DB Cargo wird „grüner“ mit Start-Stopp-Automatik und Fahrassistenzsystem
Berlin, 27. November (ssl) Ein Zittern geht durch die schwere Rangierlokomotive 294 864-4 in der Mannheimer Lokwerkstatt. Dumpf dieselt der Achtzylinder unter dem langen Vorbau der Lok vor sich hin. Die Insassen des Führerstandes, der noch die Maschinenraum-Atmosphäre der 60er Jahre vermittelt, spüren physisch die Power um sie herum, auch ohne dass die Lok losfährt.
Der Motor hat satte 32 Liter Hubraum, die ihm zu einer Leistung von 1.000 Kilowatt und der Lok zu einer Anfahrzugkraft bis zu 236 Kilonewton verhelfen. „Er verbraucht viereinhalb Kilo Treibstoff pro Stunde im Leerlauf“, sagt Triebfahrzeugführer und Fachreferent Dominik Schörner. Da lohnt es sich schon, über eine Start-Stopp-Automatik nachzudenken, auch wenn die Lok inzwischen weit mehr als 40 Jahre auf dem Buckel hat.
Der Austauschmotor aus dem Jahr 2004 ist im Vergleich zu seinem Vorgänger bereits ein Sparwunder: Das ursprüngliche 12-Zylinder-Aggregat hatte 70 Liter Hubraum, produzierte damit aber nur 860 Kilowatt Leistung und verbrauchte unter Volllast 5,4 Liter pro Stunde mehr als der neue.
Tatsächlich hat diese Lok seit einigen Jahren eine Start-Stopp-Automatik. Ihre beiden beleuchteten Knöpfe fügen sich harmonisch ins nostalgische Führerstands-Design ein. Sie funktioniert nicht ganz so wie in modernen Autos, weil eine solche Diesellok nicht einfach aus dem Ruhezustand angelassen werden und dann sofort losfahren kann. In einer Zugbildungsanlage wie dem Mannheimer Rangierbahnhof dieselten solche Lokomotiven oft lange im Leerlauf, während hinter ihnen die Züge zusammengestellt wurden, mit denen sie schließlich abfahren sollten.
Mit dem normalen Anlassvorgang wäre es dennoch zu aufwändig, sie immer wieder ab- und anzuschalten. Die Automatik hat 30 Sekunden Vorlauf, und nach 15 Sekunden blinkt einer der Knöpfe, damit der Triebfahrzeugführer sich noch umentscheiden kann. Darüber hinaus ist die 294 864-4 fernsteuerbar, so dass vor dem Wiederanspringen des Motors sichergestellt sein muss, dass sich niemand im Gefahrenbereich – etwa bei Wartungsarbeiten am Motor – befindet. Sie muss Betriebswärme haben. Deshalb gibt es im Führerstand und außen an der Lok akustische und optische Warnsignale, bevor der Diesel wieder loslegt. So kompliziert das Verfahren klingt, es läuft automatisch ab, wenn der Triebfahrzeugführer die Maschine „sichert“, also so abstellt, dass sie nicht wegrollen oder gar fahren kann. Das kann er im Führerstand tun, aber auch von der Fernsteuerung aus.
Und der Einbau hat sich gelohnt: Seit Januar dieses Jahres bis Ende Oktober sank der Dieselverbrauch der mit dieser Automatik ausgestatteten DB-Cargo-Flotte nach Angaben der Deutschen Bahn um 334.000 Liter oder sieben bis acht Prozent. Die Start-Stopp-Automatik ist eine von zahlreichen Maßnahmen, mit denen DB Cargo sich als „grüner“ Logistikkonzern profilieren will.
Nicht immer so schnell wie erlaubt
Eine weitere ist das Fahrassistenzsystem LEADER, das die Triebfahrzeugführer beim sparsamen Fahren unterstützt. DB Cargo hat es gerade auf 300 Lokomotiven in Betrieb genommen. LEADER (Locomotive Engineer Assist Display & Event Recorder) funktioniert nicht wie ein Tempomat im Auto – den gibt es auch bei zahlreichen Lokomotiven -, sondern verarbeitet verschiedene Echtzeitdaten des jeweiligen Zuges und zeigt auf einem Monitor im Führerstand eine Empfehlung für die ökologisch effizienteste Geschwindigkeit, mit der das Ziel in der vom Fahrplan vorgegebenen Zeit erreicht werden soll. „Erreicht werden kann“ ist vielleicht die bessere Formulierung, denn es muss nicht immer die erlaubte Höchstgeschwindigkeit gefahren werden, um fahrplanmäßig ins Ziel zu kommen.
Hard- und Software stammen von Knorr-Bremse, und dieser große Bahnausrüster-Konzern ist auch Herr über die Server, die die Daten verarbeiten. Es sind die Daten der Topografie, die das GPS-System liefert, hinreichend genau für Empfehlungen, aber nicht für ein autonomes System. Wie die DB-Fachleute erläutern, sind sie nur auf 10 Meter genau, was fatale Folgen bei der Identifikation des Gleises haben könnte, auf dem die zu steuernde Lok steht. Jedenfalls dann, wenn mehrere Gleise nebeneinander liegen wie hier im Mannheimer Rangierbahnhof oder auch auf den meisten Hauptstrecken. Aber das System weiß immerhin, ob es auf den nächsten Kilometern bergauf oder bergab geht. Zusätzlich werden die Daten des elektronischen Buchfahrplans eingespeist, so dass LEADER auch noch weiß, wo welche Signale stehen. Der Triebfahrzeugführer gibt bei Antritt der Fahrt die Nummer seines Zuges und die Tonnage mit der Hand ein.
De facto handelt es sich um eine Beta-Version, denn die DB und der Hersteller Knorr-Bremse haben schon Vorstellungen, wie es weiter gehen könnte. Würden zum Beispiel die Daten aus dem Bremszettel, also die Massen der einzelnen Wagen des Zuges, auch noch übernommen, und hingen zum Beispiel die schwereren Waggons im vorderen Teil des Zugverbunds, so würde das System den Zugführer darauf hinweisen, wenn der Zug genau so weit über den Berg ist, dass der vordere Teil des Zuges schwerkraftbedingt den hinteren auch ohne elektrische Leistungszufuhr über den Berg zieht. Ein großer Nachteil ist, dass das System die Langsamfahrstellen nicht elektronisch registriert, weil sie im elektronischen Buchfahrplan nicht eingegeben werden. Auch das hat Zuverlässigkeitsgründe. Ein weiterer Nachteil liegt darin, dass die Züge untereinander nicht vernetzt sind. „Wüsste“ jedes System auf der Lok, welche Züge auf viel befahrenen Strecken vor oder hinter ihm sind und welche Fahrtcharakteristik sie voraussichtlich haben, ließen sich aufschaukelnde Verspätungssituationen leichter vermeiden als derzeit.
LEADER empfiehlt Tempolimit
DB Cargo demonstrierte das System bei einer Güterzugfahrt von Mannheim nach Mainz-Bischofsheim, einer sehr stark belasteten Strecke mit Verkehren vom Güterzug über die S-Bahn bis zum ICE 3. In Stoßzeiten fahren hier die Züge nahezu im Blockabstand. Der Zug mit Ladung von Draht auf Rungenwagen bis Fluorchlorkohlenwasserstoff im Kesselwagen setzte sich zehn Minuten vor Plan im Rangierbahnhof Mannheim in Bewegung. Auf dem Gleisfeld selbst gibt der LEADER noch keine Empfehlung, weil die Gleise für die präzise GPS-Ortung zu dicht beieinander liegen.
Aber „auf der Strecke“ kommt der Pfeil, der mal minus 10 km/h , mal minus 20 km/h gegenüber der im Buchfahrplan erlaubten Geschwindigkeit anzeigt. Der Lokführer fährt zügig, aber nicht rasant mit 90 statt der erlaubten 100 km/h Richtung Norden. Überhaupt, das können sich auch Autofahrer merken, ist ordentliches Beschleunigen bis zur gewünschten Geschwindigkeit nachhaltiger als zögerliches Schnellerwerden.
Doch wie der Zufall so spielt, tauchte bald eine nebeneinander stehende Reihe Halt zeigender Signale auf. Zwar kam das für den Triebfahrzeugführer relativ unerwartet, aber dank Vorsignal und weithin schnurgerade verlaufender Strecke konnte er vorausschauend den Zug rollen lassen, sodass er keinen Strom verbrauchte – jedenfalls nicht für die Vorwärtsbewegung. In der Hoffnung, bis zum Erreichen des Signalmasts werde es schon auf „Freie Fahrt“ wechseln, schlich er sich heran. „Wenn ich aus dem Rollen beschleunige, braucht das weniger Energie als aus dem Stand.“
Allein, das Signal gebot mit zwei nebeneinanderliegenden roten Leuchten unbeeindruckt weiter Stopp. Also blieb er doch davor stehen. Die dafür nötigen Bremsung hatte immerhin zur Folge, dass die Lok Strom ins Netz zurückspeiste – moderne Halbleitertechnik macht es möglich.
Sogar ein Radfahrer überholt
Nach fünf Minuten, zwei überholenden Personenzügen und einem entgegenkommenden Güterzug griff er zum Zugtelefon. Der Fahrdienstleiter erklärte ihm, dass weiter vorne ein anderer Güterzug eines anderen EVU (Eisenbahnverkehrsunternehmen) – darauf legte die DB verständlicherweise Wert – liegen geblieben war. Deshalb könne der Betrieb nur eingleisig am Havarieort vorbeigeführt werden, und da habe der Personenverkehr Vorrang. Dauer der „Störung“? Keine Ahnung. Nach einer Weile überholte eine allein fahrende Lok eines anderen EVU. „Die wird den liegengebliebenen Güterzug wegschleppen.“ Weitere Züge überholen und kommen entgegen. Schließlich fährt auch noch ein Radfahrer am Feldweg rechts vorbei.
Kurz darauf, als sich die zehn Minuten Verfrühung in 45 Minuten Verspätung verwandelt hatten, sprang das Signal auf ein grünes und ein gelbes Licht. Fahrt mit maximal Tempo 130 frei. Der Lokführer erhielt aus der Fahrdienstleitung den Hinweis, jetzt aber richtig zügig Richtung Mainz-Bischofsheim zu fahren, denn hinter ihm sei noch ein Regional-Express, der keine zusätzliche Verspätung brauchen könne, und wenn er nicht rechtzeitig in Groß-Gerau-Dornheim sei, habe er noch eine S-Bahn vor sich, was trotz deren hoher Höchstgeschwindigkeit weitere Verzögerung bedeute.
Zügig also, Energiesparen ist jetzt nicht angesagt – die 185 fährt erst einmal mit dem für ihren Güterzug erlaubten Tempo 100 weiter, bis sichergestellt ist, dass die S-Bahn nicht mehr in die Quere kommt und nach hinten Abstand zum Regionalexpress geschafft wurde. Dann lässt der Triebfahrzeugführer den Zug wieder antriebslos rollen. Das hatte ihm der LEADER empfohlen, indem er ein durchgestrichenes „kN“ anzeigt. Und schon ist Mainz-Bischofsheim erreicht – mit nur noch rund 20 Minuten Verspätung, weil ein im Fahrplan vorgesehener Streckenhalt ausgelassen wurde. Immerhin – ein bisschen Sparen war drin.