Kalifornien hat sie schon, die EU zieht angeblich im Herbst nach
Berlin, 16. August (ssl) Den Vorstoß von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz für eine europäische E-Mobilitätsquote sollte die Politik nicht generell als „Wahlkampf“, absurd und unqualifizierten staatlichen Dirigismus abtun. Deutsche Politiker erwarten Vorschläge aus der EU für Herbst. Gerade den Autobauern, die sich in jüngster Zeit nicht gerade durch Haltung ausgezeichnet haben, täte es gut, wenn die Politik Leitplanken zöge, die ihnen den Weg in eine nachhaltige Wirtschaft weisen. Wenn sie auf diesem Weg selbst geradeaus vorangehen, umso besser. Im täglichen Leben begreifen Autofahrer, die ihren Weg ohne Blessuren überstehen, Leitplanken ja auch als Schutz und nicht als Einengung ihrer Möglichkeiten.
Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth nannte am Mittwoch als Beispiel Kalifornien, das Quoten festgelegt hat. Seinen Angaben zufolge müssen 2018 an der Westküste 4,5 Prozent und 2025 22 Prozent der Neuzulassungen über alternative Antriebe verfügen. Zur Höhe einer möglichen Quote in Deutschland wollte sich Flasbarth nicht festlegen. Vor der Bundestagswahl hat das ohnehin keinen Zweck. Seinen Angaben zufolge entspricht der von Kalifornien für 2025 angepeilte Anteil im großen und ganzem dem, was die deutsche Autoindustrie auch für die Durchdringung des heimischen Marktes in diesem Zeitraum annimmt. Er vermutete („bin sicher“, „meine feste Überzeugung“), dass die EU-Kommission im Herbst, also nach der Bundestagswahl, eine Quote vorschlagen werde. Die Verantwortung für ihre Einhaltung werde am Ende bei den Herstellern beziehungsweise den Importeuren liegen, sagte er und merkte an, dass er sich über die Importeure (nach Deutschland, nicht in die gesamte EU) bei dem jüngsten Dieselgipfel „noch mehr“ geärgert habe als über die deutschen Hersteller, weil sie bislang die Zusammenarbeit beim „Dieselthema“ weitgehend ablehnten.
Die Möglichkeit, dass „der Verbraucher“ gar kein Elektroauto kaufen wolle und die Hersteller daher in eine wirtschaftliche Zwangslage getrieben würden, ließ Flasbarth nicht gelten. Erstens sei zum Einstieg ja lediglich von „drei bis vier Prozent“ der Neuzulassungen die Rede, und zweitens zeige der Run auf ein noch nicht einmal ausgeliefertes Elektroauto, den Tesla Model 3, dass ein Interesse bestehe, wenn man sich nur von althergebrachten Vertriebs- und Marketingmechanismen auf neue einlasse. Im übrigen sei damit zu rechnen, dass sich etwa um 2020 die Preisschere zwischen Verbrennungsmotoren und Elektromotoren schließe.
100.000 Neuzulassungen zum “Einstieg”
Der „Einstieg“ wären immerhin 100.000 Neuzulassungen innerhalb eines Jahres. Zur Einordnung der Quote hier die Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamtes. Es kommt wesentlich darauf an, welche Fahrzeuge die Quote umfasst. Die Zahl der Zulassungen reiner Elektrofahrzeuge ging 2016 zwar mit 11.410 um 7,7 Prozent zurück, aber die der Hybridfahrzeuge stieg um 42,7 Prozent auf 47.996 . Von ihnen hatte 13.744 einen Plug-in Hybrid, also einen, der mit Kabel aufgeladen werden kann. Rechnet man alle zusammen, so ist der Anteil der Neuzulassungen im Jahr 2016 immerhin schon bei zwei Prozent. Am 1.1.2017 gab es insgesamt 34.022 Elektro-Pkw, also rein batteriebetriebene, und 165.405 Hybridfahrzeuge, davon 20.975 Plug-in Hybride.
Flasbarth wies zwar darauf hin, dass es sich bei E-Mobilität nicht nur um Elektroautos handele, sondern auch hinsichtlich der Emissionen beim Fahren schadstofffreie Technologien wie Brennstoffzelle, Power-to-Gas (P2G) und Power-to-Liquid (P2L) gemeint seien. Der Staatssekretär gab sich zwar „technologieoffen“, wie auch die Autoindustrie und u. a. das Bundesverkehrsministerium. Faktisch laufe es aber nach heutigem Stand der Technik darauf hinaus, dass es sich im wesentlichen um elektrisch betriebene Autos handeln dürfte, denn deren Wirkungsgrad übertreffe den der anderen um etliches. Um mit einem Elektroauto 100 Kilometer zu fahren, bedürfe es, bildlich gesprochen, der Energie eines Windrades, bei der Brennstoffzelle seien es schon zwei, und bei den P2G oder P2L-Technologien bis zu sieben Windräder. Auch die Entwicklung des Weltmarktes für alternative Antriebstechnologien spreche für die Elektromobilität. „Ich sehe keine Region der Erde, in der sich eine nennenswerte Entwicklung in Richtung der anderen Technologien abzeichnet“, meinte Flasbarth.
Die Frage, warum es denn Quoten geben solle, wenn sie ohnehin mit den Überlegungen der Industrie übereinstimmten, beantwortete er so: Die Industrie habe sich in der Vergangenheit nicht besonders innovationsfreudig im Hinblick auf umweltrelevante Verbesserungen gezeigt, und wenn man ihnen ihre eigenen Perspektiven vorschreibe, sei man wenigstens auf der sicheren Seite, was die Einhaltung angehe. Außerdem könnten sie dann weniger Gegenargumente vorbringen. Eine nationale Quote, falls die EU-Staaten nicht mitzögen, lehnte Flasbarth ab, weil sie im Binnenmarkt äußerst kompliziert durchzusetzen sei. Eventuelle Strafen bei Nichteinhaltung der Quote könnten im Rahmen eines CO2-Ausgleichszahlungsregimes erhoben werden.