafen und -Entschädigungen.

Das ist nicht nur eine Stilfrage. Es ging beim Dieselgipfel zwar nach außen hin in erster Linie darum, pauschale Fahrverbote zu vermeiden. Und dann hat die Industrie noch Glück gehabt: Keine Hardware-Umrüstung nötig, keine blaue Plakette. Tatsächlich geht es um die Gesundheit der Stadtbewohner. Es geht auch noch um das Gesellschaftsmodell, nach dem wir hier leben. Es ist in Gefahr, wenn elitäre Manager und ihre Konzerne glauben, sich aufgrund ihrer Wirtschaftsmacht alles erlauben zu können. Was schon bei den Banken zu beobachten war, wiederholt sich hier. All das fördert nicht das Vertrauen der Bürger in die Strukturen. Genau auf diese ist aber die Wirtschaft angewiesen.

VDA-Präsident Matthias Wissmann hat das schon erkannt, als er jüngst in einer Pressemitteilung eine neue Unternehmenskultur in Teilen seiner Industrie anregte. Wenn man hört, dass einzelne Manager zum Dieselgipfel erklärt haben sollen, nur dann zu Zugeständnissen bereit zu sein, wenn die Politik garantiere, dass es dann keine Fahrverbote gebe – dann brauchen diese Manager offenbar Nachhilfe in demokratischem Grundwissen. Richtig ist: Es wird nur dann keine Fahrverbote geben, wenn den Richtern bewiesen werden kann, dass die Grenzwerte eingehalten werden, die die Europäische Union nach ausgiebiger Lobbyarbeit der europäischen Autoindustrie festgelegt hat. Wie lange reden wir schon über die unhaltbare NOx-Belastung der Städte, ohne dass etwas passiert ist?

Und um die Städte sauber zu bekommen, wären steuerliche Anreize so ziemlich das Letzte, was der Verbraucher, der Unternehmer oder der Steuerzahler erwarten sollte. Es gibt sie bereits reichlich. Der Diesel, ob sauber oder nicht, wird bereits durch den ermäßigten Mineralölsteuersatz gefördert. Letztlich wird damit nicht der Verbraucher begünstigt, sondern die Autoindustrie in ihrem – nennen wir es einmal: Beharrungsvermögen – subventioniert. Auch wenn sie für 800.000 Arbeitsplätze verantwortlich zeichnet, ist es ein Armutszeugnis, dass sie trotzdem noch schummeln musste. Vielmehr sollte sie gerade aus Verantwortungsbewusstsein für diese vielen Arbeitsplätze anständig handeln und alles tun, regelkonform zu handeln. Bei der Bankenkrise ist uns allen versprochen worden, dass es ein zweites Rettungsprogramm für Großkonzerne nur wegen „too big to fail“ nicht geben wird. Die Republik steht schon wieder kurz davor.

Die Politik sollte demnächst den Dieselpreis ins Visier nehmen, gerne auch nach der Wahl. Dessen Steueranteil war einst zur Förderung der Selbstzünder gesenkt worden, weil ihnen Umweltfreundlichkeit nachgesagt wurde. Tatsächlich hat sich der Kohlendioxid-Ausstoß des Verkehrs bis heute im Gegensatz zu allen anderen Energieverbrauchssektoren nicht verringert (zugegeben aber der NOx-Ausstoß). Vielmehr sind die Autos größer, schwerer, breiter geworden und bieten oft genug eine Leistung, die unter vernünftigen Umständen nicht nötig ist. Downsizing ist hier nachdrücklich angesagt. Beschleunigt würde das durch eine Angleichung des Dieselpreises auf Benzin-Niveau.

Beim Dieselgipfel blieb es Hendricks vorbehalten, auf das Prinzip der Gewaltenteilung hinzuweisen, nachdem CSU-Chef Horst Seehofer den Bund bei der Austauschaktion noch älterer Dieselautos in der Pflicht sehen wollte, falls nach all den Beschlüssen des Gipfels doch noch Fahrverbote drohen sollten. „Mit mir wird es keine zusätzliche Kauf- oder Abwrackprämie geben“, sagte sie. Wenngleich das durchaus sein könnte – je nach Wahlausgang im September, erinnerte es fatal an die Worte der Kanzlerin vor nunmehr vier Jahren. Da wurde auch um ein Autoverkehrs-Problem gestritten.