Historiker plädieren für Erhalt des Reichsparteitagsgeländes im aktuellen Zustand
Berlin, 30. März (ssl) Neulich hat auf Facebook jemand gepostet, dass die meisten NSDAP-Mitglieder erst nach dem Krieg von den Grausamkeiten des Holocausts erfahren hätten. Da grauste auch mir, und mir fielen alle die Diskussionen um die Vergangenheitsbewältigung der 60-er Jahre ein, und ich dachte: War denn alles umsonst, was wir mit der Generation unserer Eltern streitig ausgetragen haben? Die Teenager von heute haben ja keine Eltern mehr, die die Nazizeit miterlebt haben.
Einige Zeit später durfte ich über eine Veranstaltung berichten, bei der es um den Erhalt des Reichsparteitagsgeländes ging. Wo die Nationalsozialisten sich äußerst medienwirksam inszenierten, wo das NS-Blutschutzgesetz vor Zuschauermassen verlesen und von ihnen begeistert gefeiert wurde, lässt sich auch anhand authentischer Filmdokumente im Nachhinein erleben, was NSDAP-Mitglieder nicht nur wussten, sondern lautstark begrüßten.
Offensichtlich wird immer noch nicht hinreichend oder immer noch mit den vor 50 Jahren gängigen Entschuldigungen über die NS-Zeit diskutiert. Da tut es gut, geschichtsbewusste Stadtoberhäupter und vertrauenswürdige Historiker zu hören, die über die Erhaltung des Geländes konstruktiv sprechen. Es zählt immerhin jährlich eine Viertelmillion Besucher. Und es beschämt ein wenig, wenn ein renommierter, englischer Historiker, dessen Großvater als Jude vertrieben wurde, Deutschland wegen des Umgangs mit dieser Geschichte als einzigartig in der Welt darstellt – und das als Lob verstanden wissen will. Den nachstehenden Beitrag habe ich für die Nürnberger Zeitung (24. März) geschrieben.
Das Land Bayern und die Stadt Nürnberg haben in Berlin Bundeshilfen für die Erhaltung des Reichsparteitagsgeländes angemahnt. Das Bewahren des monströsen Versammlungsareals der Nationalsozialisten sei nicht nur eine Nürnberger Aufgabe, sagte Finanzminister Markus Söder. „Wir sehen die Bundesregierung in der Verantwortung.“ Der CSU-Politiker wies darauf hin, dass der Erhalt des Geländes im aktuellen Koalitionsvertrag erwähnt werde.
Oberbürgermeister Ulrich Maly ergänzte bei einer Veranstaltung in der bayerischen Landesvertretung, die Kosten betrügen rund 73 Millionen Euro, verteilt auf zehn bis zwölf Jahre. Söder versprach, dass für je zwei Euro, die der Bund zur Verfügung stelle, „ein Euro aus Bayern folgen“ werde. Aber nun müssten zunächst die Verhandlungen beginnen. „Wir brauchen ein deutliches Signal.“ Möglicherweise sei der beginnende Wahlkampf eine gute Gelegenheit, das Geld „reinzuholen“. Maly führte als Beitrag der Stadt den Betrieb der Gedenkstätte an.
Das Besondere an dem elf Quadratkilometer großen Gelände sei, dass es „kein Ort der Opfer, sondern einer der Täter“ sei. Die massenhafte Begeisterung bei den Reichsparteitagen zeige, dass die Verantwortung für die nationalsozialistischen Gräuel nicht nur bei den 24 Hauptangeklagten der Nürnberger Prozesse gelegen habe. Ziel der Konservierung und der Anwendung moderner Museumspädagogik sei, die Steine zum Sprechen zu bringen, sagte das Stadtoberhaupt.
Der Marburger Historiker Eckart Conze wies darauf hin, dass die Zeitzeugen inzwischen fast alle tot seien und man Erinnerungskultur anders pflegen müsse. Er plädierte dafür, den derzeitigen Zustand und damit den aus heutiger Sicht fragwürdigen Umgang mit den Bauwerken in der Nachkriegszeit festzuhalten. 1967, als Forderungen nach einem „Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit“ an der Tagesordnung waren, wurden etwa die Säulenkolonnaden auf der Krone der Zeppelintribüne gesprengt. Das trug auch dazu bei, dass das verbliebene Mauerwerk immer brüchiger wurde. Zusammen mit dem Saal 600 des Justizpalasts sollte „Nürnbergs zentrale Rolle als eine komplexe Geschichtslandschaft“ hervorgehoben werden, sagte Conze. In dem Saal wurden während der Nürnberger Prozesse die Haupttäter verurteilt und die Grundlagen für eine internationale Strafgerichtsbarkeit gelegt.
Bob Dylans berühmtes Konzert
Philippe Sands, Professor für internationales Recht und Kronanwalt in London, lobte „als stolzer Bürger der Europäischen Union“ die Kultur der Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Auch er plädierte dafür, das Zeppelinfeld „nicht wieder aufzubauen, sondern in seiner derzeitigen Form zu bewahren“. Kein anderer Ort widerspiegele das Monströse der NS-Herrschaft besser. Sands erinnerte an Bob Dylans berühmtes Konzert von 1978 auf dem Areal, als er das Antikriegslied „Masters Of War“ sang, und regte an, das Gelände aufzuwerten, indem Künstlern die Möglichkeit gegeben werde, ihre Kreativität einzusetzen. „Seien Sie offen für die Möglichkeiten der Imagination“, empfahl er Maly und den Verantwortlichen für den Erhalt des Geländes. Neue Zielgruppen gelte es zu erreichen.
Kulturreferentin Julia Lehner nahm als „Auftrag“ aus der Veranstaltung mit, „Nürnberg als gesamthafte Kulturlandschaft“ zu gestalten, dass beispielsweise auch Zielgruppen mit Erfahrungen anderer Diktaturen angesprochen würden. Allen sei aber bewusst, dass man „niemals einen Schlussstein setzen“ könne hinter die Vergangenheit, die sich auch im Reichsparteitagsgelände manifestiere.