Ostbayern profitiert von Elektrifizierung

Gute Aussichten für Güter-, Regional- und Schienenfernverkehr

Ludmilla in der Oberpfalz. Foto: DB AG / Uwe Miethe

Berlin, 18. Dezember (ssl) Wenn„Ludmilla“ richtig aufdreht, etwa beim Anfahren oder am Berg, dann gibt‘s was auf die Ohren. Es dröhnt laut, und oben entweicht eine schwarze Abgasfahne. Massengut-, Kessel- und Autotransportwaggons ergänzen den Sound durch Quietschen und rhythmische Schläge. In den Häusern an der Trasse des Ostkorridors in Ostbayern wackeln Tassen und Gläser. Das soll sich bald ändern. Politik und Bahn versprechen eine Win-Win-Situation: die Elektrifizierung.

„Ludmilla“ist der Spitzname einer Großdiesellok sowjetischer Bauart aus den 1970-ern. Das Erbstück der Deutschen Reichsbahn weist trotz mehrfacher Upgrades eine fragwürdige Lärm- und Abgasbilanz auf. Die Maschinen erledigen schweren Güterzugdienst zwischen Hof und Regensburg, wo kein Fahrdraht hängt. Dabei sind die Regionen Sachsen, Franken und Böhmen für ihre wirtschaftliche Entwicklung „dringend auf eine leistungsfähige Schienenanbindung angewiesen“, wie das sächsisch-bayrische Städtenetz erklärt. Es fordert deshalb die„lückenlose Elektrifizierung und Modernisierung der Franken-Sachsen-Magistrale“.

Schon seit einigen Jahren hat die europäische Logistik diese Nord-Süd-Verbindung als Teilstück der Hamburg-Balkan-Route im Blick, ist sie doch eine der wenigen noch nicht überlasteten Ferntrassen in Deutschland. Deshalb steht die Elektrifizierung samt der sie kreuzenden Bahn von Nürnberg durch das Pegnitztal nach Tschechien im vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans (BVWP) 2030. Für die Trasse Hof-Regensburg sind rund 800 Millionen Euro kalkuliert.

Anlass zu Optimismus

Die Kreuzung liegt in Marktredwitz, einer 17.000-Einwohner-Stadt im Landkreis Wunsiedel, deren wirtschaftliche Statistik schon jetzt Anlass zu Optimismus gibt. Eine Demografiebroschüre des Freistaats Bayern von 2012 prognostizierte für die Region einen Trend nach unten, den nun die Realität überholt hat: Die Einwohnerzahl steigt seit 2015 wieder. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 2,76 Prozent. Eine Sprecherin der Stadt nennt dazu die Zahl von „2.000 heimischen Unternehmen“.

Noch brummt Ludmilla auch über die Gleise im Stadtgebiet. Hängt der Draht einmal, sind die Züge zwar leiser, fahren aber öfter. Der Beauftragte der Bundesregierung für den Schienenverkehr, Verkehrsstaatssekretär Enak Ferlemann, hofft, dass das bald passiert. „Der Koalitionsvertrag gibt das Jahr 2025 vor. Ich würde mich freuen, wenn wir es einhalten könnten.“ Bis dahin rollen auch Güterwaggons leiser, denn ab Ende 2020 müssen sie alle mit „leisen Sohlen“ bremsen.

Auch Marktredwitz verspricht sich viel vom Strom überm Gleis. „Durch die Verbindung zu den Seehäfen entstehen neue Perspektiven fürFirmen und Containerumschlagplätze an der Strecke“, erklärt die Sprecherin. Zulieferbetriebe, etwa der Autoindustrie, könnten das günstige Lohn- und Gewerbesteuerniveau ausnützen.

330 Kilometer Bahntrasse

Insgesamt handelt es sich um 330 Kilometer Bahntrasse, die elektrifiziert werden sollen. Ferlemann sieht darin eine „Win-Win-Situation“: „Wir können auch im Nahverkehr eine wesentlich bessere Vertaktung fahren als bisher. Das heißt: Neben dem Güterverkehr hat auch der Nahverkehr einen Vorteil. Und die Bürger bekommen die Eisenbahn deutlich leiser.“ Die DB verspricht, dass die Region besser an die Ballungszentren angeschlossen wird als jetzt: Wer heute von Nürnberg nach Prag will, dem empfiehlt selbst die Bahn den Bus.

Konkrete Pläne bestehen schon für die Nord-Süd-Relation, auf der es seit Jahren nicht mehr umsteigefrei von der Oberpfalz nach Sachsen, geschweige denn nach Berlin geht. Künftig „wird es durchgehende Züge von München nach Dresden über den Knoten Marktredwitz geben“, verspricht Projektleiter Robert Hanft von der DB Netz AG, die die Baumaßnahmen umsetzt.

Details nennt Albert Rupprecht, Bundestagsabgeordneter der CSU für den Wahlkreis Weiden: Für ihn stehe fest, „dass die Elektrifizierung zu einer wesentlich besseren Anbindung an den überregionalen Personenzugverkehr führen muss“, sagt er. Geplant sei ein IC Warnemünde-Rostock-Berlin-BER-Dresden-Chemnitz-Hof über Weiden nach Regensburg und München im Zwei-Stunden-Takt mit sieben bis achttäglichen Zugpaaren. „Die Deutsche Bahn hat mir bestätigt, dass Weiden Haltepunkt der IC-Anbindung wird, ebenso wie Schwandorf und Marktredwitz.“

Gut für Wohn- und Wirtschaftsstandort

Den Nahverkehr zu verbessern, ist dagegen Sache der Verkehrsverbünde. Hanft sieht es so: „Marktredwitz ist schon ein Regionalverkehrsknoten. Er kann durch die Elektrifizierung an Bedeutung gewinnen.“ Dem schließt sich die Stadtsprecherin an: Der Zugverkehr werde nicht nur sauberer, „sondern auch interessanter. Je besser und zeitlich kürzer der Weg zu Sport- und Kulturangeboten, Konzertveranstaltungen oder sonstigen Freizeitangeboten in Großstädten ist, desto besser kann man auch für den Wohnstandort Marktredwitz werben.“ Das gelte auch für den Arbeitsplatz, der vom gut angebundenen Wohnort aus in der nächst größeren Stadt besser erreicht werden könnte.

Für die kleine Stadt am Kreuzungspunkt bedeutet all das nicht nur gute Aussichten, sondern auch viel Arbeit. „Bereits jetzt werden verschiedene Szenarien entwickelt, die es abzuwägen und abzuarbeiten gilt. Im Mittelpunkt stehen Verkehrsplanungen und die weitere Entwicklung von Wohnbau- und Gewerbeflächen“, erklärt die Sprecherin.

Allerdings bedeutet die Einstufung als „vordringlich“ im Bundesverkehrswegeplan nicht, dass es jetzt gleich losgeht. 2017 entsprach Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt den Wünschen derAnwohner und sagte Lärmschutz über das gesetzlich Verlangte hinaus zu. Damit verzögert sich die Realisierung des NordabschnittsHof-Marktredwitz deutlich, da die Planer fast wieder von vorn anfangen müssen, wie Hanft erläutert.

Für den Südabschnitt Marktredwitz-Regensburg ermittelt DB Netz derzeit die Grundlagen. Die Ost-West-Verbindung ist zwischen Nürnberg und Marktredwitz eisenbahntechnisch sehr schwierig wegen vieler denkmalgeschützter Brücken und Tunnels aus dem 19. Jahrhundert. Auch hier fahren noch emissionsreiche Dieseltriebzüge durch engeTäler.

So wird es noch eine Weile dauern, bis „Ludmilla“ die Tassen nicht mehr wackeln lässt und Fernzüge Oberfranken und die Oberpfalz mit den gar nicht so fernen Metropolen verbinden. Aber das Licht am Ende des Tunnels ist schon zu sehen.