Das Schutzbedürfnis auf der Grünen Woche

Notizen vom Politpromi-Rundgang durch die Ernährungswelt

Dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, war auf die Schnelle nicht der Name des Bauernverbands-Präsidenten Joachim Rukwied eingefallen. Also begann er (Stunde 0:20 des Rundgangs) seine als Presse-Statement gedachte Begrüßung am Freitag Morgen am Ausgang der Halle acht mit den Worten: „Lieber DBV-Mensch“. Es folgte gleich noch ein „Verhörer“, den sein Sprecher Richard Meng anschließend ausdrücklich nicht freigab, aber – gesagt ist gesagt: „Selbstverständlich haben wir gegenüber den Verbraucherinnen und Verbrauchern ein großes Schutzbedürfnis.“

Wahrscheinlich steckte dem Regierenden noch ein Zwischenfall in den Knochen, der sich wenige Minuten zuvor zugetragen hatte. Da liefen nämlich (Stunde 0:05) ein Massentierhaltungs-Gegner und eine Massentierhaltungs-Gegnerin am Stand des Partnerlandes Estland zwischen Kameraleuten und Honoratioren hindurch und schrien: „Massentierhaltung stoppen!“ und „Macht die Augen auf!“, womit sie die zahlreich aufgebotenen Sicherheitsleute in Aufruhr versetzten. Dabei hatte Rukwied noch bei der Eröffnungs-Pressekonferenz wörtlich gesagt: „Massentierhaltung gibt es in Deutschland nicht!“

Der neue Landwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich steckte den Zwischenfall ungerührt weg und gab das Statement ab: „Die Grüne Woche hat schon gut begonnen.“ Er meinte damit, dass er gelernt habe, dass die deutschen Landwirte stolz sind auf das, was sie tun, und dass Deutschland immer mehr Agrargüter exportiert. Das brachte ihn dazu, die Verantwortung zu erwähnen, die sich daraus ergibt, wenn noch 850 Millionen Menschen auf der Erde hungern und zwei Milliarden unter Mangelernährung leiden, ein Thema, um das es auf dem Ministertreffen am Samstag geht.

Am polnischen Stand doch ein Bier

Weitere unvorhergesehene Aktionen störten die Tagesordnung bei dem vierstündigen Rundgang der Politprominenz durch die Grüne Woche nicht. Friedrich (CSU) zeigte sich in den Statements gut vorbereitet. Alle Stationen seiner Tour waren vorher gebrieft worden, dass er keinen Alkohol zu trinken wünsche. Am polnischen Stand (0:47) wurde ihm dennoch ein Bier kredenzt, an dem er nur kurz nippte. Hier waren er und seine Begleitung dermaßen dicht von Kameras umringt, dass man Wowereits Schutzbedürfnis nachempfinden konnte.

Es ist nicht dem schlechten Foto zuzuschreiben, dass man die eigentlich Wichtigen hier nicht erkennt. Es liegt an dem gewaltigen Medienaufgebot.
Es ist nicht dem schlechten Foto zuzuschreiben, dass man die eigentlich Wichtigen hier nicht erkennt. Es liegt an dem gewaltigen Medienaufgebot.

In Südtirol (0:54) stieg Friedrich auf Fruchtsaft um. Am liechtensteinischen Stand (1:00) muss Friedrich einen Witz gemacht haben, denn alle lachten pflichtschuldig, aber er war akustisch nicht zu verstehen. In der Schweiz durfte er sich am Appenzeller Hackbrett versuchen, überließ die Klöppel aber bald dem Virtuosen Nicolas Senn, der „Erinnerung an Zirkus Renz“ intonierte.

Am Stand der Ukraine (1:13) erhielt er ein Getränk des Jahrgangs 1953, was den Regierenden zu dem Kommentar „Mein Geburtsjahrgang“ und den Landwirtschaftsminister zu der Replik „In dem Jahr haben die Planungen für den Flughafen begonnen“ veranlasste. In der wunderschönen Blumenhalle (Halle 9) blieb es nicht nur bei dem protokollarisch eingeplanten Fototermin, es gab auch einen O-Ton mit der Kamera der staatseigenen Deutschen Welle. „Die Antwort auf die globalen Herausforderungen der Landwirtschaft dürfe nicht Monostruktur, sondern müsse Vielfalt heißen, sagte Friedrich. „Wir brauchen aber auch eine Steigerung der Produktivität.“ Die Frage nach der Massentierhaltung beantwortete er indem er darauf hinwies, dass die Verbraucher die Möglichkeit hätten, mit ihrem Konsumverhalten die Produktionsmethoden der Landwirtschaft zu beeinflussen.

1001-Nacht-Umfeld

Am Stand von Marokko (1:46) durfte er einen mit Safran veredelten Tee probieren. Auf der Messe wird marokkanischer Safran für sechs Euro das Gramm verkauft, zehn Gramm kosten 58 Euro. Das ist übrigens ein Schnäppchen, im Internet kostet ein Gramm acht Euro. Weniger als ein Gramm braucht man für einen Liter Tee, wie den Reportern am Stand erklärt wurde. „Aber gut kochen“, rieten sie. Da sie wegen der Enge am Stand nicht mit aufs Bild kamen, entschieden Wowereit und der Ehrenvorsitzende der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie, Jürgen Abraham, an dieser Stelle im 1001-Nacht-Umfeld: „Wir gehen schon mal ins Zelt.“

Dieses Gefühl kam bei der nächsten Station auf. In Saudi-Arabien (1:54) nahmen sie alle buchstäblich in der Tiefe des Raumes Platz, nämlich auf Kissen am Boden. Nach Thailand und den Philippinen war „nature.tec“ an der Reihe (2:14), ein Stand, dessen Besitzer sich der Begeisterung der Jugend für nachwachsende Rohstoffe verschrieben haben. „Sehr innovativ“, lobte Friedrich, verkürzte aber die Aufenthaltszeit von geplanten acht auf gefühlte vier Minuten. Von der Hochtechnologie ging es dann noch zum Netzwerk der Dorfläden und der lauschigen Kulisse einer niedersächsischen Caféterrasse unter der Dorflinde. Wäre es nicht nur eine Fototapete gewesen, hätte sich der Oberfranke Friedrich hier sicher noch wohler gefühlt.