Spediteure lassen Gigaliner-Netz links liegen

Nach einem Jahr erst 36 Fahrzeuge für Feldversuch mit Lang-Lkw registriert – Netz seit dem Start um 1800 km gewachsen

Gigaliner: Viel Politik- und Lobby-Lärm um 30 Laster
Gigaliner: Viel Politik- und Lobby-Lärm um 30 Laster

Berlin – Ein Jahr nach seinem Beginn erweist sich der heiß diskutierte Feldversuch mit überlangen Lastzügen als Lehrbeispiel für praxisferne Lösungen – und zwar von allen Seiten. Heftiger Gegenverkehr durch jahrelange Lobbyarbeit aller Beteiligten hat die Gigaliner in Deutschland noch nicht in eine Sackgasse, zumindest aber auf wirtschaftlich holprige Wege geschickt.

Vielleicht stören knapp 50 Gigaliner auf dem Zigtausende von Kilometern umfassenden Fernstraßennetz gar nicht weiter? Nur um die 30 statt der erhofften „bis zu 400“ (Verkehrsminister Peter Ramsauer, CSU) sind unterwegs, wie aus den Zahlen der Bundesanstalt für Straßenwesen hervorgeht. Vielleicht entspricht diese Nutzungsintensität dem Bedarf? Dann täten es herkömmliche Ausnahmegenehmigungen wohl auch; wahrscheinlich werden mindestens genauso viele überlange Windmühlenflügel auf den Straßen transportiert. Dann könnten sich Lobbyisten und Politiker fragen, ob sie nicht Wichtigeres zu tun haben als jahrelang über die paar Laster zu polemisieren und zu bürokratisieren.

Nehmen wir mal ein paar Argumente: Zwei 25,25 Meter lange Gigaliner ersetzen drei normale Sattelzüge, argumentiert die Autoindustrie und folgert daraus, dass Lang-Lkw Personal sparend unterwegs sind und der Umwelt weniger schaden als die mit 18,75 Metern auch nicht gerade kurzen normalen Trucks. Das hilft dem Disponenten in der Spedition auch nicht weiter, wenn das Transportaufkommen solche Mengen nicht hergibt. Es schränkt vielmehr seine Flexibilität ein.

Oder Schweden. Da fahren Gigaliner, und zwar mit bis zu 60 Tonnen Gesamtgewicht. Ja, sagen die Gegner, aber Schweden sei dünn besiedelt und deshalb nicht mit der Bundesrepublik vergleichbar. Diesen Gegnern sei eine Reise in die dicht besiedelte schwedische Hauptstadt empfohlen. Lang-Lkw rollen da zwar nicht in Fußgängerzonen, wohl aber mitten im urbanen Gewimmel, groß und unübersehbar.

Oft übrigens mit weißen Aufbauten und dem DB-Schenker-Logo. Das Staatsunternehmen DB Schenker verhält sich in Deutschland zögerlich zum staatlich verordneten Feldversuch. Weil es hierzulande gar keine Gigaliner braucht?

Oder die Straßenbelastung. Hier haben wir ein Argument der Autolobby, das trägt. Bleibt es bei der Gewichtsbeschränkung auf  44 Tonnen für deutsche Lang-Lkw, verteilt sich dieses Gewicht tatsächlich auf mehr Achsen als bei normalen, gleich schweren Lastzügen. Das schont die Straßen.

Die Allianz pro Schiene, die das Projekt am Freitag als „verkehrspolitischen Rohrkrepierer“ kritisierte, erinnerte daran, dass gegen die gesetzliche Grundlage der Testfahrten noch eine Klage der Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig ist. Allianz-Geschäftsführer Dirk Flege sagte, das Verfahren „hängt wie ein Damoklesschwert über diesem verkehrspolitisch unsinnigen Unternehmen, das der Bund gegen den Willen der Ländermehrheit durchgedrückt hat.“ Er rechnete damit, dass das Bundesverfassungsgericht im ersten Halbjahr 2013 entscheidet. Bitte um Entschuldigung für einen Kalauer: Nach seiner bisherigen Rechtsprechung zu urteilen, könnte das Damoklesschwert vernunftbetonter Argumente aus Karlsruhe den gordischen Knoten der Demagogie durchschlagen.

Zunächst aber hat das Bundesverkehrsministerium das anfangs genehmigte Streckennetz um 1800 Kilometer erweitert. Ramsauers Staatssekretär Andreas Scheuer hoffte deshalb am Donnerstag auf mehr Zuspruch aus der Branche: „Es ist gut, dass sich die Unternehmen trotz des teilweise starken Gegenwinds für ein Festhalten am Feldversuch entschieden haben. Erste Ergebnisse zeigen bereits ein hohes Einsparpotential an CO2 und Fahrtenanzahl durch Lang-LKW. Die neuen Strecken werden helfen bereits bestehende Transportrouten weiter zu optimieren und neuen Unternehmen den Einstieg in den Feldversuch zu ermöglichen.“ Straßen mit Bahnübergängen, deren Signaltechnik auf kürzere Lkw ausgerichtet ist, sind dagegen wieder aus dem Netz gestrichen worden.                                                                 Thomas Rietig