Zum Tod von Guido Westerwelle

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Berlin, 18. März (ssl) Guido Westerwelle ist heute im Alter von 54 Jahren an Leukämie gestorben. Ich mochte ihn, auch wenn wir uns nur kurz kannten. Zum Gedenken stelle ich hier einen Bericht von einer Reise mit ihm aus dem Jahr 2010 ein, an die ich mich gerne erinnere. Auch die Bilder wurden auf dieser Reise aufgenommen.

Von Grillfesten und Antrittsbesuchen

Quer durch Europa mit Guido Westerwelle

Wenig Andrang herrscht an diesem Morgen am militärischen Teil des Flughafens Berlin-Tegel. Der Regierungs-Airbus startet mit Außenminister Guido Westerwelle zu einer Inseltour. England, Irland und Malta stehen auf dem Reiseplan des auf knapp 32 Stunden angesetzten Trips. Davon besteht die Hälfte aus Flugzeit quer durch Europa und Schlafen.

In zwei der drei Länder handelt es sich um Antrittsbesuche. Man wird sich floskelhaft exzellente Beziehungen bescheinigen und „fruchtbare“ – ein Lieblingswort Guido Westerwelles ist das englische „fruitful“ – Gespräche führen über Themen, die zwar weltbewegend, dennoch Routine sind: Nahost-Friedensverhandlungen in Washington, störrische Haltung Serbiens zur Unabhängigkeit des Kosovos, Iran, Finanzkrise. Der Außenminister, dessen angeblich mangelhafte Englischkenntnisse vor elf Monaten noch für Spott in den Medien sorgte, wird weite Teile seiner Gespräche und der anschließenden Pressebegegnungen auf englisch führen. Er hat inzwischen andere Sorgen.

Blick aus dem Foreign Office in London. @alle Fotos: Thomas Rietig
Blick aus dem Foreign Office in London. @alle Fotos: Thomas Rietig

Als Guido Westerwelle den Flieger betritt und jovial Mitarbeiter und Gäste begrüßt, merkt ihm niemand an, dass er schon anderthalb Stunden vorher unangenehme Nachrichten bekommen hat. Da wurden ihm Meldungen über eine persönliche Erklärung des britischen Außenministers William Hague übermittelt. Hague erklärte, er sei nicht homosexuell und habe keine „unsaubere“ Affäre mit einem 25-jährigen aus seiner Partei gehabt, mit dem er auf einer Wahlkampfreise ein Doppelzimmer geteilt habe. Seine Ehe sei intakt. Die Boulevardmedien hatten dazu angemerkt, dass Bemühungen um Nachwuchs bislang erfolglos geblieben seien, ja dass seine Frau Fehlgeburten gehabt habe.

Und am Tag nach diesem Bekenntnis trifft Hague den schwulen Außenminister der Bundesrepublik Deutschland. Bei der anschließenden Pressekonferenz ist das Interesse der britischen Medien an Außenpolitik gleich Null. Hague wird genau dreimal zu seiner angeblichen Affäre gefragt. Genau dreimal sagt der konservative Minister ernst, sachlich und scheinbar emotionslos, er habe am Vorabend eine Stellungnahme dazu abgegeben, was ihm schwer genug gefallen sei, und mehr wolle er dazu nicht sagen. Im übrigen gehe es hier um größere Dinge, etwa den Frieden im westlichen Balkan.

Musste das sein?

Westerwelle steht wortlos daneben auf dem Podium im Foreign and Commonwealth Office. Ein ganz kurzes Schmunzeln signalisiert: „Die Frage musste ja kommen“, dann rollt er mit den Augen, die sagen: “Musste das sein?“ Schließlich sucht er sich einen Punkt an der Rückwand des Pressesaals, auf dem er über die Journalisten hinweg seinen Blick ruhen lässt. Wäre er auch dazu gefragt worden, hätte er stereotyp, unverbindlich lächelnd geantwortet, dass er zu innenpolitischen Fragen befreundeter Länder keine Stellung nehme, sagt er später.

Westerwelle kann sich gut in die Situation seines britischen Kollegen versetzen. Er nennt solche Pressekonferenzen „Grillfeste“. Er ist in deutschen Boulevardmedien schon mehrfach mit unangenehmen Schlagzeilen, auch aus dem persönlichen und sexuellen Bereich, auf den Titelseiten gelandet. Etwa, als er von der Witwe Jürgen Möllemanns öffentlich der Mitschuld an dessen Tod beim Fallschirmsprung 2003 beschuldigt wurde.

In der Konsequenz hat er sich ein Schutzschild zugelegt, mit dem er versucht, dergleichen möglichst abperlen zu lassen, bevor es verletzt. Der Schild ist aber so durchsichtig, auch weil er immer wieder Persönliches in Aussagen einflicht, dass es ihn kaum weniger verletzbar macht. Denn viele vermuten, dahinter sei nichts, nur Oberflächlichkeit. Dazu trägt auch die tägliche Arbeit als Außenminister bei, in der er wie jeder Diplomat mit Floskeln operiert, um auch bei Meinungsverschiedenheiten Rückzugs- und Gesichtswahrungsmöglichkeiten zuzulassen.

Westerwelle beim Gang durch die Fußgängerzone von Dublin.
Westerwelle beim Gang durch die Fußgängerzone von Dublin.

Die Fahrt zum Flughafen und der Flug von London nach Dublin gehen schneller als vom Protokoll vorgesehen. Auf dem Weg zum irischen Außenministerium läs

st Westerwelle daher spontan die elf Fahrzeuge lange Kolonne in der City anhalten, steigt aus und setzt seinen Weg zu Fuß bei strahlendem Sonnenschein durch die Grafton Street fort, eine belebte Fußgängerzone. Er lässt sich hier etwas zeigen, wird dort von einer deutschen Touristin angesprochen.

Auch wenn die Leute freundlich sind, macht sich der Vizekanzler und FDP-Vorsitzende keine Illusionen, dass dies die tatsächliche Stimmung im Wahlvolk widerspiegeln könnte. Er weiß, dass seine Selbstdarstellung zu wünschen übrig lässt. Er kommt selten offen und natürlich rüber. Einmal konnte er tiefes Mitgefühl auch vor Mikrofonen nicht beherrschen: als das polnische Regierungsflugzeug am 10. April abstürzte und viele Politiker, die er kannte, in den Tod riss. Am frühen Morgen wollte Westerwelle auf einer Dienstreise in Kapstadt ein Statement dazu abgeben. Vor Mitgefühl versagte ihm die Stimme. Die Journalisten verstanden das. Viel später gesteht er, dass es ihm peinlich war.

Kontrolliert groß geworden

Er sei „kontrolliert groß geworden“, sagt er dazu, ohne Mutter, die zu Emotionen ermuntert hätte. Dabei wundert er sich, dass Emotionen, die er zeigt, als Pathos abgetan werden: „Doch, für mich war es wirklich ein besonderer Augenblick, als ich zum ersten Mal auf einem Abgeordnetenstuhl gesessen habe, als ich vereidigt wurde, als ich zum ersten Mal eine Kabinettsitzung leiten und so meinem Land dienen durfte.“ Das sagte er auch in der Pressekonferenz danach. Beifall erntete er dafür nicht. „Es war kein künstliches Pathos.“

Im Airbus gibt es ein Einzelabteil mit einem Bett und einem Arbeitstisch. Natürlich denkt er auf der mehr als drei Stunden langen Etappe von Dublin in die maltesische Hauptstadt Valletta an seine Partei. In der Regel werden die Stimmen, die ihn zur Aufgabe des Parteivorsitzes auffordern, um so lauter, je weiter er als Außenminister buchstäblich abhebt.

Seine Partei sei nur aus dem Umfragetief zu retten, wenn sie nicht anfange, sich mit sich selbst zu beschäftigen, sagt er auf entsprechende Interview-Fragen. Die Kritik aus der zweiten und dritten Reihe scheint an ihm abzuperlen. Hinter der scheinbaren Renitenz bei der Frage nach der Trennung von Parteivorsitz und Ministeramt steht auch die Erkenntnis der parteiweiten Ratlosigkeit bei der Frage: „Wer soll es denn sonst machen?“

Eg sind die Straßen in La Valletta, der Hauptstadt Maltas.
Eg sind die Straßen in La Valletta, der Hauptstadt Maltas.

Am Mittag erreicht eine Meldung den Minister, sein CDU-Kabinettskollege Norbert Röttgen habe ihn als „irreparabel beschädigt“ bezeichnet. Dem Umweltminister waren offenbar die Pferde durchgegangen. Er versucht, so wird hinterher klar, telefonisch mehrmals, sich zu entschuldigen. Aber da Westerwelle abwechselnd in Flugzeugen sitzt oder bilaterale Gespräche führt, gelingt ihm das erst am Abend. Danach allerdings ist die Sache für Westerwelle auch erledigt.

An diesem Abend hatte er auch noch ein Telefonat aus der Hotelsuite mit seiner amerikanischen Kollegin Hillary Clinton. Am Morgen in Valletta selbst freuen sich die Regierungsspitzen des kleinsten EU-Staates über den Besuch aus dem großen Deutschland. Westerwelle nimmt die Erkenntnis mit, dass in der strategischen Position Maltas das Verhältnis zu Libyen ein ganz anderes ist als etwa im Norden Europas. Er findet Zeit für die Besichtigung der Johanneskathedrale, in der die Geschichte des Johanniterordens teils martialisch verewigt ist. Das spektakulärste Dokument der religiösen Grundlagen des Staates ist ein weltberühmter monumentaler Caravaggio: „Die Enthauptung des Johannes“, das auch Westerwelle Bewunderung abnötigt.

"Die Enthauptung Johannes des Täufers" von Caravaggio in der St.John's Kon-Kathedrale in La Valletta.
„Die Enthauptung Johannes des Täufers“ von Caravaggio in der Johanneskathedrale in La Valletta.

Das Ende der Reise gestaltet sich überraschend spannend. An dem nagelneuen Airbus A 319 lässt sich eine Ladeklappe unmittelbar vor dem Start nicht mehr richtig schließen. Es ist das zweite Mal innerhalb weniger Wochen, dass das Flugzeug den Minister im Stich lässt. „Hätte ich einen Schraubenschlüssel, würde ich es ja selber machen“, sagt er scherzhaft. Da ist sie wieder, die Fassade.

Die gespielte Heiterkeit kann die Verärgerung nicht überdecken, dass aus dem Kurzbesuch in Malta nun eine 24-Stunden-Visite wird, die den Vizekanzler daran hindert, am Dinner beim Bundespräsidenten mit dem polnischen Präsidenten Bronislaw Komorowski teilzunehmen, und ihm ein Abendessen mit Journalisten in der barock-pittoresken Altstadt von Mdina einbringt.

Westerwelle wartet in Mdina, der alten maltesischen Hauptstadt, auf sein Auto.
Westerwelle wartet in Mdina, der alten maltesischen Hauptstadt, auf sein Auto.

Vorher telefoniert er noch schnell mit seinem israelischen Kollegen Avigdor Lieberman, um ihm das internationale Interesse am Fortschritt bei den Nahost-Friedensgesprächen nahe zu bringen. Statt um 12.30 Uhr im komfortablen Airbus mit Einzelabteil, fliegt er nun um 21.00 Uhr mit der 14-sitzigen Challenger. Gewitter verlängern auch diesen Flug noch. Landung kurz nach Mitternacht. Zwölf Stunden später ist das Wochenende vorbei. Der Energiegipfel mit allen notwendigen Vorbereitungen und Strippenziehen ist angesagt.