Künstliche Intelligenz von Amazon enttäuscht auf ganzer Linie
Berlin, 20. November 2025 (ssl) Seit langer Zeit war ich nicht mehr so enttäuscht von einem Buch wie vom „Québec Reiseführer 2026“ von Michael Wilson. Er ist ein trauriges Beispiel dafür, wie moderne Technologie und Wirtschaft die Axt an eine Jahrtausende alte Kultur legen. Das Buch ist aus meiner Sicht äußerlich wie inhaltlich nur für die Tonne geeignet, und ich finde es einfach nur frech, dass ein eigentlich als seriös bekanntes, wenn auch vielfach ungeliebtes Weltunternehmen wie Amazon hier als Verleger und Vertrieb auftritt. Wir können nur hoffen, dass der Siegeszug der Künstlichen Intelligenz scheitert, wenn er mit solchen Waffen geführt wird.
Anlass für den Online-Kauf des Reiseführers war, dass wir für das kommende Jahr eine Reise in die kanadische Provinz Québec planen. Da wir Kanada schon einigermaßen kennen, wollte ich keinen „Kanada-“ oder „Kanada-Ost“-Reiseführer, sondern einen, der sich speziell mit dieser größten Provinz des Landes befasst. Das Werk sollte uns einen Überblick über die Highlights dieser größten kanadischen Provinz über die Stadt Québec und Montréal hinaus verschaffen, ohne dass wir uns alles sozusagen einzeln im Internet zusammensuchen müssten. Ich lernte, dass es da nicht viel Gedrucktes gibt.
Eine Portion Poutine
Aber das Amazon-Portal präsentierte eben auch diesen Reiseführer, den ich dann auch für 15,54 Euro bestellte. Er lag nach ein paar Tagen im Briefkasten. Die Umschlagseite zeigt drei Farbfotos: das Château Frontenac in Québec-Stadt, eine Totale von Montréal und eine Portion Poutine, eine Art Nationalgericht Québecs. Es sind die einzigen Farbfotos des Buches.
Schon beim Anfassen des 142 Seiten starken, broschierten Taschenbuchs schwand meine Begeisterung über den Erwerb. Beim Aufblättern zeigte sich unterirdische Qualität in allem, was ein Buch ausmacht, vielleicht mit Ausnahme des Papiers.
Zunächst zum Technischen: Am Anfang fiel der Blick auf die Titelseite, auf der die Umschlags-Totale von Montréal in Schwarz-Weiß wiederholt wird. Auf der nächsten Seite stehen in fettem, schreibschrift-ähnlichem Font urheberrechtliche Hinweise. Darunter der, dass „jegliche unbefugte kommerzielle Nutzung, Verbreitung oder Weiterverkauf dieses Materials …strengstens untersagt“ sind. Ob besonders das Verbot des Weiterverkaufs rechtlichen Bestand hat, lasse ich mal offen, da ich mich sowieso schämen würde, dafür Geld zu verlangen. Weder dort noch nirgendwo anders steht, was Michael Wilson qualifiziert, einen Reiseführer zu verfassen. Auch nach einem Hinweis, wer den Text übersetzt hat, suchte ich vergebens.
Es folgt das Inhaltsverzeichnis oder vielmehr: die Gliederung. Denn Seitenzahlen gibt es darin nicht. Viel Spaß beim Suchen während der Autofahrt oder an der Straßenkreuzung. Dafür ist jede Zeile unterstrichen wie ein Deep Link in Word, aber das hilft ja in Papierform wenig. Sollte der Text tatsächlich in Word produziert worden sein, erlaube ich mir fürs nächste Mal den Hinweis, dass das Textverarbeitungssystem die Möglichkeit bietet, ein Inhaltsverzeichnis mit Seitenzahlen automatisch zu generieren. Mal sind die Zeilen der Gliederung eingerückt, mal nicht, mal ganz in Versalien, mal nicht, ohne dass ein System erkennbar wird.
Im anschließenden Fließtext wird abgewechselt zwischen fetter und magerer Schrift, wobei gerne auf Zwischenräume zwischen den Wörtern verzichtet wird. Die Kapitel sind – anders als im Inhaltsverzeichnis, das überhaupt nicht auf die Existenz echter Kapitel hinweist – nummeriert. Die Zeilenabstände sind enorm groß, den Befehl „Automatische Silbentrennung“ nutzte der Produzent auch nicht. Deshalb strotzt der Text nur so von mal zu großen, mal fehlenden Zwischenräumen, was die Lektüre nicht angenehmer macht. Unterbrochen wird er von Schwarzweiß-Fotos, die wenigstens grobe Eindrücke von Stadtbild und Landschaft vermitteln.
Auf einer durchschnittlichen Seite dieses Schriftbildes ohne Kapitelüberschriften oder Spiegelstriche stehen in etwa 1.700 Anschläge, das ist weniger als die Hälfte einer normal beschriebenen DIN-A-4-Seite, also nicht besonders viel. So entstand bei mir der Eindruck, der Text sei unnötig gestreckt worden, um wenigstens die 142 Seiten zu erzielen.
Am Ende gibt es zwei Karten, beide ca. 12×12 Zentimeter groß, also 144 Quadratzentimeter. Québec ist original 1,54 Millionen Quadratkilometer groß. Beide (!) zeigen die Provinz Québec und ein paar Orte mit Namen und Seen ohne Namen darin, aber weder Straßen noch Bahnstrecken, Fährlinien über den Sankt-Lorenz-Strom oder Flughäfen. Stadtpläne von Quebec oder Montréal fehlen.
Doch, es gibt ein paar Informationen
Formal richtig steht am Anfang die Einführung. Inhaltlich kann ich auf Sätze wie „Es ist ein Reiseziel, das jede Jahreszeit mit sich bringt und in dem jeder Reisende seinen eigenen Rhythmus findet, der sich persönlich, fast intim anfühlt“, allerdings verzichten. Wenn es später etwas sachlicher wird, ist das durch eher willkürlich auftretenden Fett- oder Kursivdruck gekennzeichnet: „Das istQuébec, eine Provinz, die nicht nur zum Besuch einlädt, sondern auchErfahrungmit allen Sinnen wahrnehmen.“ So steht es da, buchstäblich. Das macht so richtig Lust zum Weiterlesen. Gnadenlos auch die Übersetzung, ganz offensichtlich von Künstlicher Intelligenz: Für den Jean-Talon-Markt in Montréal preist Wilson an: „Beste Anbieter: Die runden Schweinefür handwerklich hergestellte Wurstwaren“. Natürlich ohne Link. Hier ist Rückübersetzung erforderlich: „Les Cochons tout ronds“ (https://www.marchespublics-mtl.com/en/merchants/les-cochons-tout-ronds) ist ein tatsächlich berühmter Wurstwaren-Anbieter dort.
Ein paar Informationen zum Leben in der Provinz finden sich dann doch, aber eben meistens in den beiden bekanntesten Städten. Allerdings ohne Stadtplan. Wenn ich der Meinung bin, das könne man ja alles auf dem Smartphone generieren, dann lasse ich es doch gleich mit dem gedruckten Buch. Höchstwahrscheinlich entspricht das auch den Erwartungen der Klientel, mit der Amazon rechnet. Doch halt: Weblinks finden sich nur äußerst selten, zum Beispiel nicht bei der Aufzählung der empfehlenswerten Hotels, der Museen oder der National- oder Provinzparks.
Um es kurz zu machen. Kauft euch einen richtigen Reiseführer. Habe ich dann auch gemacht. Gut drei Mal so dick, schön bunt, mit vielen Links, Karten und Fotos, sauberem Layout und handlichem Format. Und nicht mal doppelt so teuer.
Wilson, Michael: Québec Reiseführer 2026. Wroc?aw: Amazon Fulfillment Poland Sp. z.o.o. 2025. Broschiert, 142 Seiten, Schwarz-weiß-Abbildungen. 15,54 € (Gratis-Versand). ISBN 9798269978420. Bezug: https://www.amazon.de/QU%C3%89BEC-Reisef%C3%BChrer-2026-Micheal-Wilson/dp/B0FWDCCM8G/ref=sr_1_30?dib=eyJ2IjoiMSJ9.dwnP8A5uF510nl3OOK7YgLngC8Rj2KWxMHB3KrcE6ZASUVJy9HZNxXzvYG3rj3hdefl4pjgAnjL68B1mTOjNKGXY5-1KntUObWloTXXWaQnBDtlVproFWutm07J6agbgFwHAkso5KTvyDO2xAITe6ZmLXv4izr2h5v7_AFYtJn0.2qYqjXu75UnfrZbNNujYaPtV-YTjeZXtnaFb4FRMT0Y&dib_tag=se&keywords=Quebec+Reisef%C3%BChrer&qid=1764238292&sr=8-30&xpid=GVLYa_OhalZMm