Canada Post eröffnet erste Selbstbedienungsfiliale mit Umkleidekabine
Berlin/Toronto, 30. Oktober (ssl) Im Radio wirbt ein Online-Shop mit der Behauptung, jeder zweite Mann habe schon mal heimlich im Kaufhaus in die Damen-Umkleidekabinen geguckt, und seitdem trügen shoppende Damen nur noch abschreckende Unterwäsche. Oder sie kauften ihre Klamotten eben online, wo sie sie in Ruhe und unbeobachtet anprobieren könnten. Glücklicherweise macht die staatliche Canada Post diesen Werbespot gerade obsolet.
Canada Post hat in Richmond Hill bei Toronto eine Filiale der Zukunft eröffnet, die besonders auf e-Commerce-Kunden ausgerichtet ist. Neben einer Drive-in-Paketstation gibt es dort auch Umkleidekabinen. „Wie bitte?“, fragten die Männer, denen ich das erzählt habe, mit vieldeutigem Grinsen. Wahrscheinlich freute sich jeder zweite schon, künftig auch in der Postfiliale einen Blick durch den Vorhang riskieren zu können.
„Ach, da kann man dann die Kleider, die man online bestellt habe, gleich anprobieren, und wenn sie nicht passen, gleich wieder zurückschicken?“ Meine Frau erkannte den praktischen Nutzen für die Verbraucherin sofort. Wer die Umkleidekabine nutzen wolle, habe dann eben schneller Gewissheit, ob der Kauf gut war oder nicht, argumentiert die kanadische Post. Allerdings muss die Verbraucherin eben auch zur Postfiliale der Zukunft fahren, um ihr Paket abzuholen, aufzumachen und die Klamotten anzuprobieren.
Weniger Arbeit für den Paketboten
Für die Post ist es wohl eine Win-Situation: Der Sendungs-Check in der Zukunftsfiliale erspart dem Paketboten den möglicherweise vergeblichen Versuch, das Paket an der Haustür des Empfängers loszuwerden. Vielleicht ist es aber auch ein zweischneidiges Schwert. Bei längerem Nachdenken könnte dem Kunden, jedenfalls in urbanen Gegenden, das Licht aufgehen, dass er ja auch gleich in einen Laden gehen, Klamotten aussuchen und anprobieren kann – und erst im Nachhinein bezahlen muss! – statt online zu shoppen.
Die kanadische Prototyp-Umkleidefiliale liegt nicht gerade in einer abgeschiedenen Gegend. Im Speckgürtel von Toronto gibt es große Shopping Malls. Weitere Umkleidefilialen sollen laut Canada-Post-Sprecher John Reis 2016 in Edmonton und Vancouver eröffnet werden. „Wir werden dann die Ergebnisse dieser drei Filialen auswerten und sehen, welche Funktionen angenommen werden, und dann über weitere Filialen entscheiden“, wurde Reis in der Fach-Website „Post and Parcel“ zitiert. Als weitere Features böten sich ein Holzbalken oder eine Steinwand zum Ausprobieren online bestellter Akkuschrauber an. Am besten auch so gestaltet, dass der Kunde beim Test nicht mehr aus seinem Pick-up – oder für die deutsche Variante: SUV – aussteigen muss.
Tatsächlich zeigen die Kommentare unter den einschlägigen Medienartikeln zu diesem Thema, dass die Neuerung nicht auf ungeteilten Beifall stößt. Einige meinen, es sei die ureigenste Aufgabe der Post, Sendungen zuzustellen und nicht abholen zu lassen. Vor einigen Monaten hatte sich Canada Post mit der Neuerung unbeliebt gemacht, normale Sendungen in ländlichen Gebieten nicht mehr an der Haustür zuzustellen, sondern nur noch bis zu Sammelbriefkästen an Kreuzungen oder ähnlichen, für die Zusteller leicht erreichbaren Punkten zu liefern. Wer es trotzdem bis nach Haus haben wolle, solle ein Attest oder eine vergleichbare Bescheinigung vorlegen, aus der hervorgeht, dass er gesundheitlich nicht in der Lage ist, seinen entfernten Briefkasten aufzusuchen.
Der Sieger der Parlamentswahlen von Mitte Oktober, Justin Trudeau, hatte sich allerdings im Wahlkampf dagegen ausgesprochen, und seine Partei, die Liberalen, will laut Wahlprogramm die Umsetzung stoppen und prüfen. In dünn besiedelten Gegenden Kanadas ist es allerdings schon lange üblich, dass verstreute Haushalte ihre eigenen Briefkästen zusammen an der nächsten größeren Straße aufstellen, die freilich einige Kilometer vom Haus entfernt sein kann.