Warum Flüge zu Mond und Mars sinnvoll sind
Köln/Berlin, 28. September (ssl) Im Verhältnis zu den Dimensionen des Weltalls fallen drei Jahre Reisezeit eines Menschen zum Mars eher in die Rubrik „Nahverkehr“, auch wenn es uns Erdenbürgern zurzeit noch an der Technologie fehlt, persönlich dorthin zu reisen. Umso verblüffender wäre es, sozusagen „gleich nebenan“ Spuren von Leben im irdischen Sinne zu finden. Der Astronaut Alexander Gerst spricht in diesem Zusammenhang von einer „philosophischen Bombe“. Im Gespräch mit Journalisten erläuterte er von einigen Tagen im Europäischen Astronautenzentrum EAC in Köln, worin er die Sprengkraft einer solchen Entdeckung sieht.
„Auf jeden Fall ja“ würde Gerst sagen, wenn er eine Einladung zum Mars-Flug bekäme. „Mir ist klar geworden, dass wir Menschen dazu bereit sind.“ In erster Linie meint er das hinsichtlich der körperlichen und geistigen Konstitution. „Das halbe Jahr in der Schwerelosigkeit hat mir nicht wirklich etwas ausgemacht“, sagte er. „Mein Körper hat sich nicht verschlechtert. Ich habe sogar Muskelmasse dazu gewinnen können durch hartes Training.“ Der promovierte Geophysiker Gerst war von Mai bis November 2014 mit der Mission „Blue dot“ (Blauer Punkt – gemeint ist die Erde im All) in der Internationalen Raumstation ISS. „Ich habe es jetzt ein halbes Jahr so ausgehalten, ich würde es auch drei Jahre aushalten.“ Andererseits: „In 15 Jahren werden wir es noch nicht geschafft haben, zum Mars zu fliegen, aber wir schaffen es vielleicht, das vorzubereiten und uns zu entscheiden, in die Richtung zu gehen.“
Der Aufenthalt im All “macht etwas mit einem”
Ein Aufenthalt im All verändert den Menschen. Gerst sagt, er „macht etwas mit einem“. Manche Punkte in seiner Erzählung überraschen, andere hat der Zuhörer so oder ähnlich erwartet. Etwa die Eindrücke vom Außenbordeinsatz: „Wenn man 400 Kilometer über der Erdoberfläche schwebt, dann zieht sie unter einem ungefähr genau so schnell vorbei wie unter einem Flugzeug, wenn man aus dem Fenster schaut. Man fliegt eben 40mal niedriger mit dem Flugzeug, aber auch 40mal langsamer.“ Das Geschwindigkeitsgefühl sei nicht so, wie man sich 28.000 km/h vorstelle. „Der wesentliche Punkt beim Außeneinsatz ist: Man realisiert plötzlich, dass man sich an der Außenseite der Raumstation befindet, dass man nur durch ein paar Seile mit der Raumstation verbunden ist. Dass um einen rum nichts ist als so ein dünner Anzug, zwei Millimeter Polykarbonat, die einem vom Vakuum trennt, und dass man weiß, dass die Bedingungen um einen rum sehr extrem sind. Das geht von minus 120 bis plus 120 Grad. Das muss der Anzug aushalten können. Und er kann das auch.“
„Ein Glück, die Erde ist wirklich rund“
Die veränderte Perspektive, von der er immer wieder sprach, seit er die ersten Tweets aus dem Raumschiff sandte, ist für ihn wohl der sozusagen archimedische Punkt: die ganze Erde von außen wahrnehmen zu können. Einer der Eindrücke, „von denen wir Menschen am meisten profitieren können, ist diese Perspektive aus der Raumstation.“ Es habe ihn absolut fasziniert, die Erde von außen zu sehen, ich habe auch über mich selbst schmunzeln müssen, als mir der Gedanke am Anfang kam, als ich noch in der Sojus saß, der Gedanke: Ein Glück, die Erde ist wirklich rund. Als Geophysiker geht man davon ja irgendwie aus, aber gesehen haben es noch wirklich wenige.“
Diese Perspektive habe nicht nur ihn verändert. Er habe an der Reaktion gemerkt, „dass das was mit den Leuten macht, die Erde so zu sehen.“ Hochinteressant finde er die Frage, „was es wohl mit uns tut, wenn wir an einem Ort sind, wo man die Erde nicht mehr sieht – statt „Blue dot“ dann „No dot“, wenn man realisiert, man ist irgendwo in diesem schwarzen Raum, und man sieht weder Erde noch Mond, und man ist quasi allein. Ich glaube, das wäre eine sehr heilsame Erfahrung für uns. Wir realisieren, diese Heimat, die Erde mit all ihren Ressourcen und ihren Möglichkeiten, die wir so als garantiert da hinnehmen, das ist eine Illusion, die ist sehr zerbrechlich.“
Er glaube, wenn man sich an einem Ort befinde, wo man die Erde nicht mehr sehe, „dann hat es auch der letzte kapiert, dass nicht Standard ist, sondern absolute Ausnahme.“ Ansonsten sei es jedenfalls innerhalb der Entfernungen, in denen wir uns bewegen könnten, „schwarz und kalt und lebensfeindlich“. Die Erde aus den Augen zu verlieren, „das wird uns klarmachen, wie besonders die ist und wie schützenswert. Das hat auch dieser Blick von außen auf diese Erde schon getan. Ich bin mir sicher, als nächster Schritt wird es noch heilsamer sein, die mal gar nicht mehr zu sehen.“
Zunächst plädiert Gerst dafür, den Mond wieder mehr in den Fokus zu nehmen. Da der Mensch noch nicht direkt zum Mars fliegen könne, müssten die Technologien dafür entwickelt werden. Das geschehe zum einen auf der Raumstation, zum anderen aber „brauchen wir ein Sprungbrett, ein Testgelände, zu dem wir nicht ganz so weit weg müssen, aber trotzdem auf einem anderen Planeten quasi üben können“. Das sei der eine wichtige Grund, warum wieder bemannt zum Mond geflogen werden solle. Der zweite liege in der weiteren Erforschung des Trabanten, den die Forscher noch gar nicht richtig kennen würden. „Wir sind an sechs verschiedenen Orten mal kurz gelandet, haben ein paar Steine eingesammelt. Das war’s.“ Der Mond sei praktisch der achte Kontinent. „Wir wissen noch nicht einmal genau, wie er entstanden ist. Wahrscheinlich ist er aus der Erde heraus entstanden. Dann ist er ein extrem gutes Archiv zur Beantwortung der Frage, woher wir kommen.“
Mars birgt womöglich umwerfende Erkenntnisfortschritte
Grundsätzlich gesehen, liege die Faszination des Mars darin, dass er früher bewohnbar gewesen sei, sagt Gerst. „Jetzt ist er ohne Hilfsmittel absolut unbewohnbar ohne Hilfsmittel. Wie ich vermeide, dass mit der Erde dasselbe passiert, das ist eine extrem spannende Frage, die vielleicht auch überlebensnotwendig für uns ist.“
Das Thema „Leben auf dem Mars“ berge möglicherweise Antworten, die das ganze Weltbild verändern würden. „Man ist sich vielleicht gar nicht mehr im klaren, was es bedeuten würde, wenn wir Spuren von Leben – und seien es nur alte ausgestorbene Formen von Mikroben – finden würden auf dem Mars. Das wäre eine philosophische Bombe.“ Es gebe dann mehrere Erklärungsmöglichkeiten: dass Leben von der Erde auf den Mars gewandert ist oder umgekehrt, dass Leben von außerhalb des Sonnensystems zu uns gereist ist. „Oder dass Leben einfach so häufig entsteht, dass wir selbst beim ersten Blick über den Tellerrand auf den Nachbarplaneten auf unabhängig von uns entstandenes Leben treffen.“
Welche von diesen Varianten dann stimme – in jedem Fall würde es bedeuten, „dass wahrscheinlich das Universum von Leben nur so wimmelt“. Der Mensch müsse sich nur klar machen, dass er, sobald er die Möglichkeit hatte, auf entfernte Sternensysteme zu schauen und erdähnliche Planeten zu detektieren, auch welche gefunden habe. „Eine Woche danach haben wir welche gefunden. Wir realisieren, dass Planeten in der grünen Zone nicht die Ausnahme sind im Universum, sondern wahrscheinlich die Regel.“
Wenn wir plötzlich eine Aussage möglich wäre, dass Leben entweder durch das Universum reisen oder relativ einfach selbst entstehen kann, wäre das sensationell. „Es würde unser Selbstverständnis komplett revolutionieren. Wir würden realisieren: Da draußen muss es überall Leben geben.“ Die Antwort auf diese Frage liege in Reichweite. „Die können wir eventuell in unserer Lebenszeit beantworten.“ Das seien nur zwei Gründe, um auf den Mars zu fliegen. „Aber es gibt noch jede Menge mehr.“