Berlin, 6. April (ssl)Der Blick in eines der allgemein zugänglichen Luftverkehrs-Trackingsysteme zeigt zurzeit ein großes schwarzes Loch in Osteuropa. Der Luftraum über der Ukraine scheint leer, weil dort kriegsbedingt kein ziviler Luftverkehr mehr stattfindet. Zwei Flieger an den Rändern des schwarzen Lochs ermöglichen einen Blick in fast sieben Jahrzehnte Luftfahrtgeschichte.
Vielen Leserinnen und Lesern wird es so gehen wie mir: Selten war ich so froh darüber wie in diesen Tagen, dass mein Heimatland Mitglied der Nato ist. Um deren Aufgabe sichtbar zu machen, habe ich vor einigen Tagen auf meinem Laptop Fernaufklärung mit der App Flightradar betrieben. Im Umfeld des Kriegsschauplatzes Ukraine fiel mir auf, dass über dem Luftraum Moldawiens, also quasi direkt am Rande des Abgrunds, zwei Maschinen unterwegs waren. Beide waren recht groß, und ich klickte eine von ihnen an. Es war eine Boeing E3A Sentry. Sie hatte im Tracker die Flugnummer NATO11 und ist als LX-N90450 in Luxemburg registriert.
Eigentlich müsste sie ein H-Kennzeichen haben, so alt ist sie. Zusammen mit mehreren Schwestermaschinen stellen diese Flugzeuge seit den 1970-er Jahren das luftgestützte Frühwarnsystem des Nordatlantikpakts AWACS dar. Zum Einsatz kommen sie stets in Krisenzeiten und -gebieten, wo sie seit Jahrzehnten mit ihren – natürlich immer wieder modernisierten – Aufklärungsanlagen die Sicherheit des Luftraums über der Nato gewährleisten sollen. Diese Flugzeuge sind in Geilenkirchen in der Nähe von Aachen stationiert und tauchen gelegentlich in Manching auf, wo sie bei Airbus gewartet werden. Abgesehen von der riesigen Radarschüssel mit mehr als neun Meter Durchmesser auf dem Rücken ähneln sie einer Boeing 707, einem der für meinen Geschmack schönsten Passagierjets, die je gebaut wurden. Sie sind auch von diesem Flugzeugmuster abgeleitet.
Geheim ist der Einsatz offensichtlich nicht. Ist ja auch richtig, dem Gegner zu zeigen, dass man auf der Hut ist. Der Tracker zeigte die bisherige Flugroute als Schleife über der Ostgrenze Rumäniens in 32.000 Fuß (knapp zehn Kilometer) Höhe an. Woher er kam, ließ sich nicht genau festmachen, eine Angabe über Start und Ziel gab es bei Flightradar nicht. Die Maschine trägt gerade eine weiß-blaue Sonderlackierung mit der Aufschrift „NATO AWACS 35 Years“.
Ich stellte mir vor, dass die Boeing zu diesem Zeitpunkt an genau dieser Stelle des Luftraums eventuell in Sichtweite befindlichen russischen Militärflugzeugen mit der auffälligen, fast schon leuchtenden Reklame signalisiert: „Don‘t mess with NATO“, und das bereitete mir bei aller Wut und Trauer über den Krieg doch ein wenig klammheimliche Freude. Ich würde wahnsinnig gerne wissen, was die Besatzung bei so einem Flug alles sehen kann. Durchaus möglich, dass die ukrainische Flugabwehr von ihren Daten profitieren kann. Es gibt ja inzwischen immer wieder Berichte, dass die russische Luftwaffe in der Ukraine eher schwach agiert.
Boeing 707 als berühmtestes Familienmitglied
Das zweite größere Flugzeug im rumänisch-moldawischen Luftraum, aber auf 28.000 Fuß tiefer als die E-3A, war ein weiteres Mitglied der 707-Familie, ein KC-135R Stratotanker. Flugnummer LAGR290, Registrierung 63-8019, stationiert in Miami, Florida. Die KC-135 ist sogar die Urform dieses vierstrahligen Jets. Sie entstand aus einem Prototyp namens 367-80, den Boeing 1954 (!) zunächst auf eigene Rechnung baute. Er sollte eine Art Grundmodell für vierstrahlige Jets aller Art für militärische und zivile Zwecke werden. Die erste Variante war eben dieser Tanker. Es bedurfte erst der ausdrücklichen Genehmigung der US Air Force, dass Boeing aus dem Prototyp eine Passagiermaschine entwickeln konnte, eben die 707. Und beide schrieben Geschichte in der zivilen und militärischen Luftfahrt.
Auch bei diesem Flieger in dezentem Tarn-Grau waren weder Start noch Ziel angegeben. Die Spur auf der Weltkarte zeigte aber, dass der Stratotanker im Süden der Türkei, wohl am Flughafen Adana, gestartet war und sich durch das Flugzeug-Gewimmel im schmalen Balkan-Korridor an die Nato-Ostflanke bewegt hatte. Warum er in der Gegend mehrere Schleifen drehte, war nicht zu erkennen. Vielleicht hat er ja die E-3A betankt. Zu betankende Bomber oder Kampfjets machen wohl ihre Transponderdaten nicht so transparent, dass sie von der Allgemeinheit im Laptop lokalisiert werden können. Immerhin ist zu sehen, dass die Nato auf der Hut ist.
Dieser Beitrag erschien am 2. April als Kolumne „Schiene Straße Luft“ bei airliners.de