Wer seinen Güterzug liebt, der schiebt

Jedenfalls, wenn es regnet – Neubaustrecke im Spessart bringt vorerst nicht den erhofften Erfolg

Berlin/Hanau, 17. Juli (ssl) Vor gut vier Wochen feierten Eisenbahner und Eisenbahnfans mit der Sonderfahrt eines stolzen TEE-Nostalgiezugs von Aschaffenburg nach Heigenbrücken im Spessart die Inbetriebnahme der Umfahrung des Schwarzkopftunnels. Nach vier Jahren Bauzeit und voraussichtlich einer halben Milliarde Euro Ausgaben wurde ein 160 Jahre altes Tunnelbauwerk auf einer vielbefahrenen Fernverkehrsstrecke der deutschen Eisenbahn aus dem Netz genommen. Die DB gab eine Pressemitteilung heraus: „Schiebelokbetrieb auf der Spessartrampe wird nicht mehr benötigt.

Schiebeloks wie diese Maschinen der Baureihe 151 waren früher an der Spessartrampe stationiert. (Diese hier stehen allerdings in Halle.) Foto: Rietig

Stimmt nicht, jedenfalls nicht bei nassen Schienen. Zurzeit entwickelt sich dort eine für die Bahn eher peinliche Geschichte, wie schienestrasseluft.de aus sicheren Quellen erfuhr.

„Schiebelokbetrieb“ hört sich an wie aus dem vorigen Jahrhundert. Die Betriebsform ist sogar ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert. Sie betrifft die westliche Rampe, die aus Richtung Frankfurt und Aschaffenburg von Laufach zu dem Tunnel hinauf führt. Sie ist mit 19 Promille Steigung zu steil für lange und schwere Güterzüge. Ihnen mussten Schiebelokomotiven den Berg hinaufhelfen, was zwar Bahn-Nostalgiker, nicht aber Kosten-Nutzen-Rechner erfreute. Eine Sanierung des Schwarzkopftunnels selbst hätte Unsummen verschlungen.

Fünf bis sieben Minuten pro Personenzug

So sollte die sieben Kilometer lange Umfahrung mit flacheren Rampen und vier neuen Tunnels diesen Zustand beenden und zusätzlich Fahrtzeitgewinne für die ICEs Frankfurt-Würzburg von fünf bis sieben Minuten pro Zug schaffen. Mag sein, dass die Personenzüge jetzt tatsächlich eine Idee schneller zwischen Frankfurt und München unterwegs sind. Bei den Güterzügen sieht das allerdings anders aus, jedenfalls bei Regen. In diesem Fall, der zumindest in diesem Sommer nicht untypisch für das Wetter im Spessart ist, erwies sich die Pressemitteilung als verfrüht.

Lageplan der Tunnelumfahrung. Anklicken vergrößert die Darstellung und macht sie lesbar. PFA=Planfeststellungsabschnitt des Gesamtprojekts Hanau-Nantenbach. Grafik: DB ProjektBau GmbH

Und jetzt ist es noch komplizierter als früher. An der Rampe sind nämlich keine Schiebeloks mehr stationiert. Das Gleis, das sie beherbergt hat, ist abgebaut. Der Übergang von der alten auf die neue Strecke ist nämlich (noch) nur eingleisig, und so kommt es trotz minutiöser Verkehrsplanung immer wieder zu einem Szenario, das Gift für schwere Güterzüge ist: Ein Gegenzug, zum Beispiel ein verspäteter ICE, erzwingt einen außerplanmäßigen Halt des Güterzuges vor einem Signal westlich dieses einspurigen Abschnitts mitten in der Steigung. Wenn die Schienen nass sind, scheitern hier auch die modernsten Loks mit Leistungen im fünfstelligen PS-Bereich. Diese Situation ist in jüngster Zeit mehrmals eingetreten. Der Fahrplan sieht eigentlich vor, dass Güterzüge ab einer bestimmten Tonnenlast an der Steigung dort nicht mehr angehalten werden dürfen. Nach unbestätigten Informationen soll die Zweigleisigkeit bis November hergestellt sein.

Bis dahin stellt sich aber die Frage: Was tun? In einigen konkreten Fällen rollte der Zug zurück. Einmal bekam er eine Schiebelok, ein andermal wartete er, bis nach einer Stunde die Schienen wieder trocken waren, und versuchte es erfolgreich von neuem. Sicherheitshalber darf jetzt immer nur noch ein Güterzug den Berg hinauf fahren, eventuell folgende Züge warten in Aschaffenburg. Das führte in einem Fall letzte Woche dazu, dass die Lok des Folgezuges in Aschaffenburg abgekuppelt wurde, zu dem „hängen gebliebenen“ Zug fuhr und ihm über die Höhe half bis zum weitere fünf Kilometer entfernten Bahnhof Wiesthal. Wie hoch die Verspätung dieses Folgezuges am Ende war, ist nicht bekannt.

Eins noch: Wir reden hier nicht über alpine Dimensionen. Es handelt sich um rund 100 Höhenmeter. Heigenbrücken liegt 274 Meter über dem Meer.

Zahlen und Fakten der Deutschen Bahn zu der Ausbaustrecke gibt es hier, einschließlich einer umfangreichen Broschüre:

https://www.hanau-nantenbach.de/umfahrungsspange-schwarzkopftunnel/steckbrief.html

http://www.deutschebahn.com/presse/muenchen/de/aktuell/presseinformationen/10228580/10_15_Halbzeitbilanz_an_der_Ausbaustrecke_Hanau_-_Nantenbach.html?hl=Nantenbach