Selbstversuch am Handy, in der Praxis und der Apotheke
Die Digitalisierung macht in Deutschland ja immer mehr Fortschritte, hört man. Selbst im Gesundheitswesen. Da will ich natürlich nichts verpassen und schreite zum Selbstversuch mit dem E-Rezept. Da ist noch reichlich Luft nach oben, kann ich nur sagen. Ein Bericht übers (vorläufige?) Scheitern.
Eine ältere Dame erzählte dieser Tage im Fernsehen, ihre noch ältere Mutter habe ihr stolz die E-Rezept-App gezeigt, mit der alles viel einfacher sei als früher. Wenn das so ist, lade ich mir die auch runter, dachte ich mir, und dann geht alles viel einfacher.
Gesagt, getan. Registrieren, anmelden lief zu Anfang auch ganz normal. Krankenkasse angeben, Versicherungsnummer, Gesundheitskartennummer, PIN …? „Die PIN haben Sie von Ihrer Krankenkasse bekommen.“ Habe ich nicht, und wenn, dann vor vielen, vielen Jahren, und ich habe sie noch nie gebraucht. Voriges Jahr habe ich eine neue Karte bekommen, aber definitiv keine PIN. Deshalb erinnere ich mich auch nicht, falls ich sie denn früher bekommen haben sollte, wo ich sie abgelegt habe.
Diese Möglichkeit, also „Keine PIN bekommen?“, sieht die Registrierungsfunktion der App tatsächlich vor, und wenn man sich weiter durchklickt, endet man bei der 0800-er-Telefonnumer der Krankenkasse. Es ist 18:29 Uhr. Ob sie wohl noch rangehen? Ja. Nach nur sechs Minuten Wartezeit meldet sich ein Mensch am anderen Ende. „Wie kann ich Ihnen helfen?“ – „Ich hätte gerne eine PIN.“ – „Dazu brauchen Sie die PIN von Ihrem Personalausweis.“ Habe ich nicht, und wenn, dann vor vielen Jahren,… siehe oben. „Dann müssen Sie persönlich mit der Gesundheitskarte und dem Personalausweis in unserer Geschäftsstelle.“
Um letztere zu finden, muss man die Postleitzahl des Wohnorts eingeben, also Berlin. Das Internet antwortet: „Leider befindet sich in Ihrem gewünschten Ort keine Barmer Geschäftsstelle.“Nun ja, weiter unten folgt aber doch eine Liste von Filialen, die zwischen 10 und 20 Kilometer entfernt sind, auch in Berlin.
Aber die nette Dame hat mich noch nicht fertig informiert. „Sie brauchen die App eigentlich gar nicht, um sich ein E-Rezept ausstellen zu lassen.“ – „Ach? Wie geht das?“ – „Sie gehen mit der Karte zum Arzt. Der lädt die Daten des Rezepts in die Karte und in einen Server, und bei der Apotheke geben Sie die Karte dem Apotheker, der holt damit die Daten aus dem Server und gibt Ihnen die Medikamente.“ Na, wenn das so ist, gehe ich mal zum Arzt.
Eigentlich braucht man sie nicht
Gesagt, getan. In der Rezeption der Praxis nimmt die MTA meine Karte und einen Arztbericht entgegen, um die darin aufgeführten Medikamente auf die Gesundheitskarte zu übertragen. Und guckt schon skeptisch. Es klappt nicht. Nach drei Minuten holt sie ihre Kollegin zu Hilfe. Die fotografiert mit dem Handy den Bildschirm des Rezeptionscomputers. „Zweiter Versuch.“ Klappt nicht. In den Drucker kommt der bekannte rosa Zettel, den es eigentlich seit 1.1.24 nicht mehr geben soll. Der Drucker druckt, ich kriege meinen Arztbericht, meine Gesundheitskarte und ein rosarotes Rezept. Alles wie gehabt, nur die Leute in der Praxis hatten mehr Arbeit. Lob: Es dauerte trotzdem nur ein paar Minuten. Auch die Idee, ab jetzt nicht mehr in die Praxis zu müssen, bloß weil die Pillen alle sind, kannst du auf Nachfrage vergessen: „Die Karte brauchen wir immer.“
Egal. Wenn ich einen Satz Pillen gemäß Rezept habe, reicht der erst mal für ein Vierteljahr. Und im April sind die diversen Grippe-, Corona- und anderen Wellen vielleicht schon abgeebbt, und Herr oder Frau Doktor wollen vielleicht mal wieder nachgucken.
„Geht nicht“ gibt’s doch
In der nächstgelegenen Apotheke (500 m von der Praxis, aber 13 km von zu Hause) sortieren zwei der vier anwesenden Kräfte größere Mengen von rosa Zetteln. Rezept vorgelegt, drei verschiedene Medikament drauf. PTA tippt in ihren Rechner und sagt nach einer kurzen Weile: „Das eine Mittel muss ich Ihnen bestellen. Das ist dann morgen früh da. „Kann ich die anderen nicht jetzt mitnehmen und das fehlende dann morgen bei einer anderen Apotheke kaufen?“ – „Nein, das geht nicht.“ Eine junge Frau sagt 2023 zu einem älteren Mann: „Das geht nicht.“ Ich dachte immer: „Geht nicht gibt‘s nicht.“ – „Also, wenn Sie das nicht hier abholen wollen, müssen wir es streichen.“ – Aber… – „Dafür gibt es ja jetzt das E-Rezept. Da wird das alles besser.“ Haha. Hier der Link zu den Vorstellungen des Apothekerverbandes:
Das nenne ich Digitalisierung, sage ich, lasse mir mein rosarotes Rezept zurückgeben und gehe ohne ein Medikament. Bei der Apotheke in der Nähe meiner Wohnung fehlt dann ein anderes Medikament. Ich fang nicht schon wieder eine Diskussion über die Frage an, wieso es bei einer anderen Apotheke lieferbar war und bei dieser nicht. Egal, morgen hole ich dann bei der „Haus“-Apotheke das fehlende Medikament. Und wenn sie dann alle sind, die Pillen, in einem Vierteljahr, da wird das auch mit der Gesundheitskarte und dem E-Rezept klappen. Aber ob ich dann eine funktionierende E-Rezept-App auf dem Handy habe, die mir auch irgendeinen Nutzen bringt, das bezweifele ich doch.