Berlin, 11. Dezember (ssl) Der Gebrauch von Smartphones wird unser Leben wahrscheinlich in größerer Weise umkrempeln als wir bisher ahnen. Manche von uns machen sich Gedanken, wie diese Erkenntnis in Erziehung umgesetzt werden kann. Zu ihnen gehört Christoph Lanz, Journalist und Medienberater. Er wirft im Interview mit Elke Tonscheidt für das Blog „ohfamoos“ einen unverstellten Blick auf die kleinen Monitore, aber auch auf die kleinen und großen Mitbürger. „Wenn Eltern das Handy an der Hand festgewachsen zu sein scheint, können sie schwerlich erwarten, dass die Kinder akzeptieren, wenn ihnen Grenzen gesetzt werden sollen.“ Weil die einschlägigen Vorurteile der Nerds und der kommunikativ Konservativen hier schön relativiert werden, wollen wir es auch unseren Lesern nicht vorenthalten.
Christoph Lanz hat erst als Chefredakteur, dann als Fernsehdirektor der Deutschen Welle das deutsche Auslandsfernsehen auf- und ausgebaut. Er ist aber nicht nur Medienmacher, sondern weiß auch mit Blick auf seine Familie: Die Digitalisierung unserer Gesellschaft ist klasse, typisch deutsch jedoch: Zuvorderst wird immer erst über die Gefahren geredet. Ein Interview über ‚gute’ und ‚schlechte’ Online-Nutzung, über medienkompetente Lehrer und auch darüber, dass gemeinsam Musik machen „überhaupt nicht out ist“.
Wer in Deutschland das Internetverhalten junger Menschen positiv anspricht, kriegt meist böse Blicke. Warum betonen wir mehr die Gefahren als die Vorteile?
Christoph Lanz: Das ist doch typisch deutsch – oder? In der politischen Diskussion oder manch anderen gesellschaftlichen Kreisen wird oft problematisiert, sprich die Gefahren nehmen breiten Raum ein. Die große Masse der Menschen nimmt aber doch mit Begeisterung an der Digitalisierung aller Gesellschaftsbereiche teil.
Und doch sind Horden von Eltern verunsichert, ob ein Smartphone für ihr Kind taugt. Auch wenn sie es selbst permanent nutzen…
CL: Hier liegt vielleicht schon eine wesentliche zwar einfach klingende, aber hart zu beherzigende Regel in der Welt von Smartphone und Co: Kinder sehen in Eltern Vorbilder – so oder so. Also: Ran an die eigenen Gewohnheiten! Es muss ja nicht gleich der zwanghafte Smartphone-freie-Abend sein, aber öfter mal selber das/die Gerät(e) aus der Hand legen, ist schon ein Anfang… Und wichtig ist vor allem: Smartphones oder Tablets eignen sich nicht als Babysitter! Wenn, dann zusammen; dem Kind einfach ein Gerät in die Hand drücken, damit es spielt, ist nur im Notfall ok.
Nach einer Studie, die der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest jährlich veröffentlicht, waren 2013 Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren im Durchschnitt drei Stunden am Tag online, fast 50 Minuten länger als 2012. Das sind wir als Eltern sicher auch …
CL: Das ist genau der Punkt. Wenn Eltern das Handy an der Hand festgewachsen zu sein scheint, können sie schwerlich erwarten, dass die Kinder akzeptieren, wenn ihnen Grenzen gesetzt werden sollen. Was solche Zahlen angeht, bin ich immer ein bisschen vorsichtig. Was heißt, online zu sein? Ist da auch die Nutzung des Smartphones mit erfasst oder sind es drei Stunden am klassischen PC – wenn letzteres, würde ich dies für zu viel halten. Aber auch da müsste ich einschränken. Viele Hausaufgaben werden online erledigt und viele Schulen setzen das auch mittlerweile voraus.
Du unterscheidest zwischen „guter“ und „schlechter“ Online-Nutzung?
CL: Genau. Auch wenn Pädagogen das Gegenteil sagen. Arbeitet ein Kind beispielsweise etwas mit Photoshop aus, ist das Bildung!
Der bekannte Hirnforscher Manfred Spitzer, einer der radikalsten Gegner von Kinder-Apps, empfiehlt Kindern erst »zwischen 15 und 18 Jahren« das erste Tablet zu geben?
CL: Bei allem Respekt halte ich dies für an der Lebenswirklichkeit vorbeigehend.
Die Medienpsychologen Appel/Schreiner haben kürzlich gefragt, ob digitale Medien dick, dumm, aggressiv, einsam, krank und unglücklich machen. Sie finden dafür fast keine wissenschaftlichen Belege. Gut belegt sei nur, dass gewalthaltige Computerspiele Aggressivität begünstigten. Wie sieht Deine Erfahrung aus?
CL: Dick, dumm und aggressiv, das gab es schon immer und wird es auch immer geben. Wer nur vor dem Bildschirm sitzt, der ist entweder schon beschränkt oder wird es werden. Klar ist, dass die Altersbeschränkungen bei Spielen ernst zu nehmen sind: Ab 12 heißt eben ab 12 Jahren und nicht mit zehn Jahren usw. Aggressivität wird sicher auch durch Brutalo-Spiele, wie ich das nenne, begünstigt. Aber Aggressivität wird auch durch übermäßiges Computerspielen generell begünstigt.
Was meinst Du damit?
CL: Es ist erstaunlich, welche Schwierigkeiten Kinder vor dem Computer oder Tablet mit dem Zeitgefühl bekommen. Tests zeigen: Eine Stunde wird als „maximal eine halbe Stunde, Mama“ empfunden. Dies erzeugt am Ende der Beschäftigung Unzufriedenheit – in jedem Fall wird es im Empfinden des Kindes/Jugendlichen zu kurz gewesen sein. Die Eindrücke kamen so schnell, dass nur ein Bruchteil verarbeitet werden konnte. Gefühlt ging für das Kind alles viel schneller. Die Folge: Er oder sie ist nicht zufrieden, wird wütend bis aggressiv. Also klare Grenzen und rechtzeitig Schluss, das erspart dem Kind den Stress und den Eltern.
Eine andere aktuelle Studie (des britischen Office of Communication) kommt zu dem Ergebnis: Kinder sprechen nicht mehr viel. Sie tauschen sich v.a. per SMS oder über Soziale Netzwerke aus.
CL: Eltern sein bedeutet auch darauf zu achten, dass das Gespräch oder das Lesen nicht zu kurz kommt. Wer sein Kind fit machen will für das Leben, der sollte ihm so viele Facetten bieten wie möglich. Zusammen Musik zu machen ist z.B. absolut nicht out – im Gegenteil. Heute ist dabei toll, dass man das gleich mit dem Handy oder dem Tablet aufnehmen kann und die Bearbeitungssoftware ist auch auf dem gleichen Gerät – in der Tat eine schöne neue Welt.
Erzieher sagen: Deutlich suchtgefährdeter sind erst ältere Kinder, Vorschulkinder verlieren relativ schnell das Interesse an Apps und spielen am liebsten draußen. Welche Erfahrung hast Du gemacht?
CL: Gerne draußen waren unsere Kinder immer und sind es noch. Mal brauchen sie einen „Stubser“, mal geht das von alleine. Zuerst einmal sind die Kinder von uns allen ganz „normale“ Kinder. Sie wachsen eben in einer digitalen und vernetzten Gesellschaft auf. Wir Eltern sind da die Immigranten (digital immigrants) und unsere Kinder sind die Eingeborenen (digital natives). Vieles läuft bei diesen Eingeborenen von ganz alleine. Geben Eltern einen gescheiten Rahmen vor mit einer guten Mischung, ist Suchtgefahr sicher kein Thema. Das heißt auch zu akzeptieren, dass Kinder oft einfach nur „chillen“ wollen…
Der Medienpädagoge Philipp Wampfler, Autor des jüngst erschienenen Buches «Generation Social Media», sagt: „Mädchen im Alter von 12 bis 13 sind tatsächlich gefährdet, eine Medien-Sucht aus sozialen Gründen zu entwickeln und damit anfällig auf Sexting zu werden. Das hängt damit zusammen, dass sie Anschluss an Gruppen finden wollen.“
CL: Grundregel: Wisse, was dein Kind tut. So lange wie möglich sollten wir die Passwörter unserer Kinder kennen – das ist schwieriger, als es auf den ersten Blick klingt. Natürlich sollten Sie bei einem angehenden oder jungen Teenager so weit Einblick haben wie es geht. Aber nicht spitzeln! Das Vertrauensverhältnis sollte dadurch nicht aufs Spiel gesetzt werden. Vor allem aber müssen wir mit unseren Kindern über die sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Aspekte der Mediennutzung ins Gespräch kommen.
Wie geht das denn in der Praxis?
CL: Klingt komisch, aber am besten geht das mit dem Smartphone oder Tablet in der Hand oder gemeinsam am Laptop. Die Gefahren müssen im Gespräch benannt werden. Es geht darum die eigenen Erfahrungen (auch aus der analogen Welt) weiterzugeben. Eltern helfen, dass Kinder ein Verständnis für Vertrauen, aber auch für Misstrauen entwickeln ebenso wie für Öffentlichkeit und Privates. Als digital natives fällt es den Kindern viel leichter als wir denken, diese Erfahrungen dann in ihrer Welt zu berücksichtigen. Das beste Bemühen wird aber nicht mit Sicherheit vor negativen oder gar schrecklichen Erlebnissen schützen können. Das ist wiederum auch keine neue Gefahr: die analoge Gesellschaft hatte und hat ihre Missetäter. Leider ist die digitale Welt da nicht besser.
Last but not least die Schulen: Haben die die Entwicklung verschlafen? Ich kenne zumindest einige Lehrer, die in den sozialen Medien mehr Teufelszeug sehen als alles andere…
CL: Mit der Kritik an den Schulen ist man ja schnell bei der Hand. Ich denke die Kultusminister, die Bildungspolitiker, sie alle sind aufgewacht. Zurzeit wird sicher noch viel geredet, aber alle sind auf dem Weg.
Hast Du ein Beispiel dafür?
CL: Die Schule eines unserer Kinder ist eine ganz normale öffentliche Schule im nicht gerade als bildungsstark bekannten Berlin: Sie ist kreidefrei! So etwas gibt es durchaus. Und zugleich ist das noch kein Beweis von Stärke. Die Hardware und Software muss von medienkompetenten Lehrern eingesetzt werden. Die sind aber noch lange nicht die Regel an Deutschlands Schulen. Dennoch: Die digitale Agenda der Bundesregierung wirkt in die Politik und die Bildungsszene, auch wenn es in der Praxis noch vom einzelnen Lehrer oder vom Direktor abhängt. Ich betone: Noch…
Christoph Lanz‘ journalistische Karriere begann in den achtziger Jahren beim Südwestfunk (SWF 3), es folgten Stationen u.a. in New York, Berlin und Frankfurt, wo er für ARD, RTL, RIAS 2 und Radio FFH tätig war. Lanz prägte als Chefredakteur dann als Fernsehdirektor von DW-TV das deutsche Auslandsfernsehen. Der Vater zweier Söhne (11/13) engagiert sich als Lehrbeauftragter verschiedener Deutscher Universitäten. Er ist zudem Honorary Fellow der Universität Melbourne.
Das Interview führte Elke Tonscheidt.