Alfons Hörmann wird am Samstag zum DOSB-Präsidenten gewählt – Die Suche nach einem Kandidaten sagt viel über den Zustand des deutschen Sportbundes und seiner Spitzenfunktionäre
Von Bianka Schreiber-Rietig
Berlin, 5. Dezember (ssl) Für das zweite Adventswochenende hat der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) nach Wiesbaden zur Mitgliederversammlung eingeladen. Im Prinzip wäre das nichts Besonderes. Aber: Der bisherige Präsident Thomas Bach hat den nationalen Sportthron als eine Art Katapult für den Olymp in Lausanne genutzt, und nun muss sein Nachfolger gewählt werden. Der heißt Alfons Hörmann, ist 53 Jahre alt, Unternehmer aus dem Allgäu und bisher Präsident des Deutschen Skiverbandes.
Viel mehr weiß man von dem Mann eigentlich nicht. Oder doch? Dass es Bilder mit der Kanzlerin gibt, die während der von ihm erfolgreich mit inszenierten Ski-Weltmeisterschaften in Garmisch-Partenkirchen und Oberstdorf aufgenommen wurden. Und dass er Händel mit der Staatsanwaltschaft Düsseldorf hat: Eines seiner Unternehmen, die Dachziegelfirma Creaton, war in Preisabsprachen verwickelt, als Hörmann, der es 2010 verließ, dort Vorstandsvorsitzender war. Das rief das Bundeskartellamt auf den Plan, das 2008 gegen die beteiligten Unternehmen 188 Millionen Euro Bußgeld verhängte. Und nun prüft die Staatsanwaltschaft.
Sonst noch was? Seit er vom DOSB- Interimspräsidenten und Schatzmeister Hans-Peter Krämer und Generaldirektor Michael Vesper den DOSB-Gremien wärmstens für die Bach-Nachfolge empfohlen wurde und Turnpräsident Rainer Brechtken unermüdlich als Wahlkämpfer und Königsmacher für den Bayern unterwegs war, wollte er wenig sagen. Stellung nahm er aber in einer Talkrunde des Bayerischen Fernsehens, als sich die zweite Olympiabewerbung Münchens per Bürgervotum erledigt hatte. Schließlich waren bayerische Winterspiele ein Argument, warum er DOSB-Boss werden sollte. In besagter Gesprächsrunde zeigte er ein merkwürdiges Demokratieverständnis und wetterte gegen eine „Fundamentalopposition“ von Olympiagegnern, die auch die Unwahrheit über Knebelverträge von Organisationen wie IOC oder FIFA verbreite. Kein glücklicher Auftritt.
Ein überraschender Satz
In den letzten Tagen wurde er redseliger, gab mehrere Interviews, etwa dem ZDF, wo er nicht mit kritischen Fragen bedrängt wurde. In einem Gespräch mit der Deutschen Presseagentur überraschte er mit dem Satz, dass es nach „sieben Jahren Bach der einen oder anderen Korrektur“ bedürfe. Und dass er nicht nur ein gutes Erbe, sondern auch eine Hypothek übernehme. Beim Thema Doping, das in den nächsten 12 Monaten seiner Amtszeit zu den drei Topthemen in der Prioritätenliste gehöre, strebe er eine Kurskorrektur an. Außerdem müssten die Sommersportverbände keine Angst haben, dass der ehemalige Skipräsident ihnen nicht gewogen sei.
Ein Programm ist das sicher nicht. Seine Doping-Aussage überrascht nicht wirklich, denn der öffentliche und politische Druck auf den DOSB in den letzten Wochen ist zu groß, als dass er weiter auf die Selbstreinigungskräfte des Sports setzen könnte.
Nicht nur in der Politik ist es üblich, neuem Führungspersonal 100 Tage zu gewähren, um sich zu bewähren. Doch zwölf Monate als eine Art Übergang vor den regulären Präsidiumswahlen im nächsten Jahr zu sehen, um sich langsam an Strukturen und Arbeitsfelder heranzutasten, wird nicht funktionieren: Olympische Spiele in Sotschi stehen gleich zu Beginn der Amtszeit an. Diskussionen über das Abschneiden und Doping werden auch diesmal nicht ausbleiben.
„Schon frühzeitig ausgekaspert“
Unumstritten tritt der Bayer das Amt nicht an. Schon bei der Kandidatensuche haben die „Wahlmänner“ hinter und vor den Kulissen Flurschäden angerichtet, die auch den neuen Mann beschädigt haben. Warum eigentlich noch eine Wahl? „Das war ein abgekartetes Spiel. Ein Kandidat, den das Tandem Bach/Vesper doch schon frühzeitig ausgekaspert hat, wird uns nun vorgesetzt“, regt sich ein Funktionär auf und betont, dass viele seiner Meinung sind. Und: „Alles, was ich ihnen sage, bleibt in diesem Raum. Ich möchte nicht im Abseits landen, weil ich sage, was ich denke.“
Sagen, was sie denken? Manche im Sport haben sich in den letzten sieben Jahren während der Amtszeit Bachs selbst einen Maulkorb verpasst. Öffentlich Kritik zu üben, gegen die vorgegebene Linie zu wettern oder gar die Bosse zu verärgern, dazu ließen sich nur wenige hinreißen – aus Angst , dass sie der Bannstrahl aus dem Frankfurter Haus des Sports treffen könnte.
In der DOSB–Zentrale, in der einst eine sehr kreative, gesellschaftlich aufgeschlossene, manchmal organisatorisch etwas lässige Truppe arbeitete, herrscht heute überwiegend Verwaltungsalltag. Einige Biotope im Breitensport werden von engagierten Menschen gepflegt und gehegt. Ansonsten ist alles unter Kontrolle, wird nichts dem Zufall überlassen, und einer bestimmt, wo’s lang geht.
Nichts sollte aus dem Ruder laufen
Bei der Auswahl des neuen Präsidenten sollte dann natürlich auch nichts aus dem Ruder laufen. So richtig nach Kandidaten wurde nicht gesucht. Diejenigen, die noch im Gespräch waren, traten erst gar nicht an, oder wurden auf fast schon skurrile Weise vor dem Rennen rausgekickt. Als Königsmacher war Turnpräsident Rainer Brechtken unterwegs, der gerne selbst in Bachs Präsidentenschuhe geschlüpft wäre, aber wegen des Finanz-Fiaskos des DTB, das er mit zu verantworten hat, gab er seine eigenen Ambitionen auf, da er chancenlos gewesen wäre.
Dass der Wahlkampf, den er und andere lieferten, nicht unbedingt fair war, mussten potentielle Bewerber und Bewerberinnen erfahren: Da wurde mit „U-Booten“ gearbeitet, wurden falsche Informationen ebenso weiter gegeben wie vertrauliche Mails. Die Nominierung durch die Spitzenverbände wurde „so durchgezogen, dass Hörmanns Kür unumgänglich war“, sagt einer, der dabei war. In allen Nachrichtensendungen wurde der Bayer bereits als Präsident gefeiert. Die Landessportverbände wären bei so einer Aktion in früheren Jahren auf die Barrikaden gestiegen. Und diesmal? Sie liessen sich die Bevormundung gefallen. Na, ganz so sei es nun auch nicht gewesen, sagt der Berliner LSB-Präsident Klaus Böger, der sich über das Auswahlprozedere ebenso ärgerte wie etwa sein NRW-Kollege Walter Schneeloch und andere. „Was hätten wir denn machen sollen?“ Mit seinem Kandidatenvorschlag Willi Lemke hatte Böger einen Versuch gestartet, eine Alternative zu bieten, die aber abgeschmettert wurde. „Herr Hörmann hat bei den Landessportbünden eine gute Performance abgeliefert, sich auch den Fragen gestellt. Und andere Kandidaten gab es ja nicht.“
Wir müssen nicht immer Volkskammerergebnisse haben
Warum hat man eigentlich nicht richtig gesucht? Die Antworten sind ebenso vielfältig wie deprimierend: Zeit war zu knapp, Bach wollte keine Nachfolgediskussion, bis er gewählt war, im deutschen Sport empfiehlt sich keiner wirklich, Außenlösungen wären nur auf einen weiteren ausrangierten Politiker zugelaufen.
„Wem das alles nicht gefällt, der kann ja bei der Abstimmung in Wiesbaden seinen Unmut ausdrücken. Wir müssen nicht immer Volkskammerergebnisse haben“, sagt Böger. Aber dann muss es schon eine geheime Abstimmung sein – Ergebnisse von Sportfunktionärswahlen sind selten – wie Beispiele etwa aus dem IOC zeigen – von Logik geleitet.
Der DOSB, der sich so gerne als mitgliederstärkste Organisation der Republik feiert, ist für die Bürger und Bürgerinnen, die er zu vertreten vorgibt, eigenartig kontur-, bewegungs- und sprachlos geworden. Dabei gäbe es inhaltlich so viel zu diskutieren und zu manifestieren, zukunftsorientiert zu handeln. Menschen im Sport etwa im Jahr 2050 erwarten andere Dinge als Menschen im Sport 2000, um die sich der alte DSB nicht nur auf einem Kongress in Berlin vor 30 Jahren bemühte. „Sich ausschließlich um den Spitzensport kümmern – das ist nicht der deutsche Sport, nicht der DOSB, nicht die Basis“, sagt der Ehrenpräsident des DOSB, Manfred von Richthofen. Und es ist wohl auch, entwicklungstechnisch gesehen, ein Fehler. Doch die Sportbosse hatten in den letzten Jahren hauptsächlich den Hochleistungsbereich im Fokus. Olympische Spiele, Medaillen, Doping und Geldbeschaffung bestimmten das Tagesgeschäft. Der Breitensport kümmerte sich engagiert um seine Themen, blieb aber öffentlich immer im Schatten des Spitzensports.
Chancenlose Bettvorleger
Wo bitte ist die Diskussionsfreude, die Streitkultur, die auch den Sport einmal auszeichnete? Die meisten Mitgliedsorganisationen sind zahm, andere zeigen sich kämpferisch, starten als Tiger, landen aber chancenlos als Bettvorleger. Es lebe der Absolutismus! Wo ist die aufmüpfige Sportjugend, die Werte anmahnt und gesellschaftliche Diskussionen einfordert? Wo sind die couragierten Funktionäre und Funktionärinnen, die standfest ihre Meinung vertreten, auf eine öffentliche inhaltliche Debatte pochen?
Basisdemokratie erlebt gerade eine Art Renaissance in Parteien, anderen Organisationen, sogar Unternehmen. Nur nicht im Sport. In der Sportfamilie wird viel über Fair play, Toleranz, Offenheit,Transparenz, Respekt schwadroniert, aber wer hält sich daran?
(K)ein Darlehen für den Turnerbund
Thema Transparenz: Da wird von der Stiftung Deutscher Sport des DOSB dem klammen Turnerbund ein Darlehen nach juristischen Purzelbäumen gewährt. Ein Darlehen, über das das führende Turngremium seit Monaten informiert ist, über das aber im DOSB -Präsidium offensichtlich nicht alle Bescheid wissen. Erst in der letzten Woche gewährt der Stiftungsvorstand (das ist das DOSB-Präsidium) das Darlehen in sechsstelliger Höhe, wenn der DTB Sicherheiten hinterlegt. Gefeiert wurde das Darlehen schon auf dem Turntag am 23. November, als es noch gar nicht bewilligt war. Noch skurriler wird die Geschichte am Mittwoch (4. Dezember). Da lehnte der DTB das Darlehen ab – ohne Begründung ab was nun variantenreiche Spekulationen geradezu herausfordert. Nachfragen beim DOSB wurden mit beidseitigem Stillschweigen abgetan. Ist das die Transparenz einer Non-profit-Organisation? Ist das fair gegenüber den Mitgliedern, dem Steuerzahler und anderen Geldgebern? Der neue Präsident wäre gut beraten, da einiges zu (er)klären – auch mit dem DTB-Präsidenten Brechtken.
Er wird über Geld reden müssen
Der Bayer, der für viele im Politgeschäft in Berlin noch ein Unbekannter ist, wird in der Hauptstadt ebenso über Geld reden und plausibel darlegen müssen, warum und wozu der Sport noch weitere 40 Millionen Euro haben möchte. Sport und Sportgroßereignisse, das zeigen die Vorkommnisse in den letzten Monaten, sind keine Selbstläufer mehr, die von den Bürgern und Bürgerinnen unkritisch bejubelt und gewollt werden: Die Vorkommnisse rund um die Fußball-WM in Katar, die Demonstrationen in Brasilien wegen der Ausgaben für Fußball-WM und Olympische Spiele, der brutale Umgang mit Mensch und Natur in Sotschi und das „Nein“ zu Spielen in München oder der Schweiz sollten besonders Sportfunktionäre, aber auch die Politik zu einer kritischen Bestandsaufnahme veranlassen. Und daraus sollten sie die richtigen Schlüsse ziehen. Einer davon wäre, um es mit Willy Brandt zu sagen: „Mehr Demokratie wagen“ – und damit Konsens und Offenheit schaffen, Unterstützung und Rückendeckung haben. Denn: Der neue Mann wird Hilfe dringend brauchen.