Meist ist die Neun-Euro-Welt in Ordnung

Bericht von einer Dorftour statt der üblichen Städtetour mit dem Billigticket

Berlin, 15. Juni (ssl) Chaos im Nahverkehr wegen des Neun-Euro-Tickets? Nicht, wenn man sich nicht gerade Ferienwochenenden oder ohnehin überlaufene Touristen-Hotspots als Zeit und Ziel aussucht. Ich habe die Probe aufs Exempel gemacht und würde es zumindest allen weiter empfehlen, die vorurteilsfrei in Busse oder Bahnen des Nahverkehrs steigen und viel Zeit haben. Es ging von Berlin in ein Dorf im 350 Kilometer südlich gelegenen Fichtelgebirge. Mit dem Auto vier Stunden. Mit der Bahn mehr als doppelt so lange. Aber dabei gibt es noch viel zu erleben. Ein Reisebericht.

Bereit für die Sachsen-Franken-Magistrale. Regionalexpress nach Hof im Bahnhof Zwickau. © Foto: Thomas Rietig

Tag eins des zweitägigen Neun-Euro-Urlaubs: Ein bisschen Schummeln muss erlaubt sein. Die autofreie Reise durch ein Viertel Deutschland beginnt statt mit einem Fußweg zur Bushaltestelle als Beifahrer im Auto zum zwei Kilometer entfernten Fähranleger. Der Dampfer über den Wannsee legt pünktlich ab, es gibt noch viele freie Plätze, die Überfahrt bei ruhigem See und sonnigem Wetter dauert wie üblich 20 Minuten, und vom Ostufer sind es wenige Fußminuten zum Bahnhof Wannsee.

Mit der „Wannsee“ über den Wannsee. ©Foto: Thomas Rietig

Dort heißt es erst einmal die Sonnenbrille abnehmen. Wolken ziehen auf. Nach planmäßigen 39 Minuten Wartezeit fährt der RE 7 Richtung Dessau ein. Er ist voll, aber es gibt noch Sitzplätze. Zwei Mitglieder einer dreiköpfigen Familie brauchen Strom für Smartphone und iPad. Und siehe da, im RE sind zwei Steckdosen unterm Tisch verfügbar. Während der Fahrt wird das Ticket kontrolliert. Keine Beanstandung.

Voll, aber Sitzplatz

Umsteigen in Roßlau, das ein großes Bahnhofsgebäude hat, aber einen sehr schmalen Bahnsteig an Gleis 2, auf dem sich jetzt reichlich Aussteigende samt Kindern in Kinderwagen und Kindern auf Kinderrädern sammeln, die alle in den Regionalexpress von Magdeburg nach Leipzig steigen wollen. Der fährt zwar pünktlich ab, lässt aber in Bitterfeld je einen ICE in Nord- und Süd-Richtung vorbei und sammelt so drei Minuten Verspätung. Voll ist er auch, aber einen Sitzplatz gibt es doch.

In Leipzig endet er auf der Hauptebene in Gleis 10, der Anschlusszug namens S 5 nach Zwickau fährt eine halbe Stunde später im City-Tunnel auf Gleis 1 ab. Zeit genug, um die historischen Lokomotiven und den „Fliegenden Hamburger“ zu betrachten, die auf dem Museumsgleis im Südosten der Haupthalle stehen.

Die gute alte E 44. © Foto: Thomas Rietig

Fahrtdauer der S 5 anderthalb Stunden. Wieder eine Ticketkontrolle, diesmal bereits weit außerhalb des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg, wieder keine Beanstandung. Auch diese S-Bahn kommt pünktlich, auch sie ist voll.

Das ändert sich schlagartig hinter Markkleeberg. Während der Zug, Doppeltraktion Baureihe 442 „Talent 2“, geschätzt 250 Sitzplätze, durch Orte wie Böhlen Werke, Neukleritzsch oder Schweinsburg fährt und dabei wegen mäandernden Landesgrenzverlaufs einen Abstecher ins thüringische Altenburg macht, verfinstert sich der Himmel. In Werdau schließlich, kurz vor der Endstation, bricht es aus ihm heraus. Es schüttet wie aus Eimern, es blitzt und donnert, draußen am Fenster fließen Sturzbäche herunter, die Bahn wird langsamer.

Werdau, kurz vor Zwickau: Es schüttet. ©Foto: Thomas Rietig

Lehrstücke für Bahnhofsarchitektur

Aber sie geht nicht unter, sondern kommt pünktlich in Zwickau an. Dessen großzügig angelegter Bahnhof harrt unübersehbar der Sanierung. Und in seinen recht düsteren Gängen und Hallen wird klar, dass die Neun-Euro-Reise auch eine Reise durch die unterschiedlichsten Bahnhöfe verschiedener Größe und Attraktivität ist. Viele von ihnen sind denkmalgeschützt, etwa der Bahnhof Wannsee aus den späten 1920-er Jahren mit Jugendstilelementen, einer achteckigen Schalterhalle mit zweistufigem Oberlicht und dreieckigen Fenstern. Oder der gewaltige Bahnhof Leipzig, immer noch der größte Deutschlands, wenn auch nicht der verkehrsreichste. Oder Jeber-Bergfrieden an der Strecke zwischen Potsdam und Roßlau, beklagenswerter Zustand, zum Verkauf (oder Abriss?) freigegeben.

Zurück nach Zwickau. Die Stadt wurde schon sehr früh, nämlich 1845, von der Eisenbahn bedient. Sie lag an der damals mit hoher Priorität gebauten Fernstrecke (Berlin-) Leipzig-Hof (-Regensburg), die auch Kernstück der heutigen Reise ist. Das Bahnhofsgebäude ist freilich jünger, „ein mit Hartbrand–Glasurziegeln verklinkerter Kuppelbau in den klaren Linien des Bauhausstils der zu Ende gehenden 1920er Jahre. Er wurde am 17. Dezember 1936 eröffnet.“ Heute scheint das Gebäude extrem überdimensioniert, selbst wenn man in Rechnung stellt, dass die Stadt ein VW-Werk und andere wirtschaftliche Highlights mit vielen Pendler-Arbeitsplätzen beherbergt. Er atmet eine nicht besonders einladende, eher düstere Symbiose aus Reminiszenzen der Vor- und unmittelbaren Nachkriegszeit und vor allem glasurverklinkerte Innenwände. Nun gut, angeblich steht er auf der DB-AG-Renovierungsliste für 2025. Immerhin versöhnt eine Bäckerei-Filiale, weil es in den hier derzeit ausschließlich verkehrenden Nah- und Regionalverkehrszügen weder etwas zu essen noch zu trinken gibt.

Zwickau Hbf von außen… © Foto: Thomas Rietig

… und von innen. ©Foto: Thomas Rietig

Zwei bemerkenswerte Brücken

Weiter geht es auf der besagten traditionsreichen „Sachsen-Franken-Magistrale“ mit einem hochmodernen Regionalexpress nach Hof. Die Sonne scheint wieder und setzt eine vom Tourismus wahrscheinlich noch weitgehend unentdeckte, fast märchenhafte Mittelgebirgslandschaft in helles Frühsommerlicht. Im Verlauf der Strecke geht es zwischen Reichenbach und Plauen über zwei bemerkenswerte Bauwerke: die Göltzschtalbrücke und die Elstertalbrücke, die größte und die zweitgrößte Ziegelsteinbrücke der Welt. Beide wurden 1851 eröffnet und stehen nur noch, weil die Alliierten die von den Nazis geplante Sprengung 94 Jahre später unmöglich machten.

Die Göltzschtalbrücke. Foto: UlrichAAB – CC BY 3.0

Bei der Fahrt ist natürlich nichts von den vielen Bögen und Pfeilern zu sehen, die die Brücken so interessant und einmalig machen. Der Blick aus dem Fenster in die fast 100 Meter tiefer liegenden Täler lohnt sich trotzdem, zumal der Zug über die Elstertalbrücke baustellenbedingt gerade sehr langsam fährt.

In Hof ziert wiederum ein großes, repräsentatives, bereits saniertes Bahnhofsgebäude aus fränkischem Sandstein die Gleisanlagen. Hier endet nicht nur der Regionalexpress, sondern auch die Elektrifizierung der Strecke, obwohl genau gegenüber dem Empfangsgebäude ein größerer Containerbahnhof liegt. Erst im 178 Bahnkilometer südlich gelegenen Regensburg überspannt wieder Fahrdraht die Gleise der Magistrale. Ab hier heißt sie „Ostkorridor“ und soll, einmal elektrifiziert, die Kapazität des zentraleuropäischen Eisenbahnnetzes deutlich erhöhen, besonders im Güterverkehr.

Hof Hbf von außen… ©Foto: Thomas Rietig
… und von innen. © Foto: Thomas Rietig

Schienenbus – ein wahrer Renner

Dem Reisenden ins Fichtelgebirge steht in Hof wieder ein längerer Aufenthalt bevor, denn nicht alle Züge in Richtung auf sein Ziel halten in der nächsten Umsteigestation Neusorg, sondern erst die eine knappe Dreiviertelstunde später abfahrende Regionalbahn Nummer 24 des agilis-Bahnunternehmens. Und genau die, ein kleiner Schienenbus der Baureihe 650 „Regio Shuttle“, hat jetzt, aus Bad Steben kommend, sechs Minuten Verspätung. Der nach Neusorg bestellte Rufbus ins Zieldorf warte zehn Minuten, falls der Zug dort mit Verspätung eintreffe, versprach die Rufbus-Telefonzentrale. Bleibt zu hoffen, dass der Zug sich anstrengt.

Das tut der tapfere kleine Schienenbus, indem er abgeht wie Schmidts Katze. Man glaubt es kaum, aber er dürfte Tempo 100 gefahren sein. Allein es hilft nichts, denn nahezu jede an der Strecke liegende Bedarfshaltestelle muss wegen entweder eines aussteigenden („Drücken Sie den Haltewunsch-Knopf“) oder eines am Bahnsteig wartenden Fahrgasts bedient werden.

Aber am Ende bleibt es bei den sechs, oder sagen wir: 5:59 Minuten, damit es nicht offiziell „Verspätung“ heißt und nach Bahn-Maßstäben noch als pünktlich durchgehen kann. Also wartet der Rufbus, ein Taxi, brav an der Bushaltestelle in Neusorg, und ein weiterer Fahrgast, den der Fahrer schon anderswo aufgesammelt hatte, ebenso. Eine Viertelstunde später ist die Reise im Dorfkern des Zielortes zu Ende. Und es hat doch etwas mehr gekostet als die neun Euro, weil sich am Ende einer Taxifahrt der Trinkgeld-Reflex eingestellt hat. Aber Spaß hat es gemacht.

Morgens um sieben …

Tag zwei: Bei Reisebeginn fünf Minuten vor sieben am frühen Morgen ist die Welt noch in Ordnung an der Bushaltestelle im Fichtelgebirgsdorf. Acht Grad plus, die Finken schlagen, die Sonne scheint vom blauen Himmel, auf der Straße fahren Autos vorbei, deren Insassen verwunderte, vielleicht mitleidige Blicke auf die einsame Person am Haltestellenschild werfen, die eine neunstündige Reise mit acht Mal Umsteigen vor sich hat.

Die Fahrplanschaukästen zeigen vergilbte Tabellen und einen Zettel, dass wegen Bauarbeiten zwischen Juni und September 2021 (!) diese Haltestelle nicht angefahren wird. Das Internet, genauer: http://www.bahn.de , versprach aber einen Bus für 07:00 Uhr in Richtung Weidenberg, wo nach beruhigenden 13 Minuten Umsteigezeit ein Zug Richtung Kirchenlaibach abfahren soll.

Fünf Minuten später gerät die heile Welt ins Wanken. Immer noch kein Bus zu sehen. Ob die Aushänge am Schild doch etwas mit der Wirklichkeit zu tun haben? Wenn ja, steht dem hoffnungsvollen Fahrgast entweder eine anderthalbstündige Wartezeit auf den nächsten Bus bevor oder ein mutiger Anruf beim Taxiunternehmen. Und eine neue Verbindungssuche in diesem offenbar unzuverlässigen Internet.

Weitere zwei Minuten später naht die Rettung: Ein großer Überland-Linienbus biegt um die Ecke. Obwohl auf seiner Zielanzeige „Dienstfahrt“ und an der Seite „Bitte nicht einsteigen!“ steht, hält er an der Haltestelle und öffnet die Tür. Der Fahrer bejaht die Frage, ob das der 369-er nach Weidenberg sei, lässt den Gast einsteigen, wirft einen zufriedenen Blick auf die Berliner-Verbund-Abo-Karte, also das Neun-Euro-Ticket, und fährt ab nach Osten.

Bf Weidenberg: Der Regio Shuttle-Triebwagen aus Bayreuth fährt ein. © Foto: Thomas Rietig

Weidenberg liegt im Westen. Die Umsteigezeit schwindet, der Stresspegel steigt. Nach anderthalb Kilometern, am Ende der Hauptstraße, fährt er auf den Festplatz und wendet. Na klar, anders hätte er es mit seinem Zwölf-Meter-Bus in der doch nicht allzu breiten Dorfstraße auch gar nicht machen können.

Vielleicht doch ICE?

Allein in dem Monster mit 55 Sitzplätzen. Der Fahrer schafft es, die Verspätung bis Weidenberg aufzuholen, weil er sich unterwegs nicht lange aufhalten muss. Denn es steigen nur noch zwei weitere Passagiere ein, einer von ihnen ebenfalls ein Neun-Euro-Tourist. Am Bahnsteig warten mehr als zehn weitere Leute. Es erscheint aus Richtung Bayreuth wieder ein kleiner agilis-Triebwagen. Und es steigen tatsächlich rund 20 Leute aus. Klares Praxisbeispiel für einen Erfolg der Zivilgesellschaft: Die Eisenbahn von Bayreuth nach Warmensteinach über Weidenberg war schon mal stillgelegt, wurde dann aber nach Bürgerprotesten und Bürgerengagement wenigstens bis Weidenberg wiederbelebt. Der Abschnitt bis Warmensteinach ist jetzt ein Fahrradweg.

Wer fürs Reisen wieder viel mehr zahlen möchte, hätte in Bayreuth die Möglichkeit, nach Nürnberg oder Coburg zu fahren und dort in einen ICE nach Berlin zu steigen. Kostenpunkt Flextarif, einfache Fahrt ohne BahnCard, zweite Klasse: mehr als 160 Euro. Dafür kommt man zwei Stunden früher an als mit den Nahverkehrszügen. Lassen wir‘s.

Schattenselfie auf dem Bahnsteig in Kirchenlaibach. Die Natur holt sich selbst die noch in Betrieb befindlichen Bahnsteige wieder zurück. © Foto: Thomas Rietig

Der Triebwagen fährt also über Bayreuth nach Kirchenlaibach, einem einst bedeutenden oberfränkischen Bahnknoten. Dessen Bahnhof ist fast so groß wie das ganze Restdorf, und die üppigen Brachflächen zeugen vom einst umfangreichen Gleisfeld mit reichlich Bahnbetrieb auf 15 Gleisen. An den noch in Betrieb stehenden Bahnsteigen ist die Natur aber auch schon recht erfolgreich mit der Wiedereroberung des Geländes. Hier heißt es Umsteigen in einen Regionalexpress nach Hof. Der Weg dorthin führt über Marktredwitz, ohne Halt an Neusorg vorbei. Weil das mit dem Rufbus am frühen Morgen zu kompliziert war, hat sich die Fahrt von der sonnigen Bushaltestelle im Dorf um 70 auf rund 83 Kilometer verlängert, erst nach Westen, über eine kontinentale Wasserscheide (Schwarzes Meer/Nordsee), dann nach Süden, dann nach Osten, und schließlich ab Marktredwitz im großen und ganzen nach Norden.

Der Verspätungs-Schreck

Aber oh Schreck! Der Regionalexpress nach Hof hat Verspätung, und die Umsteigezeit beträgt nur vier Minuten. Obwohl der Neigezug, jetzt wieder auf der Hauptbahn Marktredwitz-Hof, ordentlich Gas gibt, kommt er erst nach der regulären Abfahrtszeit des Anschlusszuges nach Zwickau an. Aber der wartet, denn es sind tatsächlich recht viele Menschen, die zum Zug „am selben Bahnsteig gegenüber“ hechten. So geht die Fahrt in aller Ruhe weiter wie die Hinfahrt. Mangels Frühstück kommt der wiederum fast halbstündige Aufenthalt in Zwickau gerade recht für einen Besuch in der Bäckereifiliale, und der Mann hinterm Tresen erinnert sich sogar.

Nochmal Zwickau. Zur Bäckereifiliale geht es die Treppe runter, und am ersten Absatz links rum. Man beachte die Grammatik. © Foto: Thomas Rietig

Die Fahrt in der S-Bahn Zwickau-Leipzig verläuft ohne Zwischenfälle, ebenso wie der Regionalexpress von Leipzig bis Roßlau. Dort fällt während der Wartezeit auf den Zug nach Berlin auf, dass in den Fenstern des Bahnhofsgebäudes, die direkt vom Gleis 1 einsehbar sind, Querdenker- und Impfkritiker-Sprüche kleben. Aber die wenigsten Wartenden kümmern sich darum. Viele tragen sogar die Maske, obwohl das auf Bahnsteigen nicht vorgeschrieben ist. In den Zügen wurde an beiden Tagen die Maskenpflicht durchweg zu fast 100 Prozent beachtet. Das aber auch, weil die Kontrolleurinnen und Kontrolleure alle Fahrgäste immer wieder darauf aufmerksam machten.

Das zweitägige Neun-Euro-Experiment endet mit der wie immer pünktlichen Fähre über den Wannsee. Am anderen Ufer die größte Überraschung: Der kleine Kiezbus hat zehn Minuten Verspätung. Glück für den Reisenden, denn so kommt er genau, als der an der Haltestelle eintrifft. Andernfalls hätte er zehn Minuten warten müssen. Aber darauf wäre es dann auch nicht mehr angekommen.

Bilanz: Weiterentwickeln des Versuchs lohnt sich

Der dreimonatige Feldversuch, so viel lässt sich jetzt schon sagen, wird am Ende mit Sicherheit ein wichtiger Schritt zu einem nutzerfreundlicheren Nahverkehr in Deutschland gewesen sein. Natürlich kann es nicht so weitergehen, dass alle mit neun Euro pro Monat überallhin fahren können. Aber es war Quatsch, die Nutzlosigkeit eines Pauschaltickets für den bundesweiten öffentlichen Nahverkehr mit überfüllten Regionalzügen in beliebte Ausflugsgebiete zu Pfingsten zu begründen. Genauso gut könnte man sich in den Stau auf der Autobahn München-Salzburg stellen und aus der Verstopfung aller Fahrbahnen schließen, dass der Tankrabatt erfolgreich war. Oder für Pfingsten einen Flug buchen und sich über die Schlangen am Check-in-Schalter aufregen.

Und die Kritik: „Das Ticket nützt nur Bahnfahrern“, zieht auch nicht, denn Autofahrer können ja problemlos auf die Bahn umsteigen. Andersherum ist es nicht so leicht.

Für meine Zweitagereise habe ich als Monatskartenbesitzer nicht einmal neun Euro bezahlt, sondern für den ersten Monat fast 50 Euro zurückbekommen dafür, dass ich mich nun freizügig durch alle U- und S-Bahnen, Busse und Regionalexpresse kämpfen darf, um noch einen Sitzplatz zu bekommen. Und ich habe immer einen gekriegt.

Da jubelt der Eisenbahnfreund. Formsignale werden immer seltener. © Foto: Thomas Rietig

Das Ticket war und ist ja in erster Linie nicht für solche Touren nach dem Motto „Der Weg ist das Ziel“ da, sondern dafür, die Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs im Alltag jenen zu erleichtern, die unter der Inflation am meisten leiden. Sie sparen, indem sie für die drei Monate die Differenz zu einer bereits vorhandenen Zeitkarte erstattet bekommen oder eben, falls möglich, das Auto stehen lassen und Geschmack am ÖPNV finden. Als wichtigster Nebeneffekt wurde die finanzielle Attraktivität eines Umstiegs vom Auto auf Bus und Bahn für Pendler gesehen.

Die deutschlandweite Gültigkeit und damit eine gewisse Attraktivität für weitere Reisen sollte aber weiterentwickelt werden, denn sie ist interessant für jene, die öfter mal den Verbund wechseln, sei es aus privatem oder dienstlichem Anlass. Hier kommt es kaum auf einen niedrigen Preis an, für die netzkarten-artige Bequemlichkeit würde die Zielgruppe wohl auch bereit sein, mehr als neun Euro im Monat zu zahlen. Es geht um Tickets für Leute, die etwa von Hamburg nach München oder von Stuttgart nach Berlin fliegen oder sich auf eine Urlaubsreise von einem deutschen Flughafen begeben oder auch nur mit dem Urlaubsauto auf einem Park-and-Ride-Platz halten. Sie sollten für die Wege in oder durch die Stadt beziehungsweise den Verbund einfach in ein Nahverkehrsmittel steigen können, ohne sich groß um die Gültigkeit oder den Preis kümmern zu müssen. Wichtig ist nur, dass er nicht in ICEs, ICs oder ECs steigt, die dem Fernverkehr vorbehalten sind.

So flexibel, wie das Ticket ist und die künftigen Weiterentwicklungen sein sollten, so flexibel müssten dann auch die Verantwortlichen in den Verbünden und in der Landes- und Kommunalpolitik sein, wenn sie etwas für die Nutzer und zugleich für die Bekämpfung des Klimawandels tun wollen.