Berlin, 8. September (ssl) AEG, Grundig, Bauknecht, Metz – als hätte es nie Probleme gegeben, präsentieren sich deutsche Traditionsmarken auf der IFA 2015. Ihre Messepräsenz nimmt jeweils gut 3.000 Quadratmeter und mehr ein. Wer genauer hinschaut, merkt, dass nichts mehr so ist wie früher. Und alle gehören zu großen internationalen Konzernen, die mit ihren umsatzstärkeren Original-Marken der weißen Ware hier nicht Fuß gefasst haben. Deshalb betonen sie gerne das Traditionelle an ihrer Marke. Jede der genannten hat mindestens eine Insolvenz durchlaufen. Von Metz einmal abgesehen, stellt keine von ihnen wesentliche Teile seines Angebots in Deutschland her.
Viele der Mutterkonzerne verkünden ehrgeizig, dass sie in den nächsten Jahren mit dem einen oder anderen Teilsegment der weißen Ware – etwa Waschen, Kochen, Bügeln – Marktführer in Europa sein wollen oder mindestens in der EU, aber für Deutschland bleiben sie vorerst zurückhaltend. Denn hier dominieren nach den schmerzhaften Konsolidierungsprozessen der 80er Jahre noch Hersteller mit mehreren positiv besetzten Marken den Markt: Da wäre etwa Miele für das Premium-Segment, und dann BSH, ausgeschrieben Bosch Siemens Hausgeräte. Zu diesen gehören neben anderen noch die Marken Constructa, Gaggenau und Neff, um nur die in Deutschland bekannteren zu nennen.
AEG, einst einer der größten Elektrokonzerne der Welt, der sogar Atomkraftwerke baute, ist mit seiner Hausgeräte-Sparte nach sehr wechselvollem Schicksal beim schwedischen Konzern Electrolux gelandet und dort offenbar erfolgreich. Da geht es auch nicht mehr nur um den deutschen Markt: Die Pressekonferenz auf dem weitläufigen Stand findet durchweg in englischer Sprache statt, und AEG sieht sich auf Augenhöhe mit den Großen.
Die Unterhaltungselektronik von AEG hieß ab 1967 Telefunken und hielt unter anderem das Patent für das PAL-Farbfernseh-System. Auf der IFA 2015 präsentiert sich Telefunken als Lizenzgeber für Produkte der türkischen Vestel-Gruppe, die unter dem deutschen Namen nun wieder weiße Ware vertreibt. Wir sehen aber auf der IFA auch AEG-Digitalradios, jedoch von einem Lizenznehmer mit deutscher Adresse.
Eine türkische Mutter hat inzwischen auch Grundig. Das hindert die Arcelik-Gruppe aber nicht daran, in diesem Jahr mit vielen historischen Reminiszenzen den 70. Geburtstag der Radioproduktion zu feiern, die die legendäre Unternehmer-Persönlichkeit Max Grundig gleich nach dem Krieg mit dem „Heinzelmann“, einem Bausatzradio, aufnahm. Komplette Rundfunkgeräte herzustellen, hatten die Alliierten den Deutschen erst einmal verboten. Anlass war die enorme propagandistische Kraft jenes Mediums, die sich im Volksempfänger der Nazi-Regierung manifestierte. Das Kleeblatt als Grundig-Logo, das schon zu Zeiten der deutschen Firma welkte, wurde zum 70. Jubiläum zumindest virtuell wieder gegossen.
Bauknecht gehört seit 1989 zur amerikanischen Whirlpool-Gruppe. Die mächtige Mutter aus Michigan, nach eigenen Angaben mit rund 20 Milliarden Dollar Jahresumsatz Weltmarktführer, pflegt sogar das „typisch deutsche“ Marken-Image dieser Tochter, wie Vizepräsident Carl-Martin Lindahl auf der IFA erklärte. Zwar geht man nicht so weit, den politisch unkorrekten Slogan „Bauknecht weiß, was Frauen wünschen“, wiederzubeleben, aber die Zielgruppe vermutlich gutsituierter Traditionalisten im Heimatmarkt will man wohl auf keinen Fall verlieren. Der Bauknecht-Kunde sei auf Work-Life-Balance bedacht und nicht unbedingt offen für Experimente, sagte Lindahl. Dennoch verortet Whirlpool hier eine Kundschaft, die sich von allen Konzernmarken-Zielgruppen am meisten für Vernetzung interessiert. Deshalb ist Bauknecht die einzige Marke im Konzern, die vernetzte Hausgeräte mit App im Programm hat.
Metz, gegründet 1938, meldete erst 2015 Insolvenz an. Seit 1. Juni gehört die TV-Sparte dem chinesischen Hersteller Skyworth, der sich damit am Produktionsort Zirndorf eine Basis zum Vertrieb der in China hergestellten Ware geschafft hat. Auch danach aber wirbt Metz mit dem (Fast-) Alleinstellungsmerkmal „Made in Germany“. Tatsächlich gibt es noch einen fränkischen TV-Hersteller, der dieses Prädikat für sich in Anspruch nehmen kann: Loewe. Die Kronacher, die sich als Premium-Hersteller verstehen, sind nach einer Insolvenz mit turbulenten Übernahmeversuchen und -rückzügen in diesem Jahr nicht auf der IFA vertreten. Sie begründen das sinngemäß mit: „Wir haben zuhause zu viel zu tun“, haben aber schon versprochen, sich 2016 wieder zu zeigen.
Vielleicht geht es ihnen ja nach einiger Zeit wirklich wieder so gut wie anderen Traditionsmarken, die die letzten Jahrzehnte ohne Insolvenz, aber mit Kontinuität überstanden haben, wie Liebherr oder Miele.
Schließlich findet sich auf der IFA auch noch die deutsche Traditionsmarke Schaub-Lorenz, die aber schon 1930 (Lorenz) und 1940 (Schaub) von dem amerikanischen Konzern ITT übernommen wurde. Nach Alcatel-Lucent wanderte die Marke zu Nokia, und heute prangt sie auf Retro-Küchengräten für den europäischen, aber auch für den amerikanischen Markt.
(Quellenhinweis: Die historischen Daten, soweit sie nicht auf den verlinkten Seiten zu finden sind, stammen in der Regel von den einschlägigen Wikipedia-Artikeln. Es war zu viel, sie alle einzeln zu verifizieren. Sollten sich Fehler eingeschlichen haben, freue ich mich über eine Nachricht.)